Jagd an sich

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Die Jagd an sich

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Zitat: Jagd ohne tiefe Liebe zur Natur, ohne Kenntnis um und dauernde Neugier auf die Zusammenhänge des uns umgebenden Lebens, ohne Einfühlung in die Welt unseres Wildes, ohne Überlegung und Selbstreflexion, ohne Bewusstsein über die Auswirkungen unseres Tuns, ohne Freude an der Schöpfung oder Natur an sich, ist keine Jagd, jedenfalls nicht so, wie sie nach allgemeinem Verständnis begriffen wird. Es ist bloßes Töten.

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Jagd bedingt Töten und verursacht dadurch bei gefühlsmäßig „normal“ veranlagten Menschen oft Konflikte. Einerseits empfindet man tiefe Befriedigung bei der eigentlichen Tätigkeit, andererseits mündet das Ganze zwingend darin, dass man irgendwann töten muss, um einen Abschluss zu finden. Weil niemand eigentlich gern tötet, erklären wir darum die Jagd mit der Notwendigkeit, die Wildbestände zu regulieren, weil die natürlichen Beutegreifer nicht mehr da sind – und, zumindest ein Teil von uns, wehren uns mit Händen und Füßen gegen deren Wiederansiedlung. Man sieht, der Trieb ist stark ausgebildet, und die Widersprüche sind groß..

Wie durchgängig dieses Dilemma aber auch und gerade auch bei „Natur“- Völkern empfunden wird, ist bei Ethno- bzw. Ethologen abzufragen. (Interessante Frage am Rande: Wie definiert man „Naturvolk“?) Die Angehörigen vieler ursprünglicher Jägerkulturen sind fest davon überzeugt, dass jede sie umgebende Kreatur, auch jede Pflanze, jeder Baum, ja jeder Stein vom Schöpfer mit Seele ausgestattet ist, sie damit Mitgeschöpfe in des Wortes reinster Bedeutung sind. Auch wird zwischen dem Begriff Mitgeschöpf und Artgenosse vielfach gar nicht trennscharf unterschieden, man beachte das Totemsystem der nordamerikanischen Indianer, die Grenzen verschwimmen: Der Clan der Raben hier, der Clan der Wölfe, der Biber, der Karibus da. Keinem Jäger würde es einfallen, sein eigenes Totemtier zu töten, es wäre ein Sakrileg. Auf der anderen Seite hat er aber kein Problem damit, wenn sein Nachbar, der zum anderen Totem- Clan gehört, dies tut, vorausgesetzt, gewisse grundsätzliche Regeln werden eingehalten.

Vieles spricht dafür, dass es diese Vorstellungen auch bei unseren Altvorderen gab. Damit greift aber auch die Tötungshemmung, die jeder (menschlichen) Kultur gegenüber Mitgeschöpfen inhärent ist. Andererseits hängt das Überleben von der Jagd bzw. vom Jagderfolg ab. Um dieses wahrhafte Dilemma zu lösen, findet man, vor allem bei den Jägervölkern des Nordens, erstaunlich übereinstimmend oft folgenden Mythos, der als sehr real angesehen wird und im täglichen Leben streng befolgt wird:

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Der Schöpfer (Gott, der große Geist, etc.) hat alles geschaffen, also auch alles Jagdwild und alle Jäger – Bär, Wolf, Luchs, Mensch. Also kann Jagd an sich nicht gegen die Weltordnung verstoßen, denn sie ist ja vom Schöpfer gewollt, sie ist für einen Teil der Schöpfung lebensnotwendig und somit ein logischer Bestandteil des Schöpfungsaktes. Da alle Lebewesen beseelt sind und damit Bewusstsein haben, folgt daraus, dass Beutetiere wissen, dass sie getötet werden (können). Implizit folgt daraus, dass seine mögliche Tötung durch Beutegreifer (Jäger) vom Beutetier einfach als gegeben wahrgenommen wird, als Bestandteil der realen Welt, völlig wertneutral. Das wird in diesen Vorstellungen deswegen akzeptiert, weil das Beutetier darauf vertraut, dass sein Jäger die Regeln einhält und es damit im Kreislauf der Schöpfung wiedergeboren werden kann. Um das zu dokumentieren und zu sichern, werden vom Jäger gewisse rituelle Regeln eingehalten. Für das Beutetier ist damit die Wiedergeburt gesichert, die ja von existenzieller Bedeutung ist, für den Jäger bedeutet die Einhaltung dieser Rituale, dass seine Ernährungsbasis, der Wildbestand, erhalten bleibt und er seine Unschuld gegenüber der Schöpfung nicht verliert.

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Folgen auch wir (modernen) Jäger nicht tief unterbewusst diesem Gedanken? Wie anders lässt sich manches Brauchtum erklären, wie letzter Bissen, Totenwache? Dass es z. B. schon in der Steinzeit Jagdrituale gab, belegen eindrucksvoll die Weltkunstwerke der zahlreichen eiszeitlichen Höhlenfunde vor allem in Frankreich und Spanien. Hier ist belegt, dass diese Beschwörungsrituale uralt sind und vor allem, sich über eine ganz erstaunlich lange Zeit, nämlich von ca. 35.000 bis ca. 10.000 v. Chr. erhalten haben. Wir erinnern uns: Erfindung des Ackerbaus vor ca. 10.000 Jahren im Nahen Osten, Mitteleuropa wurde sogar erst ca. 3.000 Jahre später erreicht. Das sind immerhin 25.000 bzw. 28.000 Jahre!!, ein an sich unvorstellbarer Zeitraum, wenn man bedenkt, dass unsere belegbar überlieferte Kulturgeschichte bei allergrößtem Wohlwollen gerade einmal auf ca. 4.000 Jahre zurückblicken kann.

Hier wurde, nach aller jetzigen wissenschaftlichen Erkenntnis, Jagdzauber betrieben, im metaphysischen Sinn; eine übergeordnete, unfassbare Macht wird um Beistand gebeten. Vielleicht liegt in diesen Gedanken auch der Keim zum Glauben an die Wiederauferstehung bzw. ewige Wiedergeburt allen Lebens, der Keim zum Glauben an das Paradies. Denn wäre Jagd schlecht oder verstieße sie gegen die Weltordnung, wäre der Schöpfer nicht vollkommen, da er  Jagd und damit Jäger ja geschaffen hat. Wie anders als durch die Wiedergeburt oder die Unsterblichkeit kann ich aber der zu tötenden, beseelten Beute Genugtuung verschaffen bzw. deren Tod als bedeutungslos erscheinen lassen? Ist Religion, zumindest der Glaube an die Wiederauferstehung oder Wiedergeburt, damit eine Folge unserer Natur als Jäger? Entstand sie mit der Fähigkeit zur gedanklichen und logischen Erkennung und Verarbeitung dieses Dilemmas? Faszinierende Fragen. Aber sie liegen auf der Hand.

Denn eines ist sicher: Der Mensch bzw. Vormensch war bereits seit Urzeiten Jäger, wahrscheinlich lange bevor er die geistigen Fähigkeiten erlangte, religiöse und ethische Vorstellungen zu entwickeln. Naturreligionen akzeptieren die Jagd als selbstverständlichen Bestandteil ihrer Umwelt. Abgesehen vielleicht vom tief transzendenten, von keiner Naturreligion als Vorläuferin beeinflussten Buddhismus tun das alle Religionen, bis zur cluniazensischen Kirchenreform auch das Christentum. Erst danach begann eine kritische Betrachtung der Jagd, aber lediglich als Ablehnung der Jagdausübung durch den (höheren) Klerus, und zwar gedacht als bewusster Verzicht auf eine natürliche Verhaltensweise, so wie z. B. auch der Zölibat, beides mithin ein Teil  der mönchischen und klerikalen Askese. Mit wenig Erfolg, die passioniertesten Jäger des Heiligen Römischen Reiches waren bis zuletzt dessen (Fürst-) Bischöfe und (Reichs-) Äbte. Man sieht, der Trieb ist stark ausgebildet.

Heute ist diese Ablehnung im Wesentlichen irrational begründet durch die fast vollständige Entfremdung und Abkoppelung des Menschen zumindest im westlich orientierten Kulturraum von fast allen natürlichen Regelkreisen. Damit ist eine eigentlich paradoxe Umkehrung zu beobachten, nämlich der Versuch, die (fast) ewige Natur und ihre uralten Regelkreise mit einseitig kulturell begründeten, mithin äußerst kurzlebigen, kurzfristigen Wertvorstellungen nicht nur erklären, sondern sogar regulieren zu wollen. Gleichzeitig wird der Mensch in diesem Weltbild komplett aus dieser Welt herausgenommen, als Akteur ausgeschlossen; man kann sagen, er findet nicht mehr statt in Natur und Umwelt. Das halte ich eigentlich für die krasseste, verstörendste Art des Selbsthasses, der gewollten eigenen Ausgrenzung, die ich mir vorstellen kann.

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Kirchveischede, 11. Mai 2012

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Manfred Nolting

Ein Jagdmensch

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