Vorhaltemaß II

oder

Gibt es selbstlenkende Geschosse?

Vor allem in den letzten Monaten hatte ich eine Menge Besucher auf meinem Beitrag Vorhaltemaß zu verzeichnen. Das freut mich. Ich bekomme aber auch den einen oder anderen kritischen Kommentar bzw. Anfragen mit dem Tenor: Das ist alles Theorie, die Praxis sieht anders aus. Auf meine Frage, warum denn, kommt meist die Antwort, dass, mit Verlaub, das alles Quatsch sei mit dem Vorhaltemaß. Das lese sich zwar theoretisch gut, und einen logischen Fehler könne man auch nicht finden. In der Praxis aber gehe das so: Man ist drauf, man lässt fliegen und bumms, fallen die um. Die Erklärung dafür: Das Geschoss übernehme ja auch die Horizontalbewegung des Gewehrlaufs beim Mitschwingen, und damit erfolge sozusagen eine automatische Korrektur der Schussbahn. Das Geschoss folgt nach diesem Ansatz also quasi dem Ziel. Wenn man so will, eine jagdliche Lenkwaffe also.

Befassen wir uns also einfach mal damit, denn ich höre das ja von Leuten, die oft gute Schützen sind und erfolgreiche Jäger. Und Tatsache ist, sie empfinden das so. Das liegt aber nicht daran, dass in diesen Fällen die Gesetze der Physik nicht mehr gelten oder zumindest kurzfristig aufgehoben sind. Der banale Grund ist: Gerade weil sie gute Schützen sind, und das wird man durch Übung, ist der Bewegungsablauf beim Schießen bei ihnen derart automatisiert, dass sie das, was sie schildern, auch subjektiv so empfinden. Tatsächlich aber halten sie, unbewusst, mit dem nötigen Maß vor. Die Realität und die Physik, die sprechen da nämlich objektiv eine eindeutige Sprache.

Was aber sagen die beiden, Realität und Physik? Warum ist es zu vernachlässigen, dass die Waffe ja in einer Seitwärtsbewegung ist? Überträgt sich der horizontale Bewegungsimpuls beim Mitschwingen und der Zielverfolgung etwa nicht auf das Geschoss?

Natürlich tut er das, und das Geschoss behält diesen Impuls auch, den es einfach mitbekommt, während es sich im noch geschlossenen Waffensystem befindet. Aber es bekommt eben nur so viel kinetische Energie mit, wie die absolute tatsächliche Bewegung des Laufs ist in dem Augenblick, in dem das Geschoss die Mündung verlässt, es mitgibt. Exakt diesen Horizontal- Impuls, nämlich den der Laufmündung beim Verlassen des Geschosses, bekommt es mit. 1)

Überprüfen Sie das mal: Das sind max. einige Zentimeter pro Sekunde, sagen wir mal drei bis fünf, je nach Geschwindigkeit und Entfernung des bewegten Ziels. Und drei bis fünf Zentimeter pro Sekunde seitlicher Bewegungsimpuls machen in 1/10 Sekunde, die Zeit, die das Geschoss bis zum Ziel braucht, im Ziel eben nur 0,3 bzw. 0,5 cm an seitlicher Abweichung aus. Oder 3 bis 5 Millimeter eben. Damit sollten wir uns nun wirklich nicht weiter aufhalten.

Das Geschoss bewegt sich also nicht, wie dieser Ansatz voraussetzen würde, in einer gedachten horizontalen Seelenachsen- Verlängerung weiter. Das ist schon deshalb nicht möglich, weil es dazu während des Flugs horizontal beliebig beschleunigt werden müsste, völlig unmöglich, wir wären, beliebige Entfernung angenommen, schnell bei Überlichtgeschwindigkeit.

Das Geschoss bewegt sich einfach nur vorwärts, mit einer ganz geringen seitlichen Abweichung durch die horizontale Laufbewegung. Währenddessen bewegt sich das Ziel, das beschossene Stück, sehr viel schneller weiter als diese drei Zentimeter pro Sekunde, nämlich meist in Größenordnungen von 25 bis 45 Km/ h – und das sind zwischen 6,94 bzw. 12,50 Meter pro Sekunde. Oder, umgerechnet auf die übliche Schussentfernung von sagen wir 50 Metern bei einer Geschossgeschwindigkeit von 700 m/s und die daraus resultierende Zeit zwischen Schuss und Einschlag im Ziel (0,0714 Sek.), zwischen 49,6 bzw. 89,3 Zentimeter.

Auch wenn wir nach dem Schuss mit der Laufmündung weiter auf dem Stück sind und bleiben – das Geschoss tut das nicht, es „hinkt hinterher“, mit geradezu boshafter Konsequenz. Und deswegen müssen wir dieses Hinterherhinken, die Korrektur quasi vorwegnehmen – womit wir wieder bei unserem Vorhaltemaß wären.

Es nützt nichts, Physik bleibt Physik – wir müssen weiter üben.

Gerade Jungjäger. Wenn man dann so weit ist, dass das reflexartig geht, dass man das Vorhalten gar nicht mehr bewusst mitbekommt, sind wir da, wo wir hinwollen. Das dauert meist gar nicht so lange, wie manche das befürchten.

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Kirchveischede, 1. Dezember 2015

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Manfred Nolting

Ein Jagdmensch

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1) Das ist auch logisch, denn wäre es anders, müsste sich jede spätere Impulsänderung des Gewehrlaufs, ob horizontal oder Vertikal, nach Verlassen des Geschosses ja quasi per Telekinese auf das Geschoss übertragen können. Es gilt also die banale Weisheit: Ist das Geschoss aus dem Lauf, ist Ende im Gelände, das holst Du nicht mehr zurück. Danach folgt, Gott sei Dank selten, die bittere Lehre: „Jeder ist für seinen Schuss verantwortlich.“ 

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Drall- Länge, Drallwinkel und ihre Bedeutung im Jägeralltag

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Der Schuss aus einer Feuerwaffe, in unserem Fall einer Jagdwaffe, ist von so vielen voneinander abhängigen und jeweils vielfältig aufeinander einwirkenden physikalischen Vorgängen und Gesetzmäßigkeiten bestimmt, dass man, hat man sich mal näher mit dem Thema beschäftigt, sich wundert, dass das Ganze so verlässlich, präzise und wiederholbar funktioniert. Wenn man´s richtig macht, natürlich.

Das fängt an mit Arbeitsdrücken von bis zu ca. 4.500 bar während der Schussentwicklung im Büchsenlauf, immerhin das ca. 2.000- fache eines durchschnittlichen PKW- Reifens. Die werden bewirkt durch den kontrollierten Abbrand des Schießpulvers, das sich dabei umwandelt in Treibgas, dessen Volumen unter Normaldruck das ca. 14.000- fache des ursprünglichen Pulvers beträgt.

Jawohl, kontrollierter Abbrand. Denn im Lauf findet beileibe keine Explosion oder gar Detonation statt, wie man sich das laienhaft vorstellen könnte. Der Abbrand bei der Schussentwicklung nennt sich Deflagration (lat. für „Abbrand“) und bewirkt einen kontrolliert ansteigenden Druckaufbau, auch wenn das sehr schnell vonstattengeht. Geht diese Deflagration über in eine unkontrollierbare Detonation, das passiert ab und an z. B. durch Drucksprünge, verursacht durch fehlerhaft geladene Patronen, falsche Munition (die Verwechslung von 8 x 57 I, 0,319 inch, und 8 x 57 IS, 0,323 inch, ist hier der Klassiker!), durch verstopfte oder verdreckte Läufe, ist eine Waffensprengung unausweichlich. Zitat eines Standard- Werks über Explosivstoffe: „Es ist kein Material bekannt, das dem Detonationsstoß eines brisanten Sprengstoffes unmittelbar standhalten kann.“ Zitat Ende. Keine Abschwächung wie z. B. „unter Umständen“.

Das geht weiter mit der Querschnittsbelastung (QB), ein ballistischer Begriff, über den ich vor einiger Zeit hier schon einen Beitrag veröffentlicht habe. Die QB wird meiner Meinung nach von den Munitionsherstellern ziemlich stiefmütterlich behandelt; aber auch bei der Jägerausbildung wird sie oft übergangen. Dabei ist sie eine wichtige Kenngröße unserer Jagdmunition.

Daneben spielen natürlich auch noch andere Größen eine Rolle. Ich habe sie im Beitrag über die QB nicht erwähnt, weil ich wollte, dass das Ganze auch für Otto Normaljäger verständlich bleiben soll. Nach mehreren Anfragen will ich auf einen dieser Faktoren aber noch näher eingehen, weil er zusammen mit der QB einen wesentlichen Einfluss auf das Schussverhalten hat:

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Die Dralllänge (DL) des Laufs.

Die Dralllänge gibt die Strecke an, innerhalb der sich das Geschoss, in die Züge eingepresst, in der Beschleunigungsphase im Lauf einmal um die eigene Achse dreht. Die Dralllängen sind für die einzelnen Kaliber eigentlich festgelegt, siehe weiter unten. Meine Quelle ist dabei das DEVA- Wiederladerhandbuch, 5. aktuelle Auflage. Die DEVA gibt bei ihren Kaliberbeschreibungen Standard- Dralllängen an.

Es lohnt sich jedoch sehr bzw. es ist unbedingt anzuraten, beim Kauf einer Waffe nach der individuellen Dralllänge zu fragen. Man sollte sie sich sogar ausdrücklich angeben und bestätigen lassen bzw. spezifische Vorgaben machen, da viele Waffenhersteller in den letzten Jahren dazu übergegangen sind, für einige Kaliber Läufe mit verschiedenen Dralllängen herstellen zu lassen und zu verwenden. In aller Regel nämlich beziehen die „Waffenschmieden“ die Läufe, also die eigentliche Seele der von ihnen hergestellten Waffen, von einigen wenigen Spezial- Herstellern, den wirklichen Schmieden also. Diese Hersteller wiederum (bei Jagdwaffen meines Wissens mit weitem Abstand Walther, Rheinmetall eher für die Militärs, einige kleinere Spezial- Anbieter) arbeiten nach Vorgabe. Was heißt: Die Konfigurierer, so will ich sie mal nennen, also Blaser, Sauer, Merkel, Mauser usw. geben vor, was produziert wird.

Wenn dann zwei Käufer je eine Waffe beim gleichen Hersteller im gleichen Kaliber bestellen, kann es passieren, dass den beiden zwar äußerlich absolut identische, aber dennoch deutlich unterschiedliche Waffen ausgeliefert werden, und zwar mit Läufen unterschiedlicher Dralllängen. In aller Regel wird nämlich versäumt, auf diese Tatsache hinzuweisen und dem Käufer die daraus resultierenden abweichenden Schusseigenschaften klar zu machen. Ich halte das für ein Problem, denn die praktischen Auswirkungen können gravierend sein, wie wir gleich sehen werden. Ich weiß nicht, warum das so gehandhabt wird; ein Grund könnte sein, dass man so dem abstrusen Bleifrei- Hype Rechnung tragen will.

Rechtlich ist das Ganze nicht zu beanstanden und zulässig, da Dralllängen als nicht sicherheitsrelevant eingestuft sind und damit in den amtlichen Maßtabellen nicht genannt werden (müssen). Die Waffe selbst ist in waffen- und sicherheitstechnischer Hinsicht auch völlig ok. Die möglichen auftretenden Probleme liegen lediglich in der Präzision der Waffe in dem vom jeweiligen Käufer angedachten und bezweckten Einsatz, dem manchmal die technische Ausstattung nicht entspricht. Die Waffe „schießt einfach nicht“, wie man das dann oftmals ratlos hört. Dem Gesetzgeber ist das – mit Recht – völlig egal, schließlich ist der Staat nicht dazu da, unsere täglichen Probleme zu lösen. Aber den Waffenherstellern oder Verkäufern sollte es nicht egal sein, und dementsprechend sollten die Kunden aufgeklärt werden darüber, was sie da eben für viel Geld käuflich erworben haben; eine Frage des Kundendienstes. Es ist nach meiner Erfahrung auch nie böser Wille. Aber es ist eben fahrlässig im Sinne des Käufers / Jägers.

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Grundlagen

Es gilt die grobe Faustformel:

Je geringer die Dralllänge (oder je steiler der Drallwinkel), desto besser werden schwere Geschosse (= hohe Querschnittsbelastung!) stabilisiert. Sie rotieren im Verhältnis zu ihrer geringeren Fluggeschwindigkeit gegenüber leichten Geschossen schneller, einfach gesagt. Je schneller ein Geschoss sich um die eigene Längsachse dreht, desto richtungsstabiler ist es. Das ist gerade bei schweren und damit längeren Geschossen wichtig. Geschosse sind, sobald sie den Lauf verlassen haben, verschiedenen Kräften ausgesetzt; die wichtigste für uns ist der Luftwiderstand. Dem bieten schwere und damit lange Geschosse auf Grund ihrer größeren Oberfläche natürlich größere Angriffsflächen als leichte und damit vergleichsweise kurze Projektile. Dazu kommt: Bei den gängigen Geschossen 1) liegt der Schwerpunkt in der hinteren Hälfte des Geschosskörpers (Spitz-, Ogivalform). Vereinfacht ausgedrückt verfügt der Luftwiderstand damit über einen größeren Hebel, um die Geschoss- Achse aus der Zielrichtung zu drücken. Bei einem rotationslosen Langgeschoss z. B. würde das umgehend in einem haltlosen und unkontrollierten Überschlagen während des Fluges enden. An verlässliche Präzision ist dabei überhaupt nicht zu denken.

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Historische Entwicklung

Früher war man sich des Problems nicht bewusst. Die ersten Läufe von Handfeuerwaffen waren einfach denen der Kanonen, Kartaunen, Feldschlangen und wie sie alle hießen nachgebaut: Glattrohre. Und man verschoss daraus Rundkugeln, genau wie aus Kanonen, aus Handfeuerwaffen allerdings aus Blei statt, wie bei alten Kanonen, aus Eisen, noch früher sogar aus Stein. Man hatte schnell herausgefunden, dass Rundgeschosse aus den glatten Läufen einfach die beste Lösung darstellten: Kugeln brauchen keinen Drall, weil die Präzession z. B. hier vernachlässigbar ist. Allerdings waren diese Waffen auch weit unpräziser, schon auf Distanzen von 20 Metern streuten sie nach heutigen Begriffen katastrophal. Das wurde aber damals nicht als Problem empfunden, denn die ersten Hand- Kurzfeuerwaffen (Pistolen) wurden ausschließlich im Nahkampf eingesetzt. Selbst Duelle wurden auf der Distanz von ca. 20 Metern ausgetragen, und damit erklärt sich auch, warum viele Duelle damals tatsächlich schadlos ausgingen für die Kombattanten: Die schossen einfach aneinander vorbei, auf 20 Meter! Mit dem erfolgten Schusswechsel galt der Streit dann aber als ehrenhaft beigelegt. Bei Musketen, also Hand- Langfeuerwaffen, war die Treffsicherheit zwar besser, aber auch nicht von ausschlaggebender Bedeutung: Man feuerte salvenweise, und das Ergebnis war aus Gründen der damaligen Taktik verheerend: Ein geschlossene Salve auf 100 Meter, mit Bleibatzen von bis zu 50 Gramm Gewicht halbkörperhoch in dicht geschlossene Reihen geschossen, hatte verheerende Wirkung, wie man sich leicht vorstellen kann.

Das änderte sich in der Neuzeit. Vor allem die Revolutionskriege nach 1789 bewirkten, dass auch von militärischer Seite höhere Präzision gefordert wurde, und zwar vor allem durch die von den Franzosen in den Revolutionskriegen aus reiner Not weiter entwickelte Taktik der aufgelösten Schlachtordnung. Die Franzosen standen damals allein einer Allianz aller Monarchien Europas gegenüber. Sie waren also gezwungen, Antworten zu finden auf brachiale Übermacht, und sie fanden sie: Sie machten sich die damals übliche starre Schlachtordnung zunutze. Die Revolutions- Generäle gingen nicht nur davon ab, sondern nutzten sie auch zu ihrem Vorteil aus. Sie verteilten ihre Einheiten, ließen aufgelöste Verbände unter weitgehend selbständiger Führung von Frontoffizieren bilden, ließen sie Geländeprofile ausnutzen, schießen, zurückziehen, laden, umgruppieren, wieder angreifen, schießen usw. – und erzielten aufsehenerregende Erfolge mit dieser „Plänkler“- Taktik, wie sie schnell hieß. Schnell zog man daraus den Schluss, dass man auf diese Weise natürlich umso effektiver kämpfte, je größer die Kampf- Distanzen waren. Man forderte also höhere Präzision in der Schussleistung.

Nun waren die Leute damals ja nicht dümmer als wir heute, nur hatten sie bei weitem nicht unsere heutigen Möglichkeiten der Beobachtung und Dokumentation: Hochgeschwindigkeits- Filme von 10.000 Aufnahmen pro Sekunde hätten die damals sicher auch gern gehabt. Es blieb also nichts anderes, als logische Schlüsse aus lange bekannten Beobachtungen zu ziehen. Man hatte weit früher schon bemerkt, dass Pfeile, von Bögen, und Bolzen, von Armbrüsten verschossen, ihre Ziele auf größere Distanzen weit präziser trafen als Rundkugeln aus Glattrohr- Gewehren. Man hatte auch sehr schnell den Verdacht, dass das vor allem darauf zurückzuführen war, dass Pfeile im Verhältnis zum Durchmesser lang waren, dazu war seit langem bekannt, dass eine leicht schräge Anordnung der Fahnen, also der Befiederung am Pfeilende, die Präzision noch einmal erhöhte. Man mutmaßte, dass die schräge Anordnung der Fahnen dafür verantwortlich war. Es wurde der richtige Schluss gezogen und der Vorteil der Geschoss- Rotation erkannt.

Damit begannen die ersten Büchsenmacher zu experimentieren. Die Frage war: Wie erreiche ich Rotation des Geschosses in einem Büchsenlauf? Von dieser Frage bis zur Antwort von spiralig eingeschnittenen Zügen im Laufinneren war es nicht weit, und das geschah schon früh, also schon im 16. Jahrhundert, in fränkischen Waffenschmieden. Es kam allerdings sehr schnell Frust auf: Erstens musste man damals diese Züge (oder „Riefen“, das englische Wort „rifle“ für unsere Büchse stammt daher) ungeheuer aufwändig per Hand in jeden einzelnen Lauf einschneiden. Zweitens stellte man schnell fest, dass die Züge bei Rundkugeln relativ wenig brachten. Bis dann ein kluger Büchsenmacher auf die Idee kam, es den Pfeilen nachzumachen und ein langes, walzenförmiges Bleigeschoss zu verwenden: Der Erfolg war frappierend. Und er wurde schnell noch weiter ausgebaut, als man das Geschoss (reines Blei damals!) vorn spitz ausbildete, vor allem aber, als ein genialer BüMa auf die Idee kam, das Geschoss am hinteren Ende mit einem so genannten „Gas- Dichter“ zu versehen, einer kleinen Einfassung aus dünnem Kupferblech. Denn reines Blei war einfach zu weich, hatte zudem einen zu geringen Schmelzpunkt, um die hohen Temperaturen der Pulverladungen schadlos zu überstehen; vor allem bei hohen, „schnellen“ Ladungen kam es damit zu massiven Präzisions- Problemen durch Verformung des Geschosses bis hin zur Anschmelze. Vom „Gas- Check“ bis zur vollständigen Ummantelung des Geschosses mit zäh- elastischen Tombak- oder Messing- Legierungen war es dann nur noch ein kleiner Schritt. So viel zur historischen Entwicklung.

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Heute

Bei aller handwerklich- theoretischen Genialität bleiben natürlich die Störkräfte weiterhin wirksam, ihre Folgen sind aber durch die Rotation unter Kontrolle. Die Reste dieser Chaos- Bewegungen sind auch nach wie vor vorhanden. Der Ballistiker spricht von der Präzession. Dabei handelt es sich um leichte, die drallbedingte Rotation des Geschosses überlagernde Pendelbewegungen des Geschosses um seine Rotationsachse 2). Ziel des bei schweren Geschossen verwendeten steilen Drallwinkels ist also eine möglichst hohe Rotationsgeschwindigkeit des Geschosses, denn je höher die ist, desto größer ist die Richtungsstabilität bzw. die Resistenz des Projektils gegen diese äußerlichen Störkräfte. 3)

Aber auch hier wiederum gibt es physikalische Grenzen, die Fliehkraft nämlich. Ein Geschoss, nehmen wir eine normale .30-06 mit einer V0 von 800 m/s, rotiert bei einer Dralllänge von 25,4 cm (10 inch) mit 3.150 Umdrehungen pro Sekunde (800 m/s geteilt durch 0,254 m). Das bewirkt rabiate Zentrifugalkräfte. Vor allem bei billigen Geschossen kann es tatsächlich passieren, dass sich schon während des Flugs hierbei der Geschossmantel vom Kern trennt, das Geschoss zerlegt sich, es kommt nur noch eine Partikelwolke an. Man kann also auch die Drallstabilisierung nicht bis ins Unendliche steigern.

Gleichzeitig ist dieser steile Drallwinkel (bzw. die kurze DL) ein weiterer natürlicher Begrenzungsfaktor für die Beschleunigung des Geschosses. Bis zu gewissen Grenzen, siehe Übergang der kontrollierten Deflagration in unkontrollierbare Detonation, ist es möglich, auch ein schweres Projektil im Lauf hoch zu beschleunigen. Dann aber neigt das Geschoss auf Grund der hohen Beschleunigungs- und gleichzeitigen Trägheitskräfte im Lauf dazu, einzelne Drallfelder zu überspringen (Schlupf); die Folge ist erheblicher Präzisionsverlust. (Man aber kann im Hinblick auf die erwähnten Drucksprünge nicht vorsichtig genug sein mit solchen Experimenten!)

Leichte und damit kürzere Geschosse wiederum kommen mit einer deutlich größeren Dralllänge klar bzw. brauchen die sogar. 4) Sie können aus eingängigen physikalischen Gründen höher beschleunigt werden: Zunächst sind sie wegen ihrer niedrigeren Masse weniger träge. Vor allem aber sind sie auf Grund ihrer geringeren Kontaktfläche weniger Reibungskräften im Lauf ausgesetzt. Der niedrige Drallwinkel tut ein Übriges. Damit kann der Druckaufbau im Lauf schneller erfolgen, die Beschleunigung und damit auch die Geschoss- Geschwindigkeit erhöhen sich deutlich – und damit übrigens die Rotationsgeschwindigkeit des Geschosses. Mathematik und Physik behalten Recht. Und auch Einstein mit seiner Feststellung, dass alles in dieser schönen Welt relativ ist bzw. so gesehen werden muss.

Damit fallen während des Flugs des leichten Projektils die Störkräfte Luftwiderstand und Präzession auf Grund des kürzeren Geschosskörpers wesentlich niedriger aus, der Luftwiderstand findet weniger Angriffsfläche als beim langen, schweren Geschoss. Trotzdem verliert das Geschoss überproportional an Geschwindigkeit und damit kinetischer Energie gegenüber dem schwereren Projektil. Da kommen Fragen auf. Die Antwort allerdings ist simpel: Eine ganz wichtige Störkraft hat relativ zum niedrigen Geschossgewicht gesehen eben eine größere Wirkung.

Und damit kommen wir zum Bodensog, einem weiteren ballistisch- physikalischen Begriff. Der Bodensog hat mit der Strömungsdynamik zu tun. Ein Körper, der sich durch ein Medium (Wasser, Luft) bewegt, erzeugt damit im Medium Strömungen, die am bewegten Körper selbst bzw. um ihn herum Wirbel erzeugen. Am Ende des bewegten Körpers bewirken diese Verwirbelungen Unterdruck. Jeder Motorsport- Bewegte, vor allem aber LKW- Fahrer kennen dieses Phänomen, den berühmten „Windschatten“, den Sog also des Vordermanns, den man als geschickter Fahrer ausnutzen kann, um aus diesem vom Vordermann erzeugten und dessen Kräfte zehrenden Unterdruck heraus höher zu beschleunigen als er, vulgo zu überholen. In der Fliegerei ist das Phänomen als „Wirbelschleppe“ bekannt und ein ganz tückisches Ding. Ballistisch gesehen bewirkt dieser Bodensog eben eine Abbremsung des Geschosses, und zwar in quadratischer Proportion zur Bodenfläche des Geschosses. Was wiederum jetzt dem kundigen Leser klar macht, warum leichte Geschosse gegenüber schwereren überproportional an Rasanz und damit kinetischer Energie verlieren.

So weit zunächst zu den innen- und außenballistischen Zusammenhängen und zur zugegeben kopflastigen Einleitung für den nachfolgenden Praxisteil. Ich höre jetzt mal auf mit der Theorie, man muss als Jäger schließlich auch nicht ausgebildeter Ballistiker sein. Aber für manche scheint es eben doch interessant zu sein, ein wenig mehr darüber zu wissen, wie ich festgestellt habe.

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Die Praxis

Dralllängen um 250 mm (10 Zoll = 254 mm) gelten als mittlere DL, Dralllängen darunter als schultersteil. Bei den in Europa gebräuchlichen „dicken Pillen“ läuft der Wert bei 400 mm aus. Bei ausgewiesenen Großwild- Kalibern wie z. B. der .470 NE liegt sie über 500 mm, aber auch die ausgesprochen gutmütige, aber trotzdem auch bei uns sehr brauchbare .45-70 Government fällt in diese Klasse; die .444 Marlin wartet gar mit stolzen 965 mm auf.

Einige Beispiele (Kaliber und Standard- Dralllängen):

.22 Hornet                                                     405 mm

.222 Remington                                             356 mm

.223 Remington                                             305 mm

5,6 x 50 Magnum                                           350 mm

5,6 x 57 (R)                                                   250 mm

.243 Winchester                                             254 mm

6,5 x 55 SE (Schweden-Mauser)                       220 mm

6,5 x 57 (R)                                                   200 mm

6,5 x 65 (R)                                                   200 mm

6,5 x 68 (R)                                                   250 mm

.270 Winchester                                             254 mm

7 x 57 (R)                                                      220 mm

7 x 64, 7 x 65 R                                             220 mm

.308 Winchester (Nato- Kaliber)                      305 mm

.30-06 Springfield                                           254 mm

.300 Win. Mag.                                              254 mm

.30 R Blaser                                                   305 mm

8 x 57 I(R)S                                                   240 mm

8 x 68 S                                                         280 mm

8,5 x 65 (R) Reb                                             254 mm

.338 Win. Mag.                                              254 mm

9,3 x 62                                                         360 mm

9,3 x 64                                                         360 mm

9,3 x 74 R                                                      360 mm

.375 H & H Magnum                                       305 mm

.416 Rem. Mag.                                             356 mm

.416 Rigby                                                     420 mm

.45 Blaser                                                      356 mm

.458 Win. Mag.                                              356 mm

.45-70 Government                                        508 mm

.470 Nitro Express                                         533 mm

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Rückschlüsse

Betrachtet man die obigen Angaben, fällt die U- Kurve auf. Bei den .22 er „Stricknadel“- Kalibern fängt es relativ hoch an, ein Hinweis auf die verwendeten relativ leichten Geschosse und die gleichzeitig überall hohe V0. Dann aber geht es schnell in den mittleren Bereich, beginnend schon mit der beeindruckenden 5,6 x 57 (R), die nicht umsonst mit den für dieses Kaliber sehr schweren 4,8 – Gramm- Geschossen am besten bestückt ist. Ab Kaliber .243 sind wir im unteren 200 er- Bereich, der, mit einigen Ausreißern, sich dann über die 300 er- Marke bewegt.

Das heißt also, dass die Drall- Längen mit steigenden Kaliberdurchmessern (Diameter) in der Tendenz zunehmen. Das hat etwas mit den Relationen zwischen Diameter und durchschnittlichen Geschossgewichten in den jeweiligen Kaliberklassen zu tun, also mit der Querschnittsbelastung. (womit wir die Verbindung hergestellt haben!). Die QB nimmt dagegen tendenziell „nach oben“ ab. 5)

Das wiederum hat einfach was zu tun mit dem Spagat zwischen der Notwendigkeit auf der einen Seite, genügend kinetische Energie ins Ziel bringen zu müssen, um bei Großwild wie z. B. Elefant, Hippo oder Büffel die nötige Tötungswirkung zu erzielen, und auf der anderen Seite der Grenze der physischen Belastbarkeit derjenigen, die hinter den Mitrailleusen stehen. Im Klartext: Solche Waffen müssen für Jäger noch beherrschbar sein, Schlüsselbein- Zertrümmerer und Zahnplombenlockerer sind einfach unpraktisch.

Bekannt und berüchtigt sind in dieser Hinsicht die .378, vor allem aber die .460 Weatherby Magnum. Ich habe mit Jägern mit Afrika- Erfahrung gesprochen, also Leuten, die wirklich hart im Nehmen sind, die mir glaubhaft versichert haben, dass sie die Jagd in Afrika auf der Stelle aufgeben würden, wenn es nur die .460 Weatherby Magnum als Patrone gäbe. Das wiederum hat was zu tun mit dem Sinn und Unsinn der Notwendigkeit von „Feldgeschützen“ im wahrsten Sinne des Wortes und mit der Einsicht, dass man selbst bei Großkalibern „übermotorisiert“ unterwegs sein kann.

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Ein praktisches Beispiel

Kommen wir jetzt aber wieder zurück zum europäischen Jägeralltag und zu unseren gängigen Kalibern. Welchen praktischen Nutzen kann uns das Wissen um die Auswirkungen und Eigenarten des Dralls bringen? Wie wir gleich sehen, einigen. Der Jäger nämlich hat damit eine ganz passable Orientierungsgröße an der Hand, wenn er z. B. die Auswahl zwischen zwei verschiedenen diametergleichen Patronen hat. Er kann sich bei der Wahl durch die Beachtung der Dralllänge ein Bild darüber machen, welche Waffe bzw. welches Jagdkaliber eher für leichte und welches eher für schwerere Geschosse ausgelegt ist.

Vergleicht man nämlich zwei solche Waffen für Patronen mit gleichem Diameter wie z. B. die .308 Winchester (das so genannte Nato- Kaliber, metrisch 7,62 x 51 mm) und die .30-06 Springfield (metrisch 7,62 x 63 mm, beide Diameter .308 inch), dann lassen sich gewisse Rückschlüsse ziehen. So ist zu vermuten, dass die .308 Winchester auf Grund des längeren (Standard-) Dralls von 305 mm mit schwereren Geschossen eher Präzisionsprobleme haben wird als die .30-06 mit ihrer DL von 254 mm. Das heißt, steht man vor der Wahl zwischen beiden, sollte man auf die Reviergegebenheiten, die individuellen jagdlichen Präferenzen, den Einsatzzweck achten. In Revieren mit Sauen- und Rotwildbestand z. B., in denen es darauf ankommt, dieses für unsere Verhältnisse relativ schwere Wild sicher zur Strecke zu bringen, wo also schwerere Geschosse mit entsprechenden „Reserven“ von Vorteil sind, spräche einiges für die .30-06 Springfield. Sie stabilisiert mit ihrem kurzen Standard- Drall Geschosse bis ca. 13 Gramm zuverlässig (ideal sind bei diesem Kaliber nach meiner Erfahrung die 11,7 Gramm- bzw. 180- Grains- Geschosse). Die .308 mit ihrer guten Verträglichkeit mit eher leichteren Geschossen (längerer Drall) und ihrer bekannt guten Eigenpräzision wäre dann eher die Patrone für das Rehwildrevier mit gelegentlichem Sauenvorkommen.

Das Wissen um diese Zusammenhänge gibt einem aber noch andere Möglichkeiten der Steuerung. Bleiben wir dabei beim Beispiel der guten alten .308 Winchester. Wenn ich ein überzeugter Anhänger dieses Kalibers bin und ich weiß, dass für dieses Kaliber mittlerweile Läufe mit Dralllängen von 8 bis 12 Zoll hergestellt werden, kann ich also beim Kauf der Waffe die Dralllänge fordern, die dem gedachten Einsatzbereich optimal gerecht wird. Will ich überwiegend Rehwild schießen, aber auch für das manchmal vorkommende Überläuferchen ausreichend bewaffnet sein, lege also Wert auf leichtere Geschosse, verlange ich einen Lauf mit längerem Drall. Bin ich eher festgelegt auf z. B. Schwarzwild, gehe ich eben den anderen Weg und gebe einen kürzer gedrallten Lauf für den Einsatz mit eher schwereren Geschossen vor.

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Fazit

Das sind zwar alles keine zu 100 % gültigen Gesetze, aber man kann sich i. d. R. schon sehr darauf verlassen. Es kann aber durchaus bei Einzelwaffen Ausnahmen geben, bedingt vielleicht durch ein nicht optimales Schwingungsverhalten eben dieses Laufs. 6) Man kann außerdem beispielsweise durch die Herabsetzung von Geschossgeschwindigkeiten innerhalb gewisser Grenzen korrigierend eingreifen.

Ein gutes Beispiel für ausgesprochene „Gutmütigkeit“ bieten auch die beiden deutschen Kaliber 9,3 x 62 und 9,3 x 64; trotz ihrer großen DL von 360 mm stabilisieren die auch noch die 18,5 Gramm- Geschosse i. d. R. sehr gut und sind damit in jeder Hinsicht auch auf schwerstes Hochwild tauglich. Die 9,3 x 64 übrigens ist in Bezug auf die ballistischen Daten und die Zielballistik nicht nur vergleichbar mit der ungleich berühmteren .375 Holland & Holland Magnum, sondern übertrifft sie sogar in einigen Parametern. Nur hat sie eben das Diameter .366 statt des in vielen dieser Länder geforderten Kalibers .375.

Alles in allem ist es gerade im alltäglichen Jägerleben von Vorteil, wenn man solche Zusammenhänge in den Grundzügen kennt und sie von vorn herein berücksichtigen kann. Man erspart sich oft viele Probleme, vor allem teure Fehlkäufe.

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Kirchveischede, 29. Oktober 2015

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Manfred Nolting

Ein Jagdmensch

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1) Dieser Effekt dürfte sich bei bleifreien Geschossen auf Grund der erheblich niedrigeren spezifischen Dichte von Kupfer gegenüber Blei noch erheblich stärker auswirken.

2) Die ihrerseits wieder überlagert wird durch die sogenannte Nutation; aber das würde jetzt hier wirklich zu weit führen.

3) Geschosse ohne ausreichende Rotation sind instabil, überschlagen sich durch den Luftwiderstand. Wer hat nicht schon einmal das giftige, hässliche Brummen eines Querschlägers gehört.

4) Kurzdrallige Läufe führen bei leichten Geschossen in Verbindung mit deren hoher Geschwindigkeit zur sogenannten „Überstabilisierung“ des Geschosses mit den entsprechenden negativen Folgen: Die dabei auftretenden Fliehkräfte zerreißen das Geschoss sofort, nachdem es den Lauf verlassen hat.

5) Allerdings machen die .458 Win. Mag. und die .460 Weatherby Mag. hier einen Ausreißer nach oben.

6) Womit wir bei einer weiteren potentiell ausschlaggebend wirkenden Determinante für die Präzision wären, dem Schwingungsverhalten des Laufs. Ich will hier und heute nicht näher darauf eingehen, belassen wir es an dieser Stelle bei der bewährten Faustregel. Hier lautet sie: Je dickwandiger und damit masseträger der Lauf, desto präzisionsfördernder sein Schwingungsverhalten. Allerdings ist er dann auch mordsschwer, deswegen sind solche Läufe eher bei Sport- und Präzisionsschützen in Verwendung.

Querschnittsbelastung (QB) / optimales Geschossgewicht (oG)

Wenn wir schon mal dabei sind, beim Vorhaltemaß, bei der Ballistik im weitesten Sinne also, lassen Sie mich auch einmal kurz auf einen ganz wichtigen Wert eingehen, nämlich auf die so genannte „Querschnittsbelastung“, in erster Linie wichtig für unseren Büchsen-, weniger für den Schrotschuss. Die QB, den allermeisten Wiederladern, den Ballistikern sowieso, bestens bekannt, ist ein ausschlaggebender Wert zur guten Komponentenabstimmung, also zur Abstimmung des komplizierten Verhältnisses zwischen den Komponenten Kaliber – Geschoss – Pulver(menge), Geschossgeschwindigkeit.

Wichtig ist sie natürlich in erster Linie für den Jäger, weniger für den Sportschützen, denn der schießt nicht auf lebende Ziele und kann damit nach Belieben experimentieren; ein Loch in der Scheibe ist ein Loch in der Scheibe. Sportschützen wollen Präzision um der Präzision willen, und deshalb sind sie unsere natürlichen Verbündeten: Man kann wahnsinnig viel von ihnen abschauen und lernen. Aber für den Jäger steht neben der Präzision zumindest gleichwertig auch die Schusswirkung, und deswegen sieht´s für ihn ein wenig anders aus: Bei der Jagd ist das Schießen kein Selbstzweck, sondern unter allen Umständen dem eigentlichen Zweck, der Jagd nämlich, untergeordnet. Da ist Schießen ein reines Werkzeug bzw. eine Ausübungstechnik, und die sind, wie im Handwerk, umso besser, je besser das Werkzeug bzw. die Technik ist. Das alleinige Ziel jedes jagdlichen Schusses kann nur sein, das beschossene Wild mit der höchst möglichen Wahrscheinlichkeit auf der Stelle und schmerzfrei zu töten.

Und da kommt sie ins Spiel, die Querschnittsbelastung QB.

Beim „Normaljäger“ geht die nämlich unter bzw. erscheint erst gar nicht auf dem Radar. Bei der Ausbildung wird meist kein Wort darüber verloren, bei der handelsüblichen Munition erscheint kein Hinweis auf der Patronenpackung. Dafür aber ausführlich die Angaben zur Geschossgeschwindigkeit. Was dem Jäger nicht nur die Möglichkeit nimmt, sein Handwerkszeug Munition in Bezug auf Ausgewogenheit und zielballistischer Wirkung realistisch einschätzen zu können, sondern ihn auch auf eine Verleitfährte lockt. Denn was macht er dann? Was jeder Mensch in vergleichbaren Situationen macht: Er sucht nach Kriterien, nach Messgrößen, anhand derer er sich orientieren kann in einer unbekannten Umgebung. Das Einzige aber, was er diesbezüglich auf der Packung findet, ist die Geschossgeschwindigkeit – und damit rennt er oft genug kritiklos dem Götzen „Rasanz“, vulgo Geschossgeschwindigkeit, hinterher, in der simplen Annahme: Je rasanter das Geschoss, desto mehr Wirkung bringt´s. Das kann manchmal so sein, oft genug aber ist das ein reiner Trugschluss.

Die Theorie

Machen wir also einen kurzen Ausflug in die Theorie. (Im Anschluss findet der Leser dann auch das Handwerkszeug zur Ermittlung der QB und der oG).

Die Querschnittsbelastung (QB) ergibt sich aus dem Verhältnis der Masse eines Körpers (Geschosses) zu seiner Querschnittsfläche. Die Berechnungsformel lautet: Masse : Querschnittsfläche. Der Wert wird in g/mm² (seltener kg/cm²) errechnet und angegeben. Die QB eines Körpers hat folgende simple Auswirkung (und spielt damit nicht nur in der Ballistik eine große Rolle):

Je niedriger der Wert (und das Geschossgewicht), desto höher kann ein Geschoss im Waffenlauf beschleunigt werden, desto mehr Energie kann es im Ziel (Wildkörper) theoretisch umsetzen (in der Praxis sieht das anders aus).

Je höher der Wert (und das Geschossgewicht), desto schwieriger wird es, auf hohe Geschwindigkeiten zu kommen, aber desto höher wiederum ist die Impulserhaltung des beschleunigten Körpers, desto wirkungsvoller durchdringt das Geschoss die Luft und das Zielmedium.

Die QB definiert also die Eigenschaft, die man im Umgangsdeutschen mit „Durchschlagskraft“ bezeichnet (und deren Mangel ein Hauptkritikpunkt an bleifreier Munition ist). Diese sich eigentlich widersprechenden Anforderungen bestmöglich in Übereinstimmung zu bringen ist Aufgabe der Geschoss- und Munitionshersteller und wirklich schwierig. Lösungen sind möglich z. B. über Deformationsgeschosse, die ihren Querschnitt beim Auftreffen vergrößern, auch über Treibspiegelgeschosse. Die sind eigentlich nur im militärischen Gebrauch üblich, man findet sie aber auch bei unserer Jagdmunition, z. B. spezielle Slug- Flintenlaufgeschosse.

Da ein Körper mit hoher QB auch ein hohes Durchdringungsvermögen (Penetranz) zeigt, über eine hohe Impulserhaltung verfügt (also eine relativ hohe Trägheit gegenüber bremsenden Effekten wie Luftwiderstand, Wellenschlag, Reibung), macht man sich diese Eigenschaft überall da zunutze, wo es Vorteile bringt:

Rennboote z. B. weisen einen schmalen und langen Rumpf auf. Aus dieser Form ergibt sich eine kleine Querschnittsfläche bei hohem Gewicht (schmaler, aber langer Bootskörper). Der Rennbootfahrer sagt: „Länge läuft“, ebenso der Autokonstrukteur.

Beim Jagdgeschoss gilt das Gleiche, das angestrebte Ergebnis ist hier hohe Energieabgabe im Wildkörper und optimale Tiefenwirkung, also der unbedingt gewünschte Ausschuss.

Ab einer QB von ca. 30 allerdings stößt die Ballistik an ihre physikalische Grenze, zumindest für Jäger und Sportschützen in Europa mit unseren hier üblichen Kalibern (einige Großwild- Kaliber stoßen an den Wert 35, wie die berüchtigte .460 Weatherby Magnum). Die wird in der Praxis erreicht ab Geschosslängen von ca. 5,5 Kaliberstärken; von hier ab können Geschosse einfach nicht mehr zufriedenstellend stabilisiert werden (ein weiteres Problem von bleifrei). Destabilisierende Kräfte, z. B. die Präzession, nehmen dann überhand. Ausreichend drallstabilisiert wird ein Geschoss übrigens ab ca. 2 Kaliberstärken.

Die QB steigt bei den gängigen Jagdkalibern generell an; bei der .222 Rem mit dem 3,24 g- Geschoss z. B. liegt sie bei 12,97, bei der 9,3 x 62 mit einem 17 g- Geschoss immerhin schon bei 25,05. Es ist also tatsächlich weitgehend eine Frage der Erfahrung, die jeweils günstigste QB und damit Präzision und Wirkung herauszufinden. Trotzdem gibt es einige Anhaltspunkte und Regeln:

So zeigt bei den Kalibern ab .264 z. B. eine QB von ca. 23 – 26 das ausgewogenste Verhältnis zwischen den Größen Präzision, Energieabgabe im Wildkörper und Penetranz (also die gute alte „Durchschlagskraft“, für den gewünschten Ausschuss). Bei meinen .30-er Kalibern z. B. verlade ich nur 11,7 g (180 grains)- Geschosse; es hat sicher seine Gründe, dass es mit genau diesem Gewicht im Kaliber .308 eine Reihe an guten Geschossen gibt. Zwar liege ich damit in Bezug auf die „Rasanz“ nur im oberen Mittelfeld, ich nehme das aber gern in Kauf für optimale Wirkung und Präzision. Für die .323- Kaliber ( 8 x 57 I(R)S, 8 x 68 S) gilt das übrigens für die 200 Grains- (13,0 Gramm)- Geschosse. Aber Vorsicht: Generell gelten die Regeln, die ich im Beitrag „Dralllänge und Drallwinkel“ ausführlicher beschrieben habe, Stichwort verschiedene Dralllängen in einem Kaliber!

Und nun, wie angekündigt, nachfolgend je eine Tabelle zur Ermittlung der QB und des oG; die Tabelle links (von oben nach unten) zur Ermittlung der Querschnittsbelastung (QB), die Tabelle rechts, auch von oben nach unten, zur Ermittlung des optimalen Geschossgewichts (oG). Bitte jeweils die mit * gekennzeichneten Felder ausfüllen, bitte die inch- Kaliberangaben in deutscher Dezimalschreibung (also 0,308 statt .308 z. B.).

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Kirchveischede, 13. Januar 2015

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Manfred Nolting

Ein Jagdmensch

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Erläuterung zu den Kaliberangaben:
Deutsche Kaliberangaben (metrische Maße) lassen sich nicht immer exakt in zölliges Kalibermaß ( 1 Zoll = 25,4 mm) umrechnen, da meist nur Annäherungsmaße angegeben werden. Ausschlaggebend ist aber (national und international) ausschließlich das zöllige Maß, da sämtliche Geschosse (und damit auch die Läufe) in Zoll (inch) definiert sind. Die deutsche Kaliberangabe 7 mm (7 x 57, 7 x 64, aber auch 7 mm Rem. Mag.) z. B. ist festgelegt mit 0,284 Zoll (inch) und hat damit tatsächlich einen Diameter von 7,21 mm. Daher muss bei Handhabung dieser Tabelle immer das zöllige Geschossmaß angeben werden, z. B. statt 6,5 mm 0,264 Zoll (= 6,71 mm!). Das wird aber auf jeder Patronenschachtel angegeben. Geradezu berüchtigt der Unterschied zwischen der guten alten 8 x 57 I (0,319 Zoll) und 8 x 57 IS (0,323 Zoll). Der Unterschied zwischen einem I- und einem IS- Geschoss ist mit dem bloßen Auge nicht feststellbar, klingt auch zunächst harmlos, hat aber bei Verwechslung schon zu Laufsprengungen mit den entsprechenden üblen Folgen geführt.

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Spannende Stunden

Ladeversuche 9,3 x 62, Diameter .366, Geschoss Swift-A-Frame 250 grs/ 16,2 g

Ich habe mich nach langem Beobachten und der Lektüre etlicher durchweg positiver Erfahrungsberichte von Praktikern entschlossen, ebenfalls auf das Swift- A- Frame umzustellen; anfangen wollte ich mit meinen Büchsen 9,3 x 62. Also Geschosse besorgt (nicht billig!), dann ans Werk. Ich selbst hatte mit dem Geschoss keine Erfahrung, deshalb übernahm ich Ladedaten von vier verschiedenen Quellen. Zwei dieser Quellen gaben Ladedaten für Laborierungen mit dem AF- Geschoss selbst an. Von den beiden anderen Quellen entnahm ich Ladedaten für Laborierungen mit gleich schweren bzw. von im Gewicht nur geringfügig abweichenden Geschossen.

Die Quellen für die beiden Original- Laborierungen waren das Buch „Wiederladen“ der DEVA, 5. Auflage und „Wiederladen für Jäger“, Norbert Klups, 2009, die beiden anderen Quellen: „Wiederladen“, Dynamit- Nobel, 8. Auflage, und „Wiederladen für Jagd und Sport“, Roland Zeitler, 2. Aufl. 2009.

Zeitler gibt für eine Laborierung mit dem Nosler B. T. 250 grs., also exakt das gleiche Gewicht, eine Patronenlänge von 83,4 mm vor; diesen Laborierungsvorschlag übernahm ich; für eine Laborierung mit dem Geschoss RWS KS 247 grs. gab er die Patronenlänge von 82,4 mm vor, die ich ebenfalls übernahm. Weiter übernahm ich den Laborierungsvorschlag von Dynamit Nobel für das RWS KS 247 grs mit einer Patronenlänge von 80,5 mm. Als einzige Original- Laborierung übernahm ich die Ladedaten von Norbert Klups mit einer Patronen- Gesamtlänge von 79,2 mm. Das DEVA – Buch gab zwar auch, s. o.,  drei Original- Laborierungen für das AF- Geschoss her, aber da die hier vorgeschlagenen Pulversorten gerade nicht bei mir vorrätig sind, verwarf ich sie zunächst.

Nachdem ich also die vier verschiedenen Laborierungen vorbereitet hatte, fuhr ich am 6.10.2013 zum Schießstand nach Borghausen. Auf dem Schießstand lud ich zunächst eine der 83,4 mm- Patronen – und bekam die Waffe (R 93) nicht geschlossen. Nachdem auch sanfter Druck nichts brachte, versuchte ich, die Patrone aus dem Lauf zu repetieren. Das gelang erst nach erheblicher Kraftanstrengung, allerdings mit der Zugabe, dass ich die Patrone unfreiwillig delaborierte: Das Geschoss blieb stecken, die Pulverfüllung verteilte sich über den Schießstand. Nach dem fälligen Saubermachen nächster Versuch, aber dementsprechend vorsichtig, gleiches Ergebnis. Da ich es diesmal nicht mit der gleichen Kraft versucht hatte, ließ sich die Patrone diesmal unter vorsichtiger Zuhilfenahme eines Putzstocks entfernen, allerdings deutlich „gelängt“.

Dann nahm ich eine der Patronen von 80,5 mm Länge. Hier ließ sich die Kammer zwar schließen. Ich entschloss mich aber, nicht zu schießen, wollte zunächst einmal die Patrone begutachten und auf eventuelle Anlagerungsspuren untersuchen. Herausrepetieren, Widerstand, Krafteinsatz, Delaborierung, Pulver verteilt, sauer. Zunächst wieder den Schießstand gesäubert, die Aufsicht ist da sehr genau. Deshalb auch kein weiterer Versuch mehr, nach Hause, Ursachensuche war angesagt.

Zunächst einmal habe ich drei andere .366-er -Geschosse aus dem Fundus gesucht und alle gewogen und vermessen. Die Gewichte stimmten, bei den Abmessungen aber fiel mir ein Unterschied auf. Die DEVA gibt für die 9,3 x 62 ein Zugkaliber von 9,28 mm, ein Feldkaliber von 9,00 mm an. Alle Swift- A- Frames hatten ein exaktes Außenmaß von 9,30 mm, und zwar hoch gleichmäßig über den gesamten unteren Geschosskörper, gemessen mit einer elektronischen Schieblehre. Also ein sehr präzise gefertigtes Geschoss. Und mir fiel eine im Vergleich zu den anderen Geschossen hoch angesetzte und steile „Schulter“ auf, dazu später. Die Abmessungen der anderen Geschosse im unteren Drittel:

  1. 18,5 g TMR: 9,27 – 9,28 mm;
  2. 17,0 g MEN- Starkmantel unterhalb vom Scharfrand (knapp die untere Hälfte des Geschosses) 9,30 mm, ebenfalls sehr gleichmäßig; oberhalb vom Scharfrand 9,22 mm;
  3. 16,5 g SAKO TMR (als einziger Hersteller gibt SAKO die Maße auf der Packung an, und zwar mit 9,26 – 9,28 mm), Messung zwischen 9,22 und 9,26 mm.

Dann nahm ich durchkalibrierte Hülsen und lud alle vier Geschosse „blind“, also ohne Pulver und Zündhütchen, auf 83,4 mm, nahm meine drei Waffen im Kaliber 9,3 x 62 (R 93, Sauer 90, Frankonia Nachsuchestutzen System 98). Alle „streikten“ bei dem Swift-A-Frame, Geschoss- Stecker, wie gehabt. Aber alle drei Waffen verdauten problemlos die drei anderen Geschosse bei der gleichen Patronenlänge.

Die nächste Aktion: Schwärzen von Swift- A- Frame- Geschossen mit dem Edding, setzen in Blindhülsen auf 83,4 mm, einrepetieren ins Patronenlager der R 93. Dann mit Hilfe des Putzstocks vorsichtiges „Rausprockeln“ des Geschosses und Überprüfung auf Anlagerungsspuren. Ergebnis: Zwar, wie erwartet, keine Einkerbungen von Zug bzw. Feld, aber flächig umlaufend an der Schulter des Geschossen war die Farbe entfernt. Es gab also ein Problem mit den Patronenlager- Abmessungen, wie ebenfalls erwartet.

Dann nahm ich mir noch einmal die Ladedaten der DEVA und von N. Klups an, also die Laborierungen, die mit dem Swift-A-Frame erarbeitet worden sind. Und stellte fest, dass alle vier Laborierungen als Patronenlänge lediglich 79,2 mm angaben. Ich setzte also Blindpatronen mit der AF mit 79,2 mm Länge, und das war´s dann. Kein Problem mehr. Nun werden sowohl DEVA als auch N. Klups ihre Gründe haben, warum sie dieses Maß nicht überschreiten: Weil sie mit Sicherheit die gleichen Erfahrungen gemacht haben. Nur ist es mir ein Rätsel, warum erstens der Hersteller nicht auf das Problem hingewiesen und zweitens die Wiederladerkommune nicht ebenfalls aufmerksam gemacht wird.

Also, Warnung an alle: Beim Verladen des Swift- A- Frame- Geschosses, 250 grs. Geschossgewicht, Kaliber 9,3 x 62 bzw. Diameter .366, als Patronenlänge unbedingt die Obergrenze 79,2 mm einhalten! Mag sein, dass da nach oben noch 5/10 – Millimeter drin sind, aber ganz bestimmt nicht mehr!! Vor allem dürfte es der Präzision nicht zuträglich sein, wenn bei Anlage des Geschosses im Patronenlager Auszugs- und Einpresswiderstand zusammenfallen. Nicht vergessen werden darf dabei, dass das AF- Geschoss relativ dickwandig und vor allem maßgenau 9,30 mm ist!

Gut. Aber jetzt wollte ich es genauer wissen. Ich stellte also zunächst alle vier Geschosse nebeneinander und verglich sie auf ihre „Geometrie“ hin (s. Foto). Optisch hat man den Eindruck, dass die anderen Geschosse ab der Mitte schlanker sind. Aber wirklich weiter bringt uns das nicht: Die relativ geringen Maßdifferenzen erschließen sich dem ungeübten Auge einfach nicht. Nun kann man hergehen und versuchen, Relationen zu ermitteln, z. B. Gewicht zu Längeneinheit. Aber auch das ist nicht der Weisheit letzter Schluss, weil das Mengen- und damit Gewichtsverhältnis zwischen Geschossmantel / Steg (Tombak) und gebondetem Bleikern natürlich im Verhältnis zueinander unterschiedlich ist. Also können wir nur absolute Maße zu Rate ziehen.

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v. lks. n. rechts: SAKO TMR, MEN Starkmantel, Swift-A-Frame, 18,5 g- TMR

Zunächst einmal die Länge der Geschosse. Die betragen:

MEN Starkmantel, 17.0 g                        30,18 mm

18,5 g TMR                                            29,25 mm

Swift A-Frame, 16,2 g                            29,00 mm

SAKO TMR, 16,5 g                                  26,70 mm

Das besagt noch nichts. Interessant wird es, wenn wir jetzt den Umfang der einzelnen Geschosse in verschiedenen Höhen, gemessen vom Geschossboden aufwärts an, einmal messen und dann vergleichen (wobei wir nicht vergessen dürfen, dass das A-Frame von vornherein die Nase vorn hat).

Dann ergibt sich:                                  15 mm             17,5 mm          20,0 mm

MEN Starkmantel, 17,0 g:                      9,30 mm           9,18 mm           9,08 mm

18,5 TMR:                                             9,25 mm           9,23 mm           8,94 mm

Swift- A-Frame, 16,2 g:                         9,30 mm           9,30 mm           8,97 mm

SAKO TMR, 16,5 g:                                9,23 mm           9,10 mm           8,66 mm

Daraus ergibt sich, dass die heutzutage ja wirklich maßgenau hergestellten Patronenlager in unserem Fall hier den mittleren Bereich, die 17,5 mm ab Hülsenmund abzüglich der Setztiefe, übelnehmen. Da liegt die Ursache für die Klemmer. Abzustellen wäre das, und die Maßdivergenzen sind wirklich minimal, über eine kleine Veränderung der Geschoss- Geometrie, man müsste ab der Hälfte der Geschosslänge um ca. 0,1 mm schlanker werden. Solange wie das nicht der Fall ist, müssen wir zumindest in genau diesem speziellen Fall berücksichtigen: Nicht weiter heraussetzen als 79,2 mm.

Da ich eigentlich vorhabe, auch meine andere Waffen, zunächst die im Kaliber 6,5, dann die 30-er, auf das Geschoss umzustellen, bin ich mal gespannt, was mich dabei erwartet; einen Bansen an Geschossen habe ich schon, und die sind nicht billig. Aber es ist ja bekanntlich am spannendsten, wenn es nicht ganz so einfach ist.

Kirchveischede, 9. Oktober 2013

Manfred Nolting

Ein Jagdmensch

Die Bleilüge

oder

Bleivergiftung und die toten Seeadler

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Seit einigen Jahren eine never ending story – Auftritt des mit düster- betroffenem Dackelblick schauenden Veterinärs (übrigens immer der gleiche!), der einen toten Seeadler seziert. Die Bilder tun ein Übriges, denn ein toter Seeadler bietet einen jämmerlichen Anblick, nicht entfernt in Einklang zu bringen mit dem stolzen, kraftvollen Anblick des lebenden Tieres, dem Bild also, das man von diesem schönen Vogel einfach im Kopf hat. Dann das geheimnisvolle Geraune – Bleivergiftung!! Woher kann´s kommen? Jäger!! Bleihaltige Munition!! Natürlich fordert er nicht expressis verbis ein Verbot bleihaltiger Munition, nein, so plump ist er nicht, aber zwischen den Zeilen steht es gedruckt, denn alle seine Ausführungen sind so aufgebaut, dass der unbefangene Zuschauer (wir erinnern uns, zu gut 99,5 % Nichtjäger!) gar keinen anderen Schluss ziehen kann, als dass a) nur die Jagd schuld sein kann an der Misere und b) dass zumindest die bleihaltige Munition verboten werden muss. Und das will der so überaus seriös informierte Bürger dann natürlich zwingend, denn ein Seeadlerschutz- Verhinderer will niemand sein; eine andere Alternative aber lässt die perfide Darstellung mental gar nicht zu.

Dass aber so gut wie alle Behauptungen nicht im Geringsten gegengeprüft sind, sondern schlicht nur Behauptungen sind, das wird an keiner Stelle erwähnt. Es ist nämlich keineswegs sicher, dass die verendeten Seeadler ursächlich an erhöhten Bleiwerten eingegangen sind, sondern dass, wenn vorhanden, die höhere Bleikonzentration nur ein Puzzlestein im Gesamtbild der körperlichen Konstitution ist, ein Element von vielen also. Sicher ist, dass die Behauptungen, die tatsächlich gegengeprüft wurden, sich regelmäßig entweder als (bewusst?) falsch erwiesen haben bzw. in der ursprünglichen Form nicht mehr haltbar sind, und dass merkwürdigerweise alle Behauptungen nicht im Entferntesten in Einklang zu bringen sind mit den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit, Statistik und schlichter Logik. Aber wen kümmert´s? Die Botschaft ist in den Köpfen!

Schauen wir uns die Argumente im Einzelnen an.

Unbestreitbar ist im Blut einiger toter Seeadler Blei nachgewiesen worden, was natürlich sofort als „erhöhte Konzentration“ verkauft wurde. Erhöht? Gegenüber welchem Referenzwert dann? Absolut? Relativ? Und was, wenn man ihn dann endlich einmal genannt bekommt, sagt dieser Referenzwert denn aus? Wer hat ihn aufgestellt? Fragen Sie mal einen dieser Experten danach, Sie werden dann beleidigt- arrogant- aggressiv sofort abgemeiert und in die Seeadlerschutz- Verhinderer- Ecke gedrängt und damit wirkungsvoll mundtot gemacht. Und stereotyp heißt es, bis zum Erbrechen wiederholt, denn steter Tropfen höhlt den Stein: Kann nur von der verwendeten Jagdmunition kommen. Denn die von Jägern verwendete Büchsenmunition bei der Schalenwild- Jagd hat einen Bleikern, Schrot besteht bzw. bestand zu 100 % aus Blei. Dies ist einfach dem Umstand geschuldet, dass Blei auf Grund seiner deutlich höheren spezifischen Dichte gegenüber allen anderen Metallen (außer Gold, Uran natürlich) dem Geschoss wegen der damit  möglichen größeren Querschnittsbelastung einen höheren Bewegungsimpuls und damit „Durchschlagskraft“ verleiht, Eigenschaften, die den Forderungen nach der auch gesetzlich angestrebten Soforttötungs- Eigenschaft eines Jagdgeschosses wesentlich entgegenkommen. Manche Büchsengeschosse aber, vor allem die preiswerteren mit einem technisch relativ anspruchslosen Aufbau (nicht „gebondet“, wie das neudeutsch heißt), können im Wildkörper zersplittern, kleinere Stücke sind dann nicht mehr aus dem Wildbret bzw. den Innereien zu entfernen. Da der Aufbruch eigentlich regelmäßig im Wald bzw. der Wildbahn verbleibt, bedienen sich verschiedene „Freibeuter“ wie Fuchs, Dachs, Wildschwein und eben auch der Seeadler an der üppigen und bequemen Nahrungsquelle, und mit dem Aufbruch werden dann natürlich diese kleinen Bleipartikel aufgenommen. Die Jäger und andere Wildbret- Verzehrer essen das Wildbret, haben das seit ewigen Zeiten getan, haben damit nicht aufgehört, als sie anfingen, mit Bleigeschossen zu schießen, bis heute, und es ist noch kein Fall bekannt, dass irgendjemand wegen akuter Bleivergiftung gestorben, geschweige denn am Tisch umgesunken wäre. Und dennoch dient genau dieses Argument als Begründung für die Forderung nach bleifreier Munition. Dass die ersatzweise geforderte Munition mit Geschossen aus reinem Kupfer im starken Verdacht steht, in höherer Konzentration stark toxisch zu sein, von den schlechteren außenballistischen Eigenschaften einmal abgesehen, das sagen wir der Öffentlichkeit nicht, die darf nicht zu schlau gemacht werden.

Und was bei der Diskussion ganz untergeht, sind verschiedene ganz banale Fragen: Warum nur sterben in anderen Landstrichen nicht reihenweise Füchse und Sauen an dieser vermeintlichen „Giftfracht“? Denn in Regionen, in denen es überhaupt keine Seeadler, aber sehr wohl intensive Jagd gibt, ist bisher nicht ein einziger Fuchs, nicht ein einziges Wildschwein, die Wildtiere also, die dort den Aufbruch wegräumen, je an Bleivergiftung eingegangen (in den Gebieten mit Seeadlern übrigens auch nicht, dort werden auch nur Seeadler als „Opfer“ vor die Kameras gezerrt; macht einfach mehr her). Es stellt sich auch die Frage, wie der beklagte angeblich artbedrohte Zustand der Seeadlerpopulation mit dem explosionsartig ansteigenden Beständen gerade der letzten zwanzig Jahre in Einklang zu bringen ist? Wir haben, zumindest in Norddeutschland, mittlerweile die höchste Bestandsdichte an Seeadlern seit Menschengedenken, mit starker Tendenz zur weiteren Verbreitung und Ausdehnung auf bisher noch unbesiedelte Gebiete. Weiter stellt sich die Frage, wie es zu erklären ist, dass dieses Phänomen erst neuerdings auftaucht? Denn seit es bleihaltige Munition gibt, seit immerhin mehreren hundert Jahren, wird diese zur Jagd benutzt, ob als Massivgeschoss oder als Schrot. Unstrittig ist weiter, dass bis zur flächendeckenden Zersiedelung Deutschlands ungefähr um 1950 herum sehr viel höhere Jagdstrecken erzielt wurden als heute, speziell und vor allem bei der Niederwildjagd, also auch der Wasserjagd, mit dem entsprechend sehr viel höheren Bleieintrag durch Munition in die Umwelt. Ganz offensichtlich kamen die Natur und unser Wild aber bis vor kurzem problemlos damit klar. Aber vielleicht folgt das ganze Horrorszenarion ja auch ganz anderen Gesetzmäßigkeiten. Mein Freund Gerhard, Arzt und Jäger (beides sehr!), sagt nämlich dazu: „Das ist wie mit der Medizin. Es gibt keine gesunden Menschen auf dieser Welt, sondern höchstens nicht gründlich genug untersuchte.“ „Le Waldsterben“ lässt grüßen. Nur: Warum dieses ganze Theater? Es drängt sich der Schluss auf, dass, wieder einmal, der Sack geschlagen wird und der Esel getroffen werden soll, und der Esel sind einmal mehr die Jagd bzw. die Jäger.

Denn gehen wir noch einen Schritt weiter, reibt man sich die Augen: Das ursprünglich zum Beweis der Bleivergiftung bei Seeadlern herangezogene Gutachten erwähnt in seiner englischen Grundversion überhaupt keine Bleimunition, sondern ausdrücklich und ausschließlich andere (und sehr viel plausiblere) Ursachen: „The nonessential heavy metals lead (Pb), cadmium (Cd) and mercury (Hg) are emitted and globally distributed mainly through industry, traffic and consumption of fossil fuels.“ In der deutschen Übersetzung aber wird plötzlich von unbekannten Blei- Expositionen gesprochen. Wenn ein Jagdgegner eine solche Steilvorlage bekommt, wird´s regelmäßig auch ein Tor: Die Jäger sind´s, bzw. ihre Munition. Wobei natürlich klar ist, dass das Ergebnis in beiden Fällen das gleiche ist, nämlich eine weitere Einschränkung der Jagd.

Die tatsächlichen Ursachen für das Vorhandensein von Blei in unserer Umwelt sind ganz andere als Jagdmunition, als da nämlich sind:

  • Der Eintrag über Abgase unserer Industrie,
  • die flächenmäßig vorhandene Verseuchung unserer Böden durch das Blei, das noch bis vor ca. 20 Jahren in hoher Konzentration unserem Benzin beigemischt worden ist (zur Vermeidung von Frühzündungen, vulgo „Klopfen“ der Motoren), und das auf diesem Weg in Tausenden von Tonnen in die Landschaft gepestet wurde,
  • das jahrzehntelange Ausbringen von Millionen von Tonnen verseuchter Klärschlämme auf landwirtschaftliche Flächen.

Dieses Blei ist also überall reichlich vorhanden in der (bzw. in unserer) Natur, und es reichert sich in der Nahrungskette zu immer höheren Konzentrationen an, ein ganz natürlicher Vorgang. Ob der Wert am Ende der Ernährungspyramide aber tatsächlich toxisch genannt werden darf, steht nicht nur völlig in den Sternen, sondern darf füglich auch bezweifelt werden. Die modernen Nachweismethoden wie z. B. die Gas- Chromatographie lassen Nachweise von Stoffen noch im Pikogramm- Bereich und feiner zu. Nun wird dann als Belastung z. B. eine Größe von sagen wir 50 Pikogramm Blei pro Kilogramm Körpergewicht angeben. Schrecklich! Der Experte könnte natürlich auch von „50 Billionstel Gramm“ (10-12) sprechen, soviel ist das nämlich; ein Nanogramm, nebenbei bemerkt, ist ein Milliardstel Gramm (10-9). Nur hört dann kein Mensch mehr weiter zu. Weil´s nicht nur völlig harmlos klingt, sondern auch tatsächlich ist. Wenn man dann vorher, wie in Deutschland üblich, einen völlig unrealistischen Grenzwert aus dem blauen Himmel gegriffen hat, sind plötzlich und von heute auf morgen nicht nur die halbe Menschheit, sondern so gut wie alle endpyramidalen Beutegreifer toxisch kontaminiert. Jetzt kommt Panik auf. Und in dieser Panik tritt ein bekanntes Phänomen auf: Es wird hektisch nach einer bisher unerkannten Verseuchungsquelle gesucht, die tatsächliche (rein statistische) Ursache aber, nämlich der willkürlich festgesetzte Grenzwert, steht plötzlich als unabweisbarer Fixpunkt da, wird keiner weiteren Prüfung mehr unterzogen, jahrelang, er ist sozusagen tabu. (Das wird schon in Murphys Theorem zur Beurteilung wissenschaftlicher Ergebnisse beschrieben: In jeder wissenschaftlichen Datenmenge erweisen sich letztendlich immer die Daten als falsch, die man bei Überprüfungen jahrelang für selbstverständlich richtig gehalten hat.)

Und die Spitze der Nahrungspyramide stellen nun einmal die Beutegreifer dar. Diese Bleibelastung, das wird dezent unerwähnt gelassen, finden Sie in jedem anderen Beutegreifer, bis hin zum Menschen, in jedem Fuchs, Hund, Dachs, auch in jedem Seeadler, und nebenbei bemerkt auch bei solchen Menschen, die nie Wildbret, geschweige denn Aufbruch essen. Im Klartext: Jedes Lebewesen in Gottes freier Natur, vor allem in den Industrieländern, auch solche, die nie in ihrem Leben einem Bleigeschoss auch nur in die Nähe gekommen sind, sind bleibelastet!! Von NABU, BUND und Grünen natürlich kein Wort davon, nein, die Jäger und die Jagd sind´s. Früher war das einfach nur ein Reflex im Pawlow´schen Sinne, heute ist es wohlkalkulierte Absicht, aber nach wie vor wirkungsvoll.

Um nun die tatsächliche Ursache der Bleibelastung bei Seeadlern festzustellen (warum eigentlich nur bei denen?), nämlich wahrscheinlich die Aufnahme von durch Abwässer stark bleibelastetem Fisch, vor allem aber die Toxizität dieser Bleibelastung festzustellen, fordern neutrale Stellen weitere Untersuchungen. Aber das wird von den Herrschaften bei BUND und NABU nicht nur nicht verfolgt, sondern sogar abgelehnt, weil viel zu teuer!, und die verbündeten Grünen sorgen dann in den Parlamenten und Ministerien dafür, dass diese Gutachten „aus Kostengründen“ dann auch parlamentarisch scheitern. Oder könnte der wahre Grund sein, dass dann die Prügelknaben Jäger entlastet würden? Honi soit, qui mal y pense. Denn wären als Ergebnis solcher Untersuchungen irgendwelche Fakten zu erwarten, die man der Jagd, den Jägern entgegenhalten könnte, ich wette, diese Gutachten gäbe es längst. Millionen Euro aus Steuergeldern? Ja natürlich, wenn´s der Bewegung dient….

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Kirchveischede, Februar 2012

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Manfred Nolting

Ein Jagdmensch

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Nachfolgend nur einige der Vielzahl an aufschlussreichen Links bzw. Veröffentlichungen. Ich bin sicher, es lassen sich mit Sicherheit Mengen davon finden, ein Beispiel mehr dafür, wie perfide und verlogen diese Scheindebatte geführt wird.

http://www.wildundhund.de/forum/viewtopic.php?p=35816 (ein Beitrag von 2 / 2005!!)

https://www.enzkreis.de/media/custom/179_4434_1.PDF

http://www.sueddeutsche.de/wissen/umweltverschmutzung-gift-unter-strommasten-1.486899

http://www.umweltprobenbank.de/de/documents/selected_results/16165

http://www.bmu.de/abfallwirtschaft/doc/40230.php

Vorhaltemaß 

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Vorhaltemaß – ein Rätsel? Keineswegs, und die Ermittlung ist kein Hexenwerk, sondern – theoretisch – ziemlich einfach. Das hilft uns zwar bei der Drückjagd wenig; hier ist Praxis Voraussetzung zum Erfolg. Dennoch kann Theorie sehr hilfreich sein, weil sie uns Relationen begreiflich machen kann. Also ermitteln wir das mal – rechnerisch. Was steht uns da zur Verfügung oder, viel wichtiger, was brauchen wir? Zunächst einmal nur drei Werte, nämlich

  • Geschossgeschwindigkeit (Gg)  
  • Zielentfernung (Ze) 
  • Ziel-(Wild-)geschwindigkeit (Zg) 

Damit sind wir im Besitz der Größen, die uns für die nächsten ca. 50 Zeilen weiterbringen. Nachfolgend erst einmal die notwendigen Definitionen und Erklärungen:

  • Gg: Steht auf jeder Patronenpackung, immer in Meter pro Sekunde (m/s); leider nie die Querschnittsbelastung.
  • Ze: Die Zielentfernung ist ein reiner Praxiswert. Da das flüchtige Schwein nun eben nicht stehen bleibt und wartet, bis wir die Entfernung mit dem Maßband ausgemessen haben, müssen wir schnell und richtig schätzen. Entfernungsschätzen kann und muss geübt werden, das geht überall und problemlos. 1) Wird aber meist nicht. Andere Länder sind da weiter. In Schweden z. B. gehört das Entfernungsschätzen, vor allem wegen der dort üblichen Brackierjagd mit der Flinte auf Rehwild, anhand von elektrisch aufstellbaren Wildattrappen zur Prüfung – und wer sich dreimal verschätzt, darf im nächsten Jahr wiederkommen. Darüber kann man denken, wie man will – aber die (schwedische!) Jagd verlangt nun einmal auch Schrot- Schüsse auf sich bewegende Rehe. Und Kugelschüsse auf laufende Elche. Bei uns sind´s Sauen – Waidgerechtigkeit erfordert Jagd nach bestem Können. 
  • Zg: Wieder ein reiner Praxiswert. Gute Schützen beherrschen es – die einen intuitiv, Naturtalent also, die anderen nach ein wenig Übung. Er ist m. E. der ausschlaggebende Wert für den sauberen Schuss. Man kann es sich vereinfachen, wenn man sich klarmacht, wie schnell unser Ziel in gängigen Maßstäben, z. B. in km/ h, ist. Darunter können wir uns etwas vorstellen, sprich, es ist für den Durchschnittsmenschen meist viel einfacher, Geschwindigkeiten in km/ h als in m/s (Meter pro Sekunde) anzugeben. Habe ich diesen Wert erfasst, ist die Umrechnung in andere Maßeinheiten reine Arithmetik – das hatten wir in der Schule. Und wie wir gleich sehen werden, ist die hinreichend genaue Erfassung dieser Werte für den guten Schuss auf Drückjagdentfernung, also meist 30 – 70 Meter, absolut ausreichend. Viele Jäger aber unterschätzen ihren Zentralrechner im Kopf und trauen sich nicht. Zwar in jedem Fall besser, als am lebenden Stück zu üben, aber keine Angst, der leistet mehr, als viele annehmen. Man muss ihm nur das nötige Rüstzeug geben, erst in der Theorie und dann in der Praxis, d. h., auf dem Schießstand. 

Soweit sind wir, die Definitionen sind klar. Jetzt muss eben gerechnet werden. Kollegen haben gefragt: Wie?  

Keine Angst! Es ist wirklich furchtbar einfach, schließlich sind wir ja nicht bei der theoretischen Physik, und Infinitesimalrechnung ist auch nicht vonnöten. Also eines nach dem anderen.

Stellen wir uns folgende alltägliche Situation vor: Jagd, ich stehe am Stand. Ein Stück Schwarzwild wechselt an, flüchtig, breitseitig vor mir her, das Schussfeld ist frei. Es passt also alles, ich entschließe mich zu schießen. Was läuft jetzt alles ab? Ich weiß Folgendes:

a) die Geschossgeschwindigkeit meiner Munition, sagen wir 700 m/s, ein realistischer Wert bei „dicken“ Sauenkalibern;

b) die Entfernung zum Wild, nehmen wir an, 50 Meter.

Jetzt errechnet sich leicht, wie lange das Geschoss braucht, um ins Ziel zu kommen:

50 m / 700 m/s = 0,071429 Sek.

Ich weiß jetzt, dass das Geschoss nach 0,071429 Sekunden im Ziel ist.

Was ich damit aber längst noch nicht weiß, ist, wo sich mein Ziel nach 0,071429 Sekunden befindet!

Das klingt erstmal harmlos: 0,07 Sekunden, was ist das schon? Geht man den Dingen aber auf den Grund, klappt so mancher Unterkiefer: Nehmen wir an, ein flüchtiges Schwein ist 35 km/h schnell. Dann legt es pro Sekunde sage und schreibe 9,72 Meter zurück, in unseren 0,071429 Sekunden also 0,6944 Meter! Das sind 70 cm! Und (grobe) Sauen erreichen im Spurt, bei Stress zumindest kurzzeitig auch 40 – 45 km/h!

Wir wissen jetzt also, dass sich unser Schwein (35 km/h schnell) in der Zeit, die unser Projektil unter den oben genannten Parametern (Gg 700 m/s, Ze 50 m) unterwegs ist, um knapp 70 cm (genau 69,44 cm) weiterbewegt hat, je nach Größe des Stückes also um eine halbe bis dreiviertel Körperlänge! So erklären sich Keulen- bzw.  Weichschüsse, wenn man „mittendrauf“ oder „Vorschlag“ anhält (Ich war doch so gut drauf! Siehe „Vorhaltemaß II“) ; im günstigsten Fall  (für beide!) schießen wir hinter dem Stück ein Loch in den Wald. Man unterschätzt das massiv, vor allem, wenn man (noch) nicht über die nötige Praxis verfügt.

Ich denke, nach all dem kann jetzt jeder den Rechenvorgang nachvollziehen:

(Zielentfernung m / Geschossgeschwindigkeit m/s) x Zielgeschwindigkeit m/s                                                                      

Das Ergebnis ist unser benötigtes Vorhaltemaß in Metern (m).

Die Rechenschritte im Einzelnen:

Zunächst sollten wir alle Maßeinheiten vereinheitlichen. Da Geschoßgeschwindigkeit und Zielentfernung in m/s bzw. m angegeben sind, muß nur die Ziel-(Wild-)geschwindigkeit (Zg) umgerechnet werden (weil, s.o., km/ h ). Auch das sehr einfach:

(Stundenkilometer x 1000)  geteilt durch  (Stunde in Sekunden) *

oder, vereinfacht und um drei Dezimalstellen gekürzt,

Stundenkilometer (km/h) geteilt durch 3,6      =        Meter/ Sekunde (m/s)

(gilt natürlich umgekehrt genauso: m/s  x  3,6 = km/h)

Klingt einfach, nicht wahr? Aber Vorsicht, der Teufel steckt wie immer im Detail. Diese Zahlen setzen voraus, dass sich das Ziel im rechten Winkel vor uns bewegt und wir es breitseitig beschießen. Das passiert aber eher seltener. Je spitzer aber der Winkel zwischen Schützen und weg- oder anflüchtendem Wild ist, desto mehr verkürzen sich Perspektive – und das Vorhaltemaß. Logisch, nicht? Man könnte nun hergehen und die entsprechende Winkelfunktion in die Formel mit einbauen, ein Laptop mit zur Jagd nehmen………

Spaß beiseite. Aber man sieht, Übung ist das halbe Leben. Man tut sich dabei (auf dem Schießstand!) aber wesentlich leichter, wenn man sich die Vorgänge, Zusammenhänge und Größenordnungen vorher einmal rein rechnerisch klar gemacht haben. Das ist der Zweck dieser kurzen Abhandlung.

Für die ganz Harten: 

Machen wir uns den Spaß und rechnen den Beschießungswinkel mit ein, auch das kein Hexenwerk. Wir beschränken uns dabei auf ein Kreisbogensegment von 0 bis 90° (Viertelkreis), an dessen Basispunkt wir stehen. Die Winkel für anwechselndes Wild sind dabei spiegelbildlich auf wegflüchtendes Wild übertragbar. Oder   umgekehrt. Für einen Mathematiker vielleicht eine Zumutung, aber uns reicht´s; wir wollen ja auch lediglich praktisch anwendbare Werte ermitteln. Zur Erinnerung, es gilt die Grundformel:

( Zielentfernung  / Geschossgeschwindigkeit)   x   Zielgeschwindigkeit.

Jetzt schränken wir mathematisch und formeltechnisch die Realität ein wenig ein, um zu umsetzbaren Ergebnissen bei unterschiedlichen Anwechsel- Winkeln zu kommen. Im Einzelnen:

Wild kann, wie bereits oben beschrieben, im exakt rechten Winkel vor uns herziehen oder flüchten. Es befindet sich dann im Winkel von 90°, das heißt, das Stück zeigt uns die „volle Breitseite“. In diesem Fall reicht die oben erstellte Formel. Das ist, wie gesagt, eher selten der Fall. Nehmen wir an, es befindet sich, gleiche Bewegungsrichtung vorausgesetzt, von uns aus gesehen bereits im Winkel von 45°, d. h., es hat die „Breitseitposition“ verlassen und wir schießen hinterher. Oder es wechselt uns an und wir schießen ihm entgegen (s. Grafik).

Dann gilt, wobei wir wie folgt logisch einschränken müssen: Fluchtwinkel ist größer 0 und kleiner/gleich 90°

((Zielentfernung / Geschoßgeschwindigkeit) x Zielgeschwindigkeit) geteilt durch (90°/ Fluchtwinkel Fw°).

Machen wir jetzt einfach mal nur zwei Berechnungen und vergleichen die Ergebnisse:

Ein Überläufer wechselt in 50 Meter Entfernung breitseitig (90°) vorbei, wir schießen die 9,3 x 62 mit dem 19 g – TUG Geschoss, Gg = 700 ms. Das Stück ist ca. 35 km/h (9,72 m/s) schnell. Also gilt:

((50 m / 700 m/s)  x  9,72 m/s)  geteilt durch  (90° / 90°)  =  0,694 m

Wir müssen auf diese Entfernung und mit diesem Geschoss also ca. 70 cm, bei einem schwachen Überläufer also mehr als eine halbe Köperlänge vor Zielpunkt (Blatt) anhalten! Messen Sie das mal bei einem toten Stück nach.

Ändern wir jetzt einfach nur die Entfernung um 20 Meter auf 70 Meter. Dann ergibt sich

((70 m / 700 m/s)  x  9,72 m/s ) geteilt durch (90° / 90°)  =  0,972 m. 

Hier müssen wir also schon einen knappen Meter! vorhalten.

Rechnen Sie sich einfach mal aus, wie das mit einem Flintenlaufgeschoss aussieht bei ca. 450 m/s Geschossgeschwindigkeit. Hier werden die Unwägbarkeiten einfach zu groß, und das ist der Grund dafür, dass der Einsatz des FLG meiner Meinung nach auf max. 35 Meter beschränkt bleiben sollte.

Entsprechend verkürzt sich das Vorhaltemaß, wenn wir einem Stück im Anwechsel- Modus entgegen- bzw. während des Wegflüchtens hinterherschießen. Nehmen wir an, der Winkel hat sich für uns von 90°(Breitstellung) auf 45° verkürzt. Dann gilt

((70 m / 700 m/s) x 9,72 m/s)  geteilt durch  (90° / 45°)  =  0,488 m.   

D. h., hier müssen wir nur noch die Hälfte, nämlich ca. 50 cm (genau 48,75 cm) vorhalten. Allerdings müssen wir bei einem solchen Schuss dafür präziser abkommen, weil sich durch die Winkelverkürzung der Trefferbereich für uns perspektivisch verkleinert. In jedem Fall müssen wir uns in der Anatomie des Wildes auskennen, um wirklich gute Kammertreffer mit Herz- und Lungenschüssen aus diesen Winkeln zu setzen.

Man sieht aber, Mathematik kann spannend sein, vor allem nützlich. Auch bei der Jagd. Übrigens: Das oben ermittelte Vorhaltemaß ist als absolute Größe gültig für jedes Zielobjekt, egal ob 0,70 oder 1,25 m lang! Das macht die Sache in der Praxis ein wenig schwieriger, und zwar bei den kleineren Stücken, weil unser „Zentralrechner“ dazu neigt, diese Größe in Relation zur Körperlänge des Ziels zu setzen. Im Klartext: Bei kleinen Sauen besteht die Tendenz, zu wenig vorzuhalten!

Nochmals: Es nützt uns gar nichts, wenn wir bei der Jagd das Rechnen anfangen wollen. Die vorliegende Ausführung dient ausschließlich dazu, die Dimensionen und Zusammenhänge einmal transparent zu machen. Wenn wir aber auf der Grundlage zu üben beginnen, kommen wir viel schneller zu jagdtauglicher Schießfertigkeit, als wenn wir die ersten 100, 150 frustrierenden Schüsse am laufenden Keiler vorbeijagen. Und viel preiswerter ist es dazu, nicht jeder ist Wiederlader.

Wer ein wenig selbst rechnen möchte: Es gilt immer: Winkel größer 0 und kleiner / gleich 90°; wenn Sie hier 0 oder keinen Wert eingeben, streikt der Rechner (Division durch null!). Wenn Sie neu eingeben wollen, einfach den Zurück- Button benutzen. Viel Spaß!

Zum Schluß einige Zahlen zum Tempo unseres Wildes (s. auch Erklärung unten):

                                                                           km/h                m/s

grobe Sau, hoch flüchtig                                     45                  12,50

grobe Sau, eiliger Troll                                       25                    6,94

Überläufer, hochflüchtig                                      40                  11,11

Überläufer, eiliger Troll                                       20                    5,56

Rotwild, hochflüchtig                                           45                  12,50

Rotwild, Troll                                                       25                    6,94

Damwild, hochflüchtig                                         45                  12,50

Damwild, Troll                                                     25                    6,94

Muffel, hochflüchtig                                             40                  11,11

Muffel, Troll                                                          20                    5,56

Rehwild, hochflüchtig (beschießen wir nicht!)    45                  12,50

Elchwild, hochflüchtig (selten)                            50                  13,89

Elchwild, Troll                                                      40                  11,11

Diese Tempo – Angaben erheben nicht alle Anspruch auf unumstößliche Wahrheit, einige Zahlen sind von mir geschätzt. Für Korrekturen von berufener Seite bin ich dankbar. Leider gibt es in der einschlägigen Literatur nur wenige Angaben dazu, zumindest habe ich keine gefunden. Sollte man einmal anstoßen.

 

Kirchveischede, 12. August  2010

.

Manfred Nolting

Ein Jagdmensch

.

* 60 Minuten x 60 Sekunden = 3.600

1) Eine furchtbar einfache Methode ist die: Wenn Sie unterwegs sind, Spaziergang reicht, peilen Sie einfach verschiedene Landmarken, Bäume, Sträucher an, an denen Sie gleich vorbeikommen werden. Dann schätzen Sie, wie weit die wohl entfernt sein könnten. Anschließend zählen Sie einfach die Schritte. Sie werden erschüttert sein, wie erbärmlich schlecht die ersten Ergebnisse sind. Und sich wundern, wie schnell die sich verbessern. Um das Ganze dann perfekt zu machen, testen Sie das auch bergab und bergauf. Da gibt´s nämlich auch Verzerrungen in unserem Zentralrechner, auch die sind mit simpler Übung leicht zu korrigieren. Man hat nicht immer, vor allem dann meist nicht, wenn´s drauf ankommt, den Laser- Messer dabei. 

 

P.S.: Nach vielfachen Anfragen hier der Hinweis, dass es vielleicht Sinn macht, meine Ergänzung zu diesem Beitrag vom 15.12.2015 (Vorhaltemaß II) zu lesen. Ich erhalte viele Anfragen zum horizontalen Bewegungsimpuls des Geschosses, die werden da beantwortet. Danke übrigens für Ihr Interesse!!




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DJZ 2/2010, Artikel „Einzige Form der weidgerechten Jagd“

Herr Betz hat eigentlich in seinem Kommentar schon das Wesentliche gesagt, trotzdem noch einige Worte.

Schon der Spiegel brachte 2008 einen Artikel zu dem Thema mit dem sinnigen Titel „Zack, bums –  und tot“ (Spiegel 43/ 2008). Interviewt wurde damals ein Herr Gratz, der in ein ähnliches Horn stieß wie unser Herr Himmelstoß; also „im Westen nichts Neues“. Tenor damals: „Jagd mit der Büchse ist etwas für Gamsbartjäger (ich übernehme den Ausdruck im Folgenden, weil er m. E. den elitären Anspruch auch des Herrn Himmelstoß gut wiedergibt), die mit ihrer dekadenten Kugelspritze auf 200 Meter hinlangen, kaum aus eigener Kraft einen Hochsitz hoch kommen“ und ähnliche Ergüsse mehr. U. a. wurde damals auch die Durchschlagskraft eines Pfeils mit einem Schuss auf einen mit Sand gefüllten 10- Liter- Eimer demonstriert (Durchschuss), während ein Schuss mit einer 30-06 zwar gewaltigen Impuls in den Eimer brachte, aber (natürlich!) keinen Ausschuss erbrachte. Der Spiegel-  Journalist aber war erwartungsgemäß beeindruckt. Ich habe damals einen Leserbrief geschrieben, mit, ich gebe es zu, ein wenig Nachhilfe in Physik, der aber nicht veröffentlicht wurde, das war wohl zu peinlich.

Damit ich nicht falsch rüberkomme: Ich persönlich habe absolut nichts dagegen, wenn jemand sein Wild nach alter Väter Sitte erlegen will, was immer man darunter versteht, solange das im Rahmen der geltenden Gesetze und ohne Quälerei für das Wild geschieht. Eines ist Fakt: Ob Bogenschuss oder Büchsenschuss, das Ergebnis, sauber und mit Verantwortung ausgeführt, ist hier und da das Gleiche, nämlich Beute. Was mich aber bei diesen „Experten“ immer auf die Fichte bringt, ist die demonstrative Beschlagnahme der Weidgerechtigkeit und des Naturerlebens für sich allein. Nur weil die Bogenjagd eine alte Jagdtechnik ist? Damit kann ich auch dienen: Eine sehr beliebte und vom Ergebnis her außerordentlich effektive Jagdgewohnheit unserer sehr Altvorderen war zum Beispiel, ganze Wildrudel über steile Klippen zu treiben. Das schlumpte. Und tot waren sie auch, zumindest fast alle. Das könnte man ja heute auch einmal wieder probeweise einführen.

Vor allem sollte man aber das Salbadern über „Fairness“ unterlassen, man begibt sich damit auf ganz dünnes Eis. Fairness in diesem Sinne, auf die Spitze gebracht, würde bedeuten, Wild mit unmittelbarem Körperkontakt und nur durch eigene physische Überlegenheit zu erbeuten, ohne jedes weitere Hilfsmittel, wie das zum Beispiel Katze, Wolf und Bär tun. Vor allem auch ohne jedes körperfremde Hilfsmittel, also nur mit eigener Kraft, mit eigenen Zähnen und Krallen. Dazu war weder der Urmensch in der Lage noch wird Herr Himmelstoß das je können. Menschliches Jagen war wegen unserer vergleichsweise mangelnden körperlichen Eignung von Beginn der Zeiten an nur durch unsere Intelligenz und, wenn sie so wollen, Tücke möglich. Aber keine andere Eigenschaft macht die Jagd auch nur annähernd so effizient wie sie, denn auch der primitivste Flitzebogen ist ein Ergebnis dieser Tücke oder Intelligenz. Wir sind die einzigen Jäger, die in der Lage sind, auf Distanz zu Beute zu machen. Sind 20 Meter dann weniger tückisch, sind sie fairer als 100 Meter?

Der von Ihnen auf zugegeben subtile Weise abgewertete Gamsbart- Jäger hat aber im Gegensatz zum reinen Spaßmach- Jäger bei uns noch eine gesetzliche Vorgabe zu erfüllen, nämlich seinen Abschuss. Ich lade Sie einmal ein, mit Ihrem Compound- Bogen auch nur in einem durchschnittlich großen Revier innerhalb der vorgegebenen Jagdzeiten den Abschuss zu erfüllen. Danach reden wir dann noch einmal über das Thema – aber erst, wenn der Gamsbart- Jäger Ihren versäumten Abschuss nachgeholt hat. Ich will damit sagen, dass unsere heutige moderne Jagd ohne die Bogenjagd ihrer gestellten Aufgabe sehr wohl gerecht wird, die reine Bogenjagd ohne die, nennen wir sie Büchsenjagd, das aber nie wird leisten können, aus nachvollziehbaren Gründen.

 Also: Spaß und überhebliches Getöse machen ist das Eine. In dieser so geregelten Welt aber, neben aller Passion und Freude am Jagen, auch die Tagesarbeit zu erledigen, das Andere. Einfach den Ball flach halten, Herr Himmelstoß, und jagen gehen. Jeder nach seiner Facon, alle weidgerecht. Und wenn Sie meine Unterstützung brauchen, die Bogenjagd als wohlgemerkt zusätzliche Jagdart mit entsprechender vorheriger Qualifikation zu legalisieren – die haben Sie. Ich kann ja weiter meine Büchse nehmen. Wenn Sie erlauben.

Waidmannsheil!

Kirchveischede, Februar 2010

Manfred Nolting

Ein Jagdmensch