Tausche Freiheit gegen Sicherheit

Auf den ersten Blick gesehen gehört´s hier nicht hin. Es ist nicht unbedingt ein Jagdthema. Eher eines der Debatte über Liberalität in der Politik, Gedanken darüber, warum liberale Positionen unabdingbar sind für ein funktionierendes Sozialwesen, auch Staat genannt, und zwar auf der Basis der persönlichen Freiheit. Weil nur auf dieser Basis ein zufriedenstellendes Zusammenleben möglich ist.

Deshalb habe ich den Text früher auf einer anderen Seite gepostet. Aber nach den Entwicklungen der letzten Zeit, weiteren Bemühungen, das Jagdrecht zu verkomplizieren, zu beschneiden, nach unsäglich inkompetenter, dabei wissentlich falscher neuerer Berichterstattung im staatlich alimentierten! ZDF ist es nur noch auf den ersten Blick kein Jagdthema. Wenn man näher hinschaut, stellt man plötzlich fest, dass gerade die Jagd ungemein vieles gemeinsam hat mit persönlicher Freiheit – und umgekehrt. Deswegen habe ich den Text doch hier auf der Jagdseite eingestellt.

Tausche Freiheit gegen Sicherheit

Am 25. Juni 2013 berichtete die hiesige Tagespresse über einen Vortrag vor dem „Politischen Forum Ruhr“ in der Essener Philharmonie vom 24. Juni, Referent: Kurt Biedenkopf, 83 Jahre alt.

Kurt Biedenkopf war nie ein Politiker, mit dem mich ungemein viel verband. Aber er war immer ein Politiker, den ich respektieren konnte und kann. Weil er es erstens gewohnt war und ist, Dinge konsequent zu Ende zu denken und weil er zweitens das Ergebnis seiner Denkarbeit oft genug deutlich öffentlich artikuliert hat. Und das oft genug auch gegen die Parteilinie, wenn er der wohlüberlegten Meinung war, dass er im Recht sei. Seine internen Konfrontationen mit seinen CDU- Granden, allen voran mit Helmut Kohl, waren Legion und sind Legende. Aber Biedenkopf ließ sich nie verbiegen, er war nie bereit, um jeden Preis der Parteilinie zu folgen; es gab Grenzen, die er nicht zu überschreiten bereit war.

Er konnte das wohl auch deshalb, weil er es nie nötig hatte, seine Kritikfähigkeit der Parteidoktrin unterzuordnen. Erstens hatte er Top- Qualifikationen als Wissenschaftler, er besetzte hohe Positionen im Wissenschaftsbetrieb (z. B. als langjähriger Rektor der Ruhr- Uni Bochum) und war damit wirtschaftlich unabhängig. Aus dieser Position heraus wurde er, obwohl bei Kohl persona non grata und damit in der Partei faktisch kaltgestellt, sogar Ministerpräsident von Sachsen, erfolgreich, wie man weiß. Nicht einmal der „schwarze Riese“ konnte das torpedieren.

In diesem Geist auch sein Vortrag. Er referierte über das Thema „freie Bürgergesellschaft“ und meinte damit die schleichende Tendenz, dass der Staat sich mehr und mehr in jeden Lebensbereich des Einzelnen hineindrängt, über das krakenhafte Auswuchern des Staates auch noch in den letzten Winkel von Privatsphäre. Ohne auch nur die geringste Gegenwehr der übergroßen Mehrheit! Als Kernsatz empfand ich seine Aussage: Die Menschen sind allzu gerne bereit, ihre Freiheit gegen Sicherheit einzutauschen.

Chapeau! Ein schöner Satz, schön vor allem deswegen, weil er, obwohl nahezu unbekannt, nur allzu wahr ist. Denn genau daran krankt unsere Gesellschaft, an der unseligen Einstellung, die dazu gerade von links- politischer Seite immer gefördert wurde mit Wohltaten aller Art: Wir, die großen Brüder und Schwestern, wir regeln das für Euch! Ihr braucht uns nur zu wählen, alles andere erledigen wir.

Das ist so, als würde ich mich freiwillig entmündigen lassen, damit ich meine Ruhe habe. Nur Vorsicht: Wenn ich irgendwann merke, dass mir das doch nicht so richtig gefällt, komme ich aus der Nummer nicht mehr so einfach raus. Im Sanatorium gibt´s dann Sedative in medikamentöser Form, siehe Gustl Mollath. In der Politik gibt´s die in Form von Abhängigkeiten, von mehr oder weniger sanftem Druck und bis hin zu feinsinnigen Bemerkungen wie „Ich kann Deine Fresse nicht mehr sehen“ (Pofalla zu Bosbach, beide CDU), und wenn das nicht hilft, mit der Mainstream- Keule: Störenfried, Quertreiber, Phantast und was der Bezeichnungen mehr sind. Oder einer beliebigen Kombination.

Das Ziel, sowohl im Sanatorium als auch in der Politik: Störe unsere Kreise nicht! Im Sanatorium gibt´s eine Begründung, die reicht: Wir sind alle der Meinung, dass Du gaga bist, also bist Du´s auch! In der Politik gibt´s da weit mehr. Die weitaus am häufigsten genannten sind aber die beiden: Wo´s gerade so schön läuft bzw. gerade jetzt in der kritischen Phase kommst Du mit Deinem Gemecker! Schlimmstenfalls, und da wird´s dann ernst, wird man kurzerhand zum „gefährlichen Freigeist“ erklärt. Wenn es soweit ist, muss man schon enormes psychisches und physisches Stehvermögen haben, um seine Position zu behaupten, und wenn es dreißigmal die Wahrheit ist. Schon Tucholsky hat das mal in Worte gefasst: Nichts ist schwieriger und nichts erfordert mehr Charakter, als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!

Sicherheit

Zunächst einmal ist die Frage: Was eigentlich genau ist Sicherheit? Und da stellt sich schnell heraus, dass Sicherheit nur negativ definiert werden kann, wenn überhaupt, nämlich als „Nichtvorhandensein von Risiko, Gefahr“. Schon das lässt ahnen, dass wir es mit einem schwierig zu fassenden Begriff zu tun haben. Vor allem, wenn wir bedenken, dass auch der Begriff noch zweiwertig ist. Einmal gibt es die Selbstsicherheit, das Selbstvertrauen, die Zuversicht in die eigene Leistungsfähigkeit; nennen wir sie

Sicherheit I.

Die hat was. Der Könner vertraut derart auf seine Fähigkeiten, seine körperliche Fitness, seine nervliche Belastbarkeit, Stressresistenz, seine Intelligenz, seine Empathiefähigkeit, Führungsqualitäten, dass sie oder er ruhig und überlegt Dinge in Angriff nimmt, die für andere ohne eben diese Fähigkeiten von vornherein als zwecklos, als ohne Aussicht auf Erfolg eingestuft und damit unterlassen würden. Wer kennt sie nicht, die „Profis“? Solche Menschen werden meistens respektiert und bewundert, oft geliebt. So gut wie immer aber werden sie beneidet von denen, die diese Fähigkeiten nicht haben oder sie sich nicht zutrauen. Das ist so weit in Ordnung und passiert jedem von uns in zig Situationen täglich. Wenn man´s akzeptiert – ok. Wenn nicht, gibt´s die üblichen Probleme. Denn damit kommen wir zum Neid. Der Neid, und Neid ist üblicherweise negativ belegt, wird immer versteckt hinter anderen Kritikschablonen, meist pseudo- ethisch- moralischer Natur. Gängige Sprüche sind: „Die fallen immer wieder auf die Füße.“ „Der verdient mehr als ich, obwohl ich viel intelligenter bin!“ Wenn man aber dann kein Mittel hat, das Ganze mit eigenen Fähigkeiten zu toppen, folgt dem entweder ein Leben nach dem Schema „Der Fuchs und die sauren Trauben“ oder, schlimmer noch, nach dem Motto der Erfolglosen: „Was ich nicht kann, nicht will, nicht brauch´, verbiet´ ich andren einfach auch!“ Ungeheuer wirkungsvoll, das Ganze, wie wir wissen, man glaubt gar nicht, welches Heer von Erfolglosen man hinter sich scharen kann. (Und glauben Sie mir: Das ist ein sorgsam verborgenes und damit von uns massiv unterschätztes Motiv von Jagdgegnern! Man gibt es eben nicht gern zu. Aber dazu später.)

Zum zweiten gibt es die von außen garantierte „Sicherheit“, sprich die Garantien, die andere, die die Umwelt einem bieten soll; nennen wir diese Form

Sicherheit II.

Hier handelt es sich um eine Form der Sicherheit, der Abwesenheit von Risiko, auf die wir selbst gar keinen Einfluss haben, die nur von außen geliefert werden kann. Indem nämlich alle anderen die Handlungen unterlassen, die wir selbst nicht wünschen, die unseren Interessen entgegenstehen, die uns schädlich sind oder uns gefährden oder sogar im positiven Sinn nur solche Dinge tun, die uns nützlich sind. Das wäre sicher ein Idealzustand. Das Leben lehrt uns aber: Darauf kann man sich noch nicht einmal bei Leuten verlassen, die man wirklich gut kennt. Tausendfach erlebt das tagtäglich jede Familie, erleben das Freunde, erlebt das jeder Vorgesetzte, jeder Firmenchef. Man weiß, dass man gut daran tut, nicht zu 100 % auf den selbständigen Eintritt dieser Erwartung zu vertrauen. Man kontrolliert also Dinge, zumindest die, die für das Erreichen wichtiger Ziele unabdingbar sind: Macht mein Kind die Hausaufgaben? Hat es kriminelle Freunde? Kommt die Freundin pünktlich zur Verabredung? Hat der Bilanzbuchhalter die Steuererklärung abgegeben? Hat mein Bauleiter den vorgegebenen Kostenrahmen eingehalten?

Wenn das aber schon hier, also innerhalb der eigenen sozialen Umgebung und Beziehungsgefüge, so schwierig ist, wie soll das dann gehen bei völlig Fremden? Kurios genug, manchmal geht das sogar. Gut wird es funktionieren, wo es auch vielen anderen, vor allem der Mehrheit der Gesellschaft, Vorteile bringt, beispielsweise beim Verzicht auf oder beim Verbot von Gewaltanwendung. Theoretisch liegt der Vorteil auf der Hand, deswegen besteht in diesem Punkt eigentlich gesellschaftlicher Konsens. Aber schon in der Praxis, im täglichen Leben ist das Ganze nicht mehr so einfach. Wäre das nicht so, gäbe es z. B. keine körperlichen Auseinandersetzungen. Oft verlockt die eigene physische Überlegenheit dazu, eben doch alle Bedenken über Bord zu werfen und sich in (wirklich nur) diesem Fall mal gewaltsam zu dem zu verhelfen, was man als sein Recht betrachtet. Und wie schwierig, wie ambivalent das Ganze ist, sehen wir an der Eiertanzerei der Gesetze, der Rechtsprechung, wenn es um das gesetzlich garantierte Recht auf Notwehr geht.

Es mag auch noch angehen bei Dingen oder Handlungen, die sich auf uns nicht auswirken, weder negativ noch positiv, die einem also egal sind. Beispielsweise respektiere ich als zufälliger Passant ohne jedes Problem den Zaun, die Hecke um den Garten eines Hausbesitzers. Ganz anders sieht das schon bei meinem direkten Nachbarn aus, da sehe ich die Dinge als direkt Betroffener möglicherweise ganz anders. Was ist so schlimm daran, mal ein paar Schritte auf sein Grundstück zu machen, dass mein Hund da seinen Haufen macht?

Vollends illusorisch wird das Ganze da, wo andere für sich selbst handfeste Vorteile aus dem Regelverstoß sehen. Da helfen oft selbst massive Strafandrohungen nicht. Sonst gäbe es keine Gefängnisse, wäre jede Justiz überflüssig. Diese vorsätzliche Kriminalität ist durch nichts jemals auszuschließen oder zu verhindern, weder durch drakonische Strafen noch durch Appelle an Vernunft oder Moral. Es wird immer Menschen geben, die sich aus kühlem Kalkül über die Gesetze hinwegsetzen – einfach, weil es sich lohnt, egal, ob materiell oder triebbedingt. Sie gehen jedes Risiko ein, je höher der erwartete Gewinn, desto bereitwilliger.

Und vergessen dürfen wir niemals, dass die menschliche Psyche sich durch Verbote und Strafandrohungen nicht oder nur sehr schwer erreichen lässt, zumindest in bestimmten Situationen. Ich denke an Taten, die im Affekt geschehen, Körperverletzung z. B. bis hin zum Totschlag. Solche Affekthandlungen sind einfach nicht auszuschließen, auch beim friedlichsten Menschen nicht.

Ich denke weiter an paranoide, psycho- und soziopathische Personen und Mitbürger, die oft viele Jahre völlig unerkannt unter uns leben. Sei es als unerkannte Täter, sei es als unerkannte potentielle Täter. Sind sie erkannt, so gut wie immer erst nach der Tatausführung, werden sie in der Regel weggesperrt, aber bis dahin sind sie Teil unseres Lebens. Und niemand weiß, ob der Nachbar, der alte Freund, Bruder oder Schwester nicht auch zu ihnen gehört.

Ein weiteres wichtiges Motiv zu Konsensverletzungen beschreibt die so genannte „Tragik der Allmende“: Wenn durch einen Regelverstoß oder durch eine grenzwertige Verhaltensweise mein persönlicher Vorteil viel höher liegt als der anteilig auf mich zukommende, durch den Verstoß entstehende Verlust der Gemeinschaft, ist die Versuchung eminent groß, dem nachzugeben. Ich denke an Steuerbetrüger, die Millionensummen hinterziehen, obwohl sie dadurch den eigenen Staat und damit natürlich auch sich selbst schädigen. Aber der auf den Betrüger selbst anfallende Anteil am volkswirtschaftlichen Verlust ist lachhaft klein im Vergleich zum persönlichen Vorteil, sprich: Der Verlust wird verteilt auf Millionen andere Schultern, der Gewinn ist in voller Höhe persönlicher Gewinn. Der Versicherungsbetrug ist ein klassisches Beispiel dafür, und auch die Zockerei an den Finanzplätzen, bei den Banken können wir darunter einordnen. Das Gleiche gilt für das hemmungslose Übernutzen von gemeinschaftlichen Ressourcen durch Einzelne, beispielsweise durch exzessive Umweltverschmutzung, um Produktionskosten zu minimieren, sprich den Gewinn zu erhöhen. Auch hier trägt den Verlust die Allgemeinheit, der Staat, den Gewinn fährt der Verursacher allein ein.

Gegen all das hilft zu 100 % kein noch so drakonisches, kein noch so ausgefeiltes Gesetz – und doch wird es immer wieder versprochen. Und es wird mit naiver Bereitwilligkeit geglaubt durch Menschen, die zu schwach, zu bequem sind, die Wirkung zu hinterfragen. Dahinter steht aber auch hier das o.a. Wirkungsgefüge – der, der die zusätzliche Sicherheit wahrheitswidrig verspricht, sichert sich dadurch seine politische und gesellschaftliche Vorrangstellung, seine Einkünfte – als Volksvertreter, als Parteiführer. Dass z. B. die Verstöße gegen Umweltgesetze in den letzten 30 Jahren so massiv abgenommen haben, liegt nicht daran, dass die Gesetze so effizient sind. Nein, es liegt in allererster Linie daran, dass die Unternehmen erkannt haben, dass praktizierter Umweltschutz ein eminent wirksames Werbeinstrument ist, zu Prestigegewinn und damit zu Markterfolg führt.

Was sich die so lustvoll – bereitwillig Verführten in jedem Fall mit ihrer Bereitschaft zur Verführung einhandeln, ist erst mal ein anscheinend heimelig- kuscheliger Platz in der Gemeinschaft von Gleichgesinnten; man bestärkt sich gern gegenseitig in seiner Bequemlichkeit. Ausgeblendet, manchmal mangels entsprechender Rezeptoren auch gar nicht wahrgenommen ist immer ein Verlust an persönlicher Freiheit, so sicher wie nur irgendetwas wahr ist in dieser schönen Welt.

Wenn nun dieser Verlust an Freiheit nur diese „glücklichen Knechte“ selbst treffen würde, könnte es ja noch angehen. Jeder hat das Recht und die Freiheit, vor allem die Fähigkeit, sich selbst auch unglücklich zu machen. Diese Fähigkeit, vor allem die Bereitschaft dazu ist bei vielen Menschen sogar ausgesprochen ausgeprägt!

Es trifft aber durch die Allgemeingültigkeit unserer Gesetze und Regeln alle, am empfindlichsten eben auch und vor allem die, die erkannt haben, dass Freiheiten verschwinden, die dies nicht wollen, die unter dem Verlust leiden und deswegen viel lieber mit tragbaren Risiken leben, dafür aber ihr Selbstwertgefühl behalten. Die das nötige Selbstvertrauen haben, mit daraus folgenden Schwierigkeiten selbst fertig werden zu können. Die Gewinner eben, die Lebenstüchtigen, wie ich sie nenne.

Wohlgemerkt: Ich rede hier nicht der Anarchie oder dem Sozialdarwinismus das Wort! Gesetze und Regeln sowie festgesetzte Bußen und Pönalen für Gesetzes- und Regelverstöße sind in jeder größeren Gemeinschaft unumgänglich. Die Alternative wäre völlige Rechtlosigkeit vor allem Schwächerer und die Rückkehr zu brutalem Faustrecht. Das kann niemand wollen. Und für genauso selbstverständlich und völlig unabdingbar halte ich unser Sozialstaatsprinzip; der Starke hilft dem Schwachen, wo das nötig wird. Alles andere ist zumindest für mich nicht diskutabel.

Meine Kritik richtet sich vielmehr gegen die vorgegaukelte Illusion und das vorsätzlich wahrheitswidrige Versprechen, dass man auch noch die kleinste Unsicherheit, das kleinste Risiko, die geringste Unwägbarkeit durch immer neue, immer ausgefeiltere, immer speziellere Regeln und Gesetze vermeiden kann. Das genaue Gegenteil ist der Fall, wie schon Tacitus, Lichtenberg u. v. a. m. das erkannt haben. „Ius vigilantibus (sapientibus) scriptum est“, heißt es, „das Recht ist für die Wachsamen (Wissenden) geschrieben“. Also für die, die sich in ihm auskennen bzw. das Geld für hoch spezialisierte Experten haben, die helfen, es  – legal! – zu umgehen. Das Paradoxon: Je komplizierter die Gesetzeslage, desto verlässlicher und effektiver ist diese Umgehungstrickserei. Diese Leute nutzen hemmungslos und völlig legal ihren Informationsvorsprung aus, wie ich das auch weiter unten in „Zentralbegriff Freiheit“ näher beschreibe.


Das große Unbehagen

Umso mehr Unbehagen bereitet dementsprechend einem kritischen Zeitgenossen wie mir heute die permanente, hektische und geradezu paranoide Jagd nach ausschließlich dieser zweiten Form der Sicherheit, dazu möglichst noch zu 100 %. Nach vielen, vielen Jahren politischer Infiltration und Beschallung hat sie mittlerweile, so möchte man glauben, zumindest in den Köpfen Verfassungsrang erreicht, mit fatalen Folgen, wie wir sehen werden. Allerdings: Nirgendwo im Grundgesetz, das ich für eine der besten Verfassungen der Welt halte, wenn nicht für die beste, nirgendwo finden Sie auch nur ein Wort von Sicherheit, schon mal gar nicht von Garantien. Es ist überall die Rede von Rechten.

Grundrechte, Art. 2:

Satz 1: Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit.

Satz 2: Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich.

Grundrechte, Art. 3:

Satz 1: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

Sicherheit wird an keiner Stelle des Gesetzes erwähnt, geschweige denn garantiert, weder persönliche, also für Leib und Leben, noch Rechtssicherheit. Mit gutem Grund. Sicherheit kann man anstreben, und das geschieht auch, mit der Gewaltenteilung, den entsprechenden gesetzlichen Regelungen: Schutz vor politischer und rechtlicher Willkür, vor Kriminalität, soweit das geht. Ohne solche allgemein akzeptierten Regularien wäre ein geordnetes Zusammenleben in einer Gemeinschaft schlichtweg nicht möglich.

Rechte dagegen kann man definieren, ziemlich genau sogar, und damit sind sie einklagbar (aber nicht garantiert! Lediglich für die Sanktion von Rechtsverletzungen besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit). An der Definition des Begriffs „Sicherheit“ aber scheitert jedes Gesetz, es muss scheitern. Denn Sicherheit ist weder quantifizierbar noch exakt definierbar, sie ist eine höchst subjektive Größe. Wo der eine bereits Lebensgefahr sieht, kann sein Nachbar die Situation als harmlos- spannend genießen. Wo der eine mit dem Datenschutz Probleme hat, sieht der andere noch längst keine Gefahr. Was man aber nicht objektiv definieren und abgrenzen kann, kann auch kein Staat, kein Gemeinwesen jemals garantieren, geschweige denn zu 100 %, wie manche politischen Stimmenjäger das nicht müde werden zu versprechen und wie viele kleingeistige Krämerseelen das nicht müde werden zu glauben. Wäre das so, brauchten wir, siehe oben, keine Polizei, keine Gefängnisse.

Darüber hinaus wird auch nicht mehr unterschieden zwischen der Rechtssicherheit und der Sicherheit von Leib und Leben. Schon der Schutz und die Bewahrung der Rechtssicherheit bedingt permanente Wachsamkeit und Mühe, kann aber damit erhalten werden. Der Schutz von Leib und Leben dagegen kann zwar in möglichst hohem Maße angestrebt und perfektioniert, aber niemals zu 100 % auch nur erwartet und schon gar nicht garantiert werden.

Ganz abgesehen von Krankheiten und Alter: Der berühmte fallende Dachziegel, Naturkatastrophen, Brand und Blitzschlag sind per se unbeherrschbar, mitmenschliche Verhaltensweisen und Aggressionen, psychische Abnormitäten, kriminelle Veranlagungen, Asozialität und Perversionen sind nicht vorhersehbar, der Straßenverkehr, die belebte Umwelt – Tiere, Pflanzen –, das alles birgt permanente Gefahren und wird subsumiert unter dem Begriff allgemeines Lebensrisiko. Auch das, so mein starker Eindruck, haben allzu viele Zeitgenossen bereits lange vom Schirm verloren, ja vorsätzlich aus ihrem Bewusstsein verdrängt oder sich aufschwatzen lassen, dass es eliminiert werden kann, genügend „Fürsorge“ vorausgesetzt. Wie wir alle wissen, geht das nicht.

Freiheit

Ein Recht aber, für das die Gesellschaft Jahrhunderte gekämpft hat, das Recht, für das es sich tatsächlich lohnt, alles zu geben, dieses Recht ist die persönliche Freiheit. Und die ist sehr wohl auch objektiv definierbar, sowohl positiv wie negativ. Und das hat damit sehr wohl und ausdrücklich und sehr dezidiert Verfassungsrang. Nur haben wir das Recht auf persönliche Freiheit irgendwann einmal „vom Schirm verloren“, wie es scheint, zumindest sehr viele von uns. Wir nehmen seine Existenz und damit seinen essentiellen Wert gar nicht mehr richtig wahr – und sind damit, logisch, auch nicht mehr in der Lage zu erkennen, ob und, wenn ja, ab wann sie in Gefahr ist. Allzu viele sind nicht mehr imstande, die Versuche, sie zu beschneiden, auch nur zu registrieren, den schleichenden Ausfransungen, den verschwiemelt begründeten „Du hast ja schließlich nichts zu verbergen“- Beschwichtigungen entgegenzutreten, vor allem dem Totschlag- Argument der angeblich dafür gewonnenen „größeren Sicherheit“.

Nur Dinge, ideelle Güter, derer wir uns bewusst sind, ausschließlich diese Dinge finden in unserer Wahrnehmung statt. Wie sagte Goethe es: Was Du ererbt von Deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen! Und der Akzent liegt auf „erwirb“, nicht auf „besitzen“, wie viele Zeitgenossen glauben. Goethe meinte damit genau das: Werde Dir dessen bewusst, was Dir an Werten übergeben wurde, bemühe Dich darum, vollziehe nach, welche Opfer gebracht wurden, um sie zu erkämpfen, erarbeite es Dir schließlich selbst – nur dann weißt Du diese Werte zu schätzen. Denn nur für Rechte, Güter, die man als wertvoll erkannt hat, kämpft man. Das ist auch die Erklärung dafür, dass man weit eher bereit ist, Dinge aufzugeben, die man geschenkt bekommen hat, Dinge, zu denen einem ein innerer Bezug fehlt, als Werte, für die man selbst und persönlich hart hat arbeiten und kämpfen müssen.

Freiheit  und   Sicherheit

Wenn eines sicher ist auf dieser Welt, dann die Tatsache, dass es Freiheit und Sicherheit zu jeweils 100 % gleichzeitig nicht geben kann und nie geben wird. Beide sind von ihrer Natur, von ihrem Grundwesen her zwei sich ausschließende Begriffe. Obwohl sie eng miteinander verbunden sind. Nur sind sie das in einer Art Einbahnstraße, denn die Kausalkette ist unverrückbar festgelegt: Ohne Freiheit kann es keine Sicherheit geben, Freiheit ohne Sicherheit ist aber sehr wohl möglich! Das glauben Sie nicht? Gehen wir auf die Fälle einzeln ein.

Keine Sicherheit ohne Freiheit!

Das ist so! Ein Beispiel dafür ist die Situation in Diktaturen: Hier gibt es weder Freiheit noch Sicherheit. Denn hat sich eine Diktatur etabliert, ist zunächst jede Freiheit verloren. Und so sicher wie nur etwas auf der Welt wird im unmittelbar folgenden Schritt auch jede persönliche Sicherheit abgeschafft, auch das Vertrauen darauf, dass sich die Gesellschaft, der Staat an rechtliche Rahmenbedingungen, an Regeln hält. Jeder Diktatur, jedem autoritären System folgen Willkür, Rechtsbeugung bis hin zum glatten Rechtsbruch unweigerlich auf dem Fuße. Denn die wirkungsvoll abgesicherte Einklagbarkeit von persönlichen Rechten des Einzelnen ist mit solchen Systemen völlig inkompatibel, weil sie nämlich diametral im Gegensatz zum Sicherheitsbedürfnis des Systems selbst steht.

Diktaturen und Diktatoren wittern überall Verrat und Verschwörung. Als logische Konsequenz wird der Sicherheitsapparat (Geheimpolizei) massiv ausgebaut, Schnüffelei und Denunziation werden zum Normalzustand. Die Pressefreiheit wird aufgehoben, Kommunikationsmöglichkeiten werden eingeschränkt, jede Kommunikation wird kontrolliert und zensiert. Als nächster Schritt wird der Waffenbesitz verboten oder nur absolut linientreuen Anhängern unter misstrauischster Kontrolle erlaubt. Und es wird dem Bürger jede Möglichkeit genommen, die Verwaltung, die Politik und ihre Entscheidungen rechtlich überprüfen und eventuell anfechten zu lassen. Glauben Sie nicht? Fragen Sie einen Ex- DDR- Bürger! Aber nicht nur da war das so, das Muster ist immer und überall das Gleiche.

Denn die Folge des Freiheitsverlustes ist, dass der Bürger auch keine Kontroll- und Korrekturmöglichkeiten mehr hat, zu keiner Tages- und Nachtzeit mehr sicher vor staatlicher Willkür ist, vor Verlust von Gesundheit und Leben, ja sogar vor Verlust der persönlichen Selbstbestimmung bis ins verordnete Denken hinein. Stalin mit seinem NKWD, Hitler mit seiner GESTAPO, Mao mit seiner KP, Nordkorea heute noch – die einen haben es vorgemacht und sind inzwischen mehr oder weniger Geschichte. In Nordkorea, in China erleben wir es, ja sogar ganz in unserer Nähe in Weißrussland, und auch in Russland z. B. ist man von Rechtsstaatlichkeit in unserem Sinne noch weit entfernt. Jeder Akt staatlicher Willkür wird damit erklärt, dass es zum Wohle der Allgemeinheit, des Volkes, der rassischen Reinheit und was es sonst für noch abstruse Begründungen gibt absolut notwendig ist, der Einzelne habe eben zurückzustehen. Wir tun dies nur zu Eurem Besten! Und allen vorherigen Versicherungen zum Trotz, siehe Hitler und die Debatte zum Ermächtigungsgesetz: Jede Garantie persönlicher Sicherheit, auch die kleinste Freiheit sind mit solchen Systemen von vornherein völlig unvereinbar. Es ist ein ehernes Gesetz, dass es sich genau so entwickelt!

Die logische Schlussfolgerung, die Gesetzmäßigkeit liegt als unwiderlegbare Tatsache auf der Hand: Es gibt keine persönliche Freiheit ohne Demokratie und Mitbestimmung – und umgekehrt. Und nur in dieser Staatsform gibt es sie. Nirgends sonst. Ausschließlich in gesellschaftlichen Systemen, in denen persönliche Freiheit herrscht. Und nur da kann es auch einforderbare persönliche Rechtssicherheit geben. Nirgends sonst. Wohlgemerkt: Rechtssicherheit!

Und Freiheit ohne Sicherheit?

Die gibt es sehr wohl, und sie ist verbreiteter, als viele meinen. Zwar in vielfältigen einzelnen Gewichtungen in der Relation zueinander, von Freiheit und Sicherheit zu gleichen Teilen, viel Freiheit und weniger Sicherheit bis hin zu vollständiger Freiheit ohne jede Sicherheit. Je nach den persönlichen Lebensumständen des Einzelnen. Sie variieren in zeitlicher Hinsicht, wie gesagt, wie wir persönlich bereit sind, auf Sicherheit zu verzichten. Und sie variieren in Bezug auf die beiden Arten der Sicherheit, Form I und II, dem Selbstvertrauen und den Garantien. Gerade wir Jäger versuchen, uns ein wenig mehr als andere über die Jagd von ihr zurückzuholen, von der Freiheit, meist zeitlich begrenzt. Wenn wir die Jagd ausüben nämlich. Egal wo und wann. Sicher passiert das nicht im Niederwildrevier um die Ecke im gleichen Ausmaß wie bei der Gamsjagd im Hochgebirge. Trotzdem: Schon der Gang ins Heim- Revier macht den Kopf frei von Alltag und Geschäft, die Gedanken klar. Denn Jagd erfordert Fokussion und Konzentration, vor allem Vertrauen auf eigene Fähigkeiten und nervliche Belastbarkeit. Schon das ist ein Gewinn an Freiheit.

Viele andere Menschen suchen diese Ausweitung ebenfalls, meist wie wir zeitlich begrenzt. Bei manchen von ihnen ist der Verzicht auf die Sicherheit II dabei fast vollständig, also der bewusste Verzicht auf die Außengarantien durch z. B. Rettungsdienste, Polizei und ärztlichen Notdienst, damit der Verzicht auf den größtmöglichen Schutz der Sicherheit von Leib und Leben, aber auch der Rechtssicherheit. Die Entführungen von Touristen in islamistischen Regionen belegen das augenscheinlich. So z. B. Outdoor- Aktivisten, Bergsteiger, Abenteurer – und Jäger, die sich für einige Wochen, einige Monate „Auszeit“ nehmen und irgendwohin in die Wildnis verschwinden. Und ohne jedes zeitliches Limit tun das Menschen, die ganz bewusst die Zelte hinter sich abbrechen und in die Wildnis ziehen, in Alaska, Kanada, Skandinavien, Russland. Oder die von jeher dort leben, wie die Rentiernomaden in Russland, in der Mongolei, mit Abstrichen noch einige Indianer, Inuit, einige wenige Naturvölker im Süden. Der Einhand- Weltumsegler. Ohne Arzt, ohne sichergestellte Sofort- Versorgung im Notfall, unter permanenter, potentieller Lebensgefahr nach unseren gängigen Begriffen, sowohl was die Unfallgefahren als auch die von Gewaltdelikten angeht.

Sie wissen sehr genau, dass jeder Unfall, Knochenbruch, jede Zahnentzündung und sonstige Infektion mit dem Tod enden kann. Eben weil die Sicherheit-II- Garantien nicht oder nicht schnell genug zur Verfügung stehen. Sie tun es trotzdem, weil sie sich auf die eigenen Fähigkeiten, auf Ihre Intelligenz, Umsicht, Nervenstärke und ein intaktes Immunsystem verlassen. Für solche Menschen ist persönliche Freiheit, ein Leben ohne jede Beschränkung durch irgendwelche Konventionen, durch Rechte anderer Menschen wie ein Rauschmittel, für das sie – aus eigenem Antrieb! – bereit sind, höchste Risiken eingehen. Und sie vertrauen auf sich selbst, auf Sicherheit I – und sind glücklich dabei.

Zentralbegriff Freiheit

Wir sehen, wir kommen immer wieder auf den Zentralbegriff der Freiheit zurück. Sie ist offensichtlich die Grundlage für ein selbstbestimmtes und glückliches Leben überhaupt, ein Leben, in dem überdurchschnittlich oft selbstbewusste Zufriedenheit zu finden ist. Sie muss also, subjektiv wie objektiv, etwas unendlich Wertvolles sein, ein Juwel. Bevor ich also damit beginne, diese Freiheit zu beschneiden bzw. beschneiden zu lassen, also das Juwel abschleifen zu lassen, und sei es nur in vermeintlichen Kleinigkeiten, in den kleinsten Facetten, muss das wohl begründet und gut überlegt sein – und es ist beim Auftauchen auch nur des geringsten Zweifels zu unterlassen.

Ich habe mal versucht, das Problem mathematisch- formeltechnisch zu fassen und habe es mit der Formel F(reiheit) = 1 – S(icherheit) versucht. Bei näherem Hinsehen aber hat sie sich, obwohl eigentlich logisch, in der Realität als unbrauchbar erwiesen. Denn Freiheit und Sicherheit sind von der Wertigkeit her nicht miteinander vergleichbar. Es ist nämlich so: Mit jeder Verordnung, jeder Regulierung, jedem Gesetz verliere ich ganz sicher ein Stück Freiheit; das ist beleg- und nachweisbar, objektiv sogar quantifizierbar. Der mit dem Gesetz versprochene Gewinn an Sicherheit (Form II) aber erweist sich in jedem Fall als bloßes Versprechen, das eintreten kann, aber nicht muss; die ausgesprochene Garantie ist schlicht nichts wert. Wie denn auch? Hängt sie doch ausschließlich von der Annahme ab, dass sich alle an die ausgesprochenen Garantien halten. Das tun weder Natur und Zufall noch schert sich irgendein Gesetzesbrecher um irgendwelche Garantien des Gesetzgebers. So gut wie nie also wird das Versprechen Wirklichkeit, zumindest nie in dem versprochenen Umfang. Oft genug aber erweist sich das Ergebnis als negativ, immer aber als marginal, allein schon aus dem Grund, dass  die versprochenen zusätzlichen Sicherheiten immer im ebenfalls marginalen Grenznutzenbereich liegen. Und Geschäfte im Grenznutzenbereich – wechseln wir hier zur Klarstellung mal zur Ökonomie – sind immer schlechte Geschäfte. Ich will versuchen zu erklären, warum das so ist.

Ein schlechtes Geschäft ist i. d . R. dadurch definiert, dass der Input, also die aufgewendeten Mittel und Mühen, in einem ungünstigen Verhältnis zum gewünschten Output, sprich Ertrag und Gewinn stehen. Anders ausgedrückt: Wenn ich 50,00 € aufwende, um einen Ertrag von 100,00 € zu erzielen, ist das ein gutes Geschäft; wende ich 99,00 € auf, um 100,00 € Ertrag zu erzielen, ist das ein schlechtes Geschäft. Der Grund liegt auf der Hand: Im ersten Fall müsste ich zwei, im letzteren hundert gleichwertige Geschäfte erfolgreich abwickeln, um nur ein fehlgegangenes (Verlust des Eintrages, Ausfall des geplanten Ertrages) wieder wettzumachen. Die Wirtschaftswissenschaft spricht hier vom „Grenznutzen“, die dazu gehörige Theorie ist die Grenznutzentheorie. Und die wird ganz nüchtern als Tatsache registriert und anerkannt. Ohne jede Debatte. Verschiebt sich das Verhältnis sogar auf 110 : 100, ist nach Aufbrauchen eventuell vorhandener Reserven der Ruin programmiert. Zumindest im Geschäftsleben. Im Gegensatz zur Wirtschaft aber gibt es in der Politik, in der Volkswirtschaft keine Gesetze, die den staatlichen oder gesellschaftlichen Bankrott regeln – hier wurschtelt man weiter, bis es kracht. Bei unserer Freiheits- Sicherheits– Debatte aber ist das Verhältnis fast immer im Grenznutzenbereich, in den allermeisten Fällen eindeutig negativ.

Nehmen wir das Thema „legaler Waffenbesitz“ und dessen Entwicklung in den letzten Jahren, vor allem den geradezu widersinnigen, ja grundgesetzwidrigen Sicherheits- und Kontrollwahn, mit dem legale Waffenbesitzer überzogen werden. Gerade hier hat der Gesetzgeber permanent den Input erhöht, der Einsatz war jedes Mal ein weiteres Stück sicher verlorener bürgerlicher Freiheit. Der Bürger hat aber im Gegenzug kein Jota vom versprochenen Gegenwert, der zusätzlichen Sicherheit, erhalten. Was er bekommen hat, ist ein Waffengesetz mit so irrwitzigen Regelungen, dass es sogar Polizei und Justiz zum Wahnsinn treibt. Und das dazu führt, natürlich, dass zur Überwachung der Einhaltung dieser Regelungen jede Menge Personal und Arbeitskraft gebunden ist. Gar nicht zu reden von dem Skandal, dass eine erwiesen überdurchschnittlich gesetzestreue Minderheit, die legalen Waffenbesitzer, unter misstrauischen Generalverdacht gestellt werden. Nicht nur das: Der Rechtsstaat und seine Regeln werden regelrecht auf den Kopf gestellt. Wie oft passiert es, dass ein legaler Waffenbesitzer auf Grund einer Denunziation mit regelrechten Überfall- Aktionen uniformierter Kapuzenträger überzogen wird. Die dabei konfiszierten Waffen, die erlittenen Schäden und Rechtsverletzungen müssen gegen den „Großen Bruder“ unter glattem Bruch der Verfassung mühsam zurück erklagt werden. Hier wird das Prinzip des Rechtsstaates auf den Kopf gestellt, und die Öffentlichkeit schaut ungerührt zu.

Einmal ganz davon abgesehen, hat sich mittlerweile die Rechtswahrnehmung pervertiert. Gehen wir darauf einmal näher ein: Das Grundgesetz spricht an keiner einzigen Stelle von einer Beschränkung des Zugangs freier, mündiger, unbescholtener und rechtstreuer Bürger zu Waffen. Ich bin zwar kein Jurist, aber damit interpretiere ich das so, dass solche Bürger das Recht haben, Waffen zu besitzen. Wäre das nicht so, wären wir nicht wirklich frei.

Nun hat der Gesetzgeber, also das von uns eingesetzte Parlament, aber Gesetze erlassen, die dieses unbeschränkte Recht einschränken. Das Grundgesetz lässt das natürlich innerhalb gewisser Grenzen zu. Diese Grenzen, gültig für jedes Gesetz, liegen eben im Grundgesetz selbst, sie müssen in einer vernünftigen Abwägung verhältnismäßig sein, und sie dürfen eben nicht gegen die übergeordneten Werte des Grundgesetzes selbst oder auch nur gegen dessen Charakter verstoßen.

Für Beschränkungen beim legalen Waffenbesitz spricht einiges. Zum Beispiel ist es im Sinne der Allgemeinheit logisch und nachvollziehbar, wenn der Gesetzgeber zur Voraussetzung macht, dass nur rechtsfähige und / oder zurechnungsfähige Bürger Waffen besitzen sollten. Es wird ja auch niemand gezwungen, Waffen zu erwerben. Des Weiteren kann man nachvollziehen, wenn einem (Gewalt-) Verbrecher der Waffenerwerb und -besitz verboten wird. All das sind nicht nur vertretbare, sondern im Sinne der Allgemeinheit auch sinnvolle Restriktionen. Jede gesetzliche Einschränkung aber über dieses Maß hinaus ist meiner Meinung glatt grundgesetzwidrig. Aber sie ist alltägliche Praxis.

Wir haben uns mittlerweile an einen Bewusstseinszustand gewöhnt, der im wahrsten Sinne des Wortes pervers ist: Es wird der Eindruck vermittelt, als sei jeder legale Waffenbesitz per se grundgesetzwidrig und nur auf Grund von Ausnahmeregelungen ausnahmsweise gestattet, also eigentlich ohne dauerhafte Rechtsgrundlage. 

Das aber, meine Damen und Herren, ist ein gewaltiger Irrtum. Das genaue Gegenteil ist der Fall. 

Fragen Sie mal jemanden, der logisch denken kann, meinetwegen sogar einen Juristen. Aber kommen wir zurück zum Hauptthema.


Die Folgen

Was im zweiten Schritt mit der stückweisen Abschaffung von persönlichen Freiheiten aber ganz sicher erreicht wird, ist, wie ich ja oben konkret geschildert habe, bereits der Verlust der (Rechts-) Sicherheit, hier zunächst nur für den Waffenbesitzer. Die beschriebene Gesetzmäßigkeit bestätigt sich mithin: Mit Freiheiten schaffe ich unweigerlich auch Sicherheit ab. Auf eines kann man sich verlassen: Die Zielgruppen sind austauschbar, wenn einmal das Instrumentarium da ist, wenn die Öffentlichkeit sich an solche schleichenden Verluste gewöhnt hat. Genau das meinte übrigens Benjamin Franklin mit seinem Postulat: Wenn wir beginnen, Freiheiten aufzugeben, um Sicherheit zu erlangen, werden wir am Ende beides verloren haben.“ Gerade sein Land, das viel gepriesene „Land der Freien“, die USA, demonstriert gerade, wie schnell verfassungsmäßige Rechte über den Deister gehen, wenn die Sicherheitsfanatiker ans Ruder kommen. NSA, CIA und Konsorten stehen längst außerhalb jedes Gesetzes, und nicht nur ich habe den Eindruck, dass die Politik, der Präsident längst die Kontrolle verloren haben.

Der langfristige Aspekt

Den eingangs gemachten Vergleich der Freiheit mit dem Juwel, dem Brillanten, habe ich deswegen gewählt, um etwas ganz Wesentliches klar zu machen: Habe ich eine Facette vom Brillanten abgeschliffen, ist nichts und niemand mehr im Stande, ihn wieder herzurichten. Man kann versuchen, ihn in eine andere, ebenso schöne Form zu bringen. Nur kann man eines nicht verhindern: Er hat, egal wie gut die Rekonstruktion oder Neuschöpfung gelungen ist, an Substanz verloren, ist kleiner geworden an Masse, Gewicht. Er ist Vergangenheit, zumindest in seiner ursprünglichen Form. Genauso verhält es sich mit der Gesetzgebung: Gesetzliche Einschränkungen und das beliebte Herumfeilen am Wesen des Grundgesetzes ziehen immer Substanzverlust nach sich. Vor allem haben sie sozusagen Ewigkeitsgarantie. Denn seien sie noch so abstrus und widersinnig, ist nichts so zählebig und dauerhaft wie sie. Sind sie einmal beschlossen und in der Welt, werden sie von ihren geistigen Müttern und Vätern mit Zähnen und Klauen verteidigt. Auch das ist so etwas wie ein ein Naturgesetz. *

Das Ganze mündet immer in einen schleichenden Verlust: Es beginnt mit Überregulierung, für jeden Einzelfall muss es ein Gesetz geben. Bereits nach kurzer Zeit wird die Lage unübersichtlich und hoch kompliziert. Dann bricht die Goldgräberzeit der Experten an: Wer die Lücken am besten erkennt, profitiert, immer zu Lasten der Allgemeinheit. Und Lücken gibt es, todsicher, und umso sicherer, je komplizierter ein Regelwerk ist. Wir haben es vor Augen mit der Finanzkrise, dem deutschen Steuerrecht, Steueroasen. Dieses Phänomen ist uralt. Tacitus, der römische Verfasser der Germania, beschrieb das schon im 2. Jh. n. Chr. mit dem Satz: Corruptissima re publica, plurimae leges (Je verdorbener der Staat, desto zahlreicher die Gesetze.) Man kann das ebenso gut umgekehrt sehen. Lichtenberg, gest. 1799, meinte dazu: Um sicher Recht zu tun, braucht man sehr wenig vom Recht zu wissen. Allein um sicher Unrecht zu tun, muß man die Rechte studiert haben.

Denn dem Zustand der Unübersichtlichkeit, der Undurchschaubarkeit für den Normalbürger folgt prompt die Phase der Pervertierung des Rechts. Das Rechtssystem wird zum Garanten für legalen Rechtsbruch, frei nach dem Motto: Irgendeine Lücke, irgendein Widerspruch im Gesetzeswust wird sich finden. Und, wie wir mit Tacitus und Lichtenberg sehen, es scheint System im System zu stecken. Denn trotz dieser Erfahrungen, Ermahnungen und wohlbekannten warnenden Beispiele: Es scheinen Naturgesetze zu sein, die hier ihre Wirkung entfalten, mit der Folge, dass jeder Staat, jede Epoche sehenden Auges in diese Falle tappt.


Warum ist das so?

Schauen wir uns das Ganze zunächst einmal „cum grano salis“, mit einem Augenzwinkern an. Damit kommen wir nicht an Lawrence J. Peter (1919 – 1990) vorbei. Peter war ein kanadisch-amerikanischer Erziehungswissenschaftler, Psychologe und Hochschullehrer. In den 1980-er Jahren formulierte er in seinem Buch  „Schlimmer geht´s immer – Das Peter- Prinzip im Lichte neuerer Forschung“ das mittlerweile weltberühmte „Peter- Prinzip“:

  • „In einer Hierarchie steigt jeder bis zu seiner persönlichen Stufe der Inkompetenz auf.“

Das ist ein wahrhaft verstörender Satz, aber so wahr, dass man es zunächst gar nicht glauben kann. Peter meint damit, dass in jeder Hierarchie natürlich jeder versucht, aufzusteigen, Karriere zu machen. Das ist der Normalfall, nur ganz wenige Menschen sind frei von jedem persönlichen Ehrgeiz. Je nach Eignung und persönlichen Fähigkeiten ist allerdings eine unübersteigbare Grenze nach oben in den meisten Fällen nicht zu durchdringen: Die eigene persönliche Inkompetenz.

Lassen Sie mich das erklären. Angenommen, Beamter A ist ein guter Sachbearbeiter. Er beherrscht sein Metier, arbeitet gründlich und erfolgreich seine Arbeitsfelder ab, er ist eigentlich zufrieden. Nach einigen Jahren nun steht eine turnusmäßige oder auch selbst beantragte Beförderung an, er wird Abteilungsleiter und Chef über zehn ehemalige Kollegen. Jetzt sind plötzlich zusätzlich zur fachlichen Qualifikation andere Fähigkeiten gefordert: Persönliche Führungsqualitäten, Organisationstalent, Durchsetzungsvermögen. Und er versagt kläglich. Aus dem ehemaligen zufriedenen Sachbearbeiter wird innerhalb kürzester Zeit ein verbitterter, völlig überforderter, anschließend oft frühpensionierter Abteilungsleiter. Und natürlich ist nicht er schuldig an der Misere, sondern die ehemaligen Kollegen, die ihn nach der Beförderung plötzlich überall mit Intrigen verfolgt haben.

Natürlich muss die Stufe der persönlichen Inkompetenz nicht schon auf der Ebene Abteilungsleiter erreicht sein, manchmal ist es der Ministerialrat, der Minister, der Vorstand einer Bank. Aber, todsicher, jeder hat sie. Irgendwo. Manchmal kann man sie umgehen, indem man den Beruf wechselt. Aber das ist eher selten. Meist ist sie sehr universell und eher im Persönlichkeitsbereich angelegt. Und dann nutzt es einem gar nichts, den Beruf zu wechseln: Ein pedantischer Erbsenzähler ist ein genauso unerträglicher Kollege als Tischler wie als Verwaltungsjurist.

Das Peter- Prinzip findet natürlich auf jede Hierarchie Anwendung, auch auf die politische. Das erklärt die Erleichterung und das Aufblühen vieler Abgeordneter und Minister, wenn sie nach acht Jahren endlich Anspruch auf die vollständige Altersversorgung haben und sie nicht mehr beweisen müssen, dass sie einen guten Job machen. Weiter schreibt Peter speziell zur Gesetzgebung:

„In der Gesetzgebung haben wir den Triumph der Quantität über die Qualität zu höchsten Höhen geführt. Immer wenn eine Interessengruppe der Meinung ist, dass irgendwo ein Missstand durch gesetzgeberische Maßnahmen beseitigt werden muss, steht uns ein kompliziertes Gesetzeswerk ins Haus. Die Absicht mag die beste sein (was ich persönlich in den meisten Fällen bezweifle!), aber die Wirkung ist nicht Effektivität und Überschaubarkeit, sondern ein immer dichter werdender Paragraphendschungel, der manchmal schon groteske Züge annimmt.“

Man könnte meinen, dass Rot und Grün in ihren politischen Programmen hier starke Anleihen gemacht haben. Ich denke an die vielen Gesetzesnovellen der letzten Jahre in Bezug auf die Jagd, z. b. der Vollschutz von Kormoranen und Rabenkrähen. Leergefischte ganze Flussstrecken, zugekotete Städte und zerstörte Saaten, im Gegenzug dazu explodierende Bestände – alles kein Grund, auch nur im Entferntesten die Auswirkungen der erlassenen Schutzgesetze zu überprüfen. Stattdessen misstrauische Wagenburg- Mentalität in ihrer höchsten Ausprägung und hektischer Aktionismus: Umsiedlungs- und Vergrämungsaktionen, Anti- Baby- Pille, bis hin zum massenhaften Einfangen, Vergasen!! und Verbuddeln!! von Wildgänsen wie in Holland – Hauptsache, keine Jagd!!

Weiter zitiert L. Peter Finley P. Dunne: „Gesetze werden geschaffen, um den Menschen Schwierigkeiten zu bereiten, und je mehr Schwierigkeiten sie machen, desto länger stehen sie in den Gesetzbüchern“. Was meine eingehende Bemerkung bestätigt.

Peter geht in seiner grundsätzlichen Skepsis gegenüber den Fähigkeiten von Politik und Verwaltungshierarchien sogar noch erheblich weiter, er setzt sozusagen den intellektuellen Fangschuss, wenn er sagt:

„Wenn wir wollen, dass sich Verbrechen nicht auszahlen, müssen wir sie der Regierung überlassen.“

Das ist nun wahrhaftig nur noch schwer zu toppen. Zumindest im Hinblick auf sein Vertrauen in die Effizienz unserer Verwaltungsstrukturen.

An anderer Stelle sagt er:

„Wenn wir schon nicht in der Lage sind, Verbrechen zu verhindern, sollten wir sie legalisieren und mit einträglichen Steuern belegen.“

Das ist zwar ein hoch subversiver, aber interessanter ökonomischer Lösungsansatz für diese Problematik. Mit fällt dabei spontan das Thema „illegale Waffen“ in Deutschland ein. Man kann sie sowieso fast im Aldi kaufen. Würde man den Waffenerwerb also legal ermöglichen, striche der Staat Lohn-, Umsatz- und Gewerbesteuer ein, alle Käufer wären registriert!!, die Welt wäre schön. Anschließend, wir haben ja das NWR, sammeln wir bei den Berufsverbrechern und Islamisten die Dinger wieder ein und versteigern sie; ein Riesengeschäft. Aber Spaß beiseite: Es ist eben nicht so. Die Realität: Geschätzt bis zu 40 Mio. illegale, nicht registrierte Waffen gegenüber ca. 6 Mio. legalen. Und deren Besitzer werden bei jedem Vorfall kujoniert. Was einfach ist, weil sie ja registriert und gesetzestreu sind. Wenigstens da denken unsere Verwaltungen mal ökonomisch: Wenig Einsatz (Input), Riesengetöse (Output).

Einen ebenfalls großen Denker, Kenner und Kritiker unserer Verwaltungsstrukturen und Hierarchien, Cyril Northcote Parkinson (1909 – 1993), britischer Historiker, Soziologe und Publizist, will ich hier nur mit seinen Hauptthesen zitieren:

  • Das erste Gesetz von Parkinson: „Arbeit dehnt sich stets in dem Maße aus, wie Zeit zu ihrer Erledigung zur Verfügung steht.”

Er beweist in seinem Buch „Parkinsons Gesetz und andere Studien über die Verwaltung“ bereits 1957, dass Verwaltungen die unumstößliche und gesetzmäßige Tendenz haben, sich aufzublähen. Zwei ursächliche Triebkräfte sind seiner Meinung nach dafür die Ursache, er formuliert dazu folgende Lehrsätze:

  • „Jeder Beamte oder Angestellte wünscht die Zahl seiner Untergebenen, nicht aber die Zahl seiner Rivalen, zu erhöhen.“
  • „Beamte oder Angestellte schaffen sich gegenseitig Arbeit.“

Er schreibt dazu: Nehmen wir das Bild eines Beamten, genannt A. Er spürt, dass er überarbeitet ist. 

Für dieses tatsächliche oder eingebildete Zuviel an Arbeit gibt es nun drei mögliche Heilmöglichkeiten:

  1. A kann um seine Entlassung bitten;
  2. A kann darum bitten, dass er seine Arbeit in Zukunft mit dem Kollegen B teilen darf;
  3. A kann ein Gesuch stellen, dass ihm zwei Unterbeamte zugeteilt werden.

Parkinson schreibt weiter: „Ich glaube, es gibt kein bekanntes Beispiel in der Weltgeschichte, dass ein Beamter oder Angestellter einen anderen als den dritten Weg gewählt hätte.“ 

(Wir dürfen nicht vergessen: In diesem Fall überlagert sich das Problem meist noch mit den Gesetzmäßigkeiten des Peter- Prinzips, s. o.)

Woher kennt man das bloß alles? Na ja, alltäglich aus der Zeitung, dem Fernsehen. Gerade jetzt spült ja die Debatte über die schlummernde, wahrhaft gigantische Versorgungs- und Pensionsanspruchsbombe unserer Beamten auf, die jetzt und in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen. Eigentlich, davon sind nicht wenige Volks- und Verwaltungswissen-schaftler überzeugt, kann uns nur noch eine galoppierende Inflation oder eine Währungsreform vor dem Staatsbankrott retten.

Das alltägliche Problem aber, das der Bürger mit diesen Umständen hat: Die Beamten und Angestellten müssen beschäftigt werden, sie müssen ihre Daseinsberechtigung nachweisen. Wenn nun mal die Arbeit endlich ist, muss man neue erfinden. Das erklärt die vielen Formulare, die bis ins Kleinste ausgearbeiteten Verwaltungsvorschriften, endlose Papierkriege, Verwaltungsverordnungen, die niemand braucht und endlose Statistiken, die niemand liest.

Kommen wir jetzt zu Paul Watzlawick (1921 – 2007), österreichischer Kommunikationswissenschaftler, Psychotherapeut, Soziologe, Philosoph und Autor. Er leitet über von der eher augenzwinkernden wissenschaftlichen Herangehensweise von Peter und Parkinson zu einer Mischung von Ironie und Metaphysik. Dieser große Kenner des menschlichen Verhaltens und Meister der subversiven Ironie schreibt in seinem Buch „Anleitung zum Unglücklichsein“ zunächst in durchaus Kant´scher Manier:

„Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von guten Tagen.“

……………

„Machen wir uns nichts vor: Wo wären wir ohne unsere Unglücklichkeit? Wir haben sie bitter nötig, im wahrsten Sinne des Wortes. Unseren warmblütigen Vettern im Tierreich geht es nicht besser: Man besehe sich nur die monströsen Wirkungen des Zoo- Lebens, das jene herrlichen Kreaturen vor Hunger, Gefahr und Krankheit (einschließlich Zahnfäule) schützt und damit zu den Entsprechungen menschlicher Neurotiker und Psychotiker macht. (Sicherheit II, siehe weiter oben!)

……………………………

Wie die Zoodirektoren im kleinen, so haben es sich die Sozialstaaten im großen Maßstabe zur Aufgabe gemacht, das Leben des Staatsbürgers von der Wiege bis zur Bahre sicher und glücktriefend zu gestalten. Dies ist aber nur dadurch möglich, dass der Staatsbürger systematisch zur gesellschaftlichen Inkompetenz erzogen wird. 

……………………………

Watt für´n  Spruch!! (Ruhrpott- Deutsch, ich bin Huckarder Junge, wie man weiß).

Watzlawick schreibt weiter, nun eher im Geiste von Peter, Parkinson, über das stetig wachsende staatliche Regulierungs-, Versorgungs- und Überwachungssystem:

Man stelle sich vor, wie es um uns stünde, wenn dieser Aufwärtstrend zum Stocken käme oder gar rückläufig würde. Riesige Ministerien und andere Monsterorganisationen brächen zusammen, ganze Industriezweige gingen Bankrott, und Millionen von Menschen wären arbeitslos.

………………………….

Der Sozialstaat braucht die stetig zunehmende Hilflosigkeit und Unglücklichkeit seiner Bevölkerung so dringend, dass diese Aufgabe nicht den wohlgemeinten, aber dilettantischen Versuchen des einzelnen Staatsbürgers überlassen bleiben kann. Wie in allen anderen Sparten des modernen Lebens ist auch hier staatliche Lenkung vonnöten. Unglücklich sein kann jeder; sich unglücklich machen aber will gelernt sein, dazu reicht etwas Erfahrung mit ein paar persönlichen Malheurs nicht aus.

…………………………

Beeindruckend, nicht wahr? So hat man das meist noch gar nicht wahrgenommen. Denn seien wir mal ehrlich: Wir sind schließlich von Kindesbeinen daran gewöhnt, an die „Fürsorge“, wie das Sozialamt früher noch bei uns hieß, und der Ausbau erfolgt ja auch immer schleichend, in kleinen Schritten und jedes Mal wohl begründet: Wir wollen doch nur euer Bestes.


Die Metaphysik

Aber das sind nur die vordergründigen Ursachen (und Auswirkungen!) der selbst gewählten Misere. Die wirklichen Schäden erleiden wir im metaphysischen Sinn, nämlich im Verlust unserer eigenen Denkfähigkeit und damit dem schleichenden Verlust unserer persönlichen Freiheit. Denn noch schlimmer an dieser Entwicklung ist das, was Konrad Lorenz „die Verhausschweinung des Menschen“ nannte und was schon Kant mit seinem Begriff der Unmündigkeit beschrieb. Ich versuche mal, bei Kant ein wenig näher einzuhaken; bei dem ist allerdings „ein wenig“ schon  ziemlicher Stress.

Unmündigkeit, wie Kant sie definiert, hat sehr viel mit dem Verlust an persönlicher Freiheit zu tun. Mündigkeit dagegen ist die Fähigkeit, die Bereitschaft und der Wille, das Leben in die eigenen Hände zu nehmen, sich nicht fremdbestimmen zu lassen. Kant als religiöser Mensch hielt Unmündigkeit für ein fahrlässiges oder sogar vorsätzliches Zurückweisen, für eine Geringschätzung der uns von Gott gegebenen intellektuellen Fähigkeiten. Mit persönlicher Freiheit ist bei ihm wohlgemerkt nicht nur die Abwesenheit von Sklaverei, von Leibeigenschaft gemeint; die setzt er voraus. Nein, die Kant´sche persönliche Freiheit erstreckt sich viel weiter, nämlich auf das Bemühen, selbst zu denken, sich das Denken nicht von anderen abnehmen zu lassen. Dazu gehören nicht nur die kritische Einstellung zur Politik, der Wille zur aktiven Mitgestaltung aller Dinge, die uns persönlich angehen, sondern auch die Bereitschaft zur Kritik sich selbst gegenüber, und in unbedingter Folge der Selbstkritik der Wille zur Toleranz gegenüber anderen Lebenseinstellungen und Interessen. Der große Tucholsky hat das einmal so ausgedrückt: „Toleranz ist der Verdacht, dass der Andere Recht haben könnte.“

Das aber ist mit das Schwierigste, was es gibt auf dieser schönen Welt. Deswegen versuchen es die meisten gar nicht mit dem Selbstdenken, denn das macht Mühe. Informationen, und mit Informationen meine ich nicht die vorgekauten Meinungen, Schlagworte und Parteiprogramme, die üblicherweise für Informationen gehalten werden, echte Informationen also sind Holschulden. Niemand serviert sie einem auf dem Teller, auch wenn das immer behauptet wird, zumindest wenn man aussagefähige Informationen haben will. Kritische Herangehensweise ist angebracht, und das Hinterfragen jeder Behauptung ist unbedingt angeraten.

Kommen wir also jetzt zu Kant. Er schreibt (vollständiges Zitat weiter unten).**

Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. ‚Sapere aude!‘ (Etwa: „Wage zu wissen“ oder „Wage zu denken!“) Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

………………………………..

Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen. Daß der bei weitem größte Teil der Menschen den Schritt zur Mündigkeit, außer dem, dass er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben, und sorgfältig verhüteten, daß diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperreten, wagen durften; so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen drohet, wenn sie es versuchen allein zu gehen. Nun ist diese Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie würden durch einigemal Fallen wohl endlich gehen lernen; allein ein Beispiel von der Art macht doch schüchtern, und schreckt gemeiniglich von allen ferneren Versuchen ab.

…………………………………………….

Da bleibt wohl nichts weiter mehr zu sagen. Was aber auffällt: Schon er schreibt klar, dass mit der Freiheit, der Mündigkeit auch ein Verlust an Sicherheit einhergeht, oder anders ausgedrückt, dass man sich Freiheit nur damit erkaufen kann, dass man auch bereit ist, Risiken einzugehen (hinfallen). Oder auf Garantien zu verzichten. Die sowieso nichts oder nur wenig wert sind, wie wir gesehen haben.

Aber Kant ist beileibe nicht der Einzige, der sich so äußert. Zu Recht berühmt und unsterblich ist der Ausspruch der großen Marie von Ebner – Eschenbach:

„Die erbittertsten Feinde der Freiheit sind die glücklichen Knechte.“

Bei manchen Zeitgenossen scheint das nicht angekommen zu sein, obwohl dieser Satz einfach, prägnant und zutreffend ist. Wer kennt nicht den unsäglich, aber oft genug zu hörenden Satz des Untertanen, meist gebraucht bei Debatten über Abhörung und Datenschutz: „Sollen sie doch ruhig, ich habe schließlich nichts zu verbergen!“ So verkauft man sich selbst, und genau solche glücklichen Knechte, Untertanen braucht die Politik, brauchen die Geheimdienste, das Militär, die Verwaltungen, um sich völlig von allen Kontrollen abkoppeln zu können. NSA, CIA lassen grüßen.

Und last, but not least kommen wir damit zu einem Menschen, der im öffentlichen Bewusstsein mit allem in Verbindung gebracht wird, nur nicht mit seinem rigoros, sehr klar und sehr begründet vorgebrachten, unbedingten Anspruch auf die persönliche Freiheit, die Selbstbestimmtheit des Menschen: Albert Schweitzer, als Deutscher im Elsass geboren, Kosmopolit, Arzt, Theologe, Musiker und Kulturphilosoph (1875 – 1965):

„Ich bin ein freier Mensch. Ich will unter keinen Umständen ein Allerweltsmensch sein. Ich habe ein Recht darauf, aus dem Rahmen zu fallen – wenn ich es kann. Ich wünsche mir Chancen, nicht Sicherheiten. Ich will kein ausgehaltener Bürger sein, gedemütigt und abgestumpft, weil der Staat für mich sorgt. Ich will dem Risiko begegnen, mich nach etwas sehnen und es verwirklichen, Schiffbruch erleiden und Erfolg haben. Ich lehne es ab, mir den eignen Antrieb mit einem Trinkgeld abkaufen zu lassen. Lieber will ich den Schwierigkeiten des Lebens entgegentreten, als ein gesichertes Dasein führen; lieber die gespannte Erregung des eigenen Erfolgs als die dumpfe Ruhe Utopiens. Ich will weder meine Freiheit gegen Wohltaten hergeben noch meine Menschenwürde gegen milde Gaben. Ich habe gelernt, selbst für mich zu denken und zu handeln, der Welt gerade ins Gesicht zu sehen und zu bekennen: dies ist mein Werk. Das alles ist gemeint, wenn ich sage: Ich bin ein freier Mensch.“

Man sieht, wir befinden uns in bester Gesellschaft.

Kirchveischede, 17. August 2013

Manfred Nolting

Ein Jagdmensch


Fußnoten

* Eine altbekannte Tatsache mit nahezu Naturgesetz- Rang – schon Goethe fasste das im Faust I in Reime.

 

Es erben sich Gesetz’ und Rechte

Wie eine ew’ge Krankheit fort,

Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte

Und rücken sacht von Ort zu Ort.

Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage;

Weh dir, dass du ein Enkel bist!

Vom Rechte, das mit uns geboren ist,

Von dem ist, leider! Nie die Frage.

.

** Immanuel Kant, deutscher Philosoph, 1724 – 1804

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. ‚Sapere aude!‘ Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. 

Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen, dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt usw., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen.

Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen. Daß der bei weitem größte Teil der Menschen den Schritt zur Mündigkeit, außer dem, dass er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben, und sorgfältig verhüteten, daß diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperreten, wagen durften; so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen drohet, wenn sie es versuchen allein zu gehen. Nun ist diese Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie würden durch einigemal Fallen wohl endlich gehen lernen; allein ein Beispiel von der Art macht doch schüchtern, und schreckt gemeiniglich von allen ferneren Versuchen ab.!

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