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Morgens unten, abends oben 

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Ich höre buchstäblich, wie es klickt. Aber keine Angst, ich hab´ nicht umgestellt auf Sexualberatung. Es geht um die Jagd, wie fast immer hier. Und es geht um Banalitäten. Aber gerade die, stelle ich bei Jungjägern fest, werden denen (den Jungjägern) im Jagdkurs nicht beigebracht. Wir Alten wiederum haben gar nicht auf dem Schirm, dass unser Nachwuchs an den Realitäten vorbei ausgebildet wird: Die werden mit Zahnformeln zugemüllt. Zahnformeln! Ich meine: Wenn ein Reh da so liegt, ein Fuchs, ´ne Sau, ein Hirsch, ist das eigentlich die einzige Gelegenheit für einen Jäger, den Tierchen ins Maul, den Fang, den Äser schauen zu können. Weil sie eben tot sind und damit stillhalten. Dann kann es auch ganz spannend sein, mal das Lehrbuch herzunehmen und nachzugucken, wie denn die Zahnformel aus dem Buch sich in der Praxis so bewahrheitet. Oder umgekehrt. Ehrlich gesagt, hatte ich nie den Drang zu sowas. Ich wusste ja, dass das ein Reh, ein Hirsch, ein Elch, ein Fuchs oder sonstwas ist. Vor allem aber, dass alle tot waren. Und daran hätte kein Zahnstatus jemals etwas ändern können.

Es gibt allerdings auch einige simple Dinge, die man als Jäger einfach wissen muss, z. B. beim Rehwild das Ding mit dem berühmten zwei- oder dreiteiligen P 3 (bzw. P 4!). Das reicht dann aber auch schon, alles weitere ist reine Wissenschaft. Die viel wichtigere Zahnentwicklung beim Schwarzwild z. B., anhand derer man in den ersten 24 Lebensmonaten fast auf den Monat genau bestimmen kann, wie alt das geschossene Stück ist – von der hat mein Neffe erst von mir gehört. Nach der Jägerprüfung, nachdem er sein erstes Schweinchen geschossen hat. (Blitzsauber übrigens, Zähne hin, Zähne her, er hat gesehen, dass es ein Überläufer war). Ob so ein Gebiss vollständig ist, ob es abnormal ist, ob es Fehlentwicklungen gibt, und nur das Wissenwollen darum kann ja der Grund dafür sein, dass man Jungjägern das Auswendiglernen von Zahnformeln abverlangt – welchen sittlichen und jagdkundlichen Nährwert könnte das haben? Vor allem, wenn ich bedenke, dass man ja den Zahnstatus geschossener Stücke nirgendwo statistisch erfasst. Das ist und bleibt wohl ein ewiges Geheimnis.

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Andere Sachen

Andere Sachen aber, die meiner Meinung nach viel, viel wichtiger für Jungjäger sind als Zahnformeln, wichtiger für die Jagdpraxis an sich, die gehen dagegen völlig unter. Vor allem solche Nebensächlichkeiten wie das Wetter, unser Windsystem. Und das, vorsichtig ausgedrückt, kann ich nicht so richtig nachvollziehen. Man kann auch sagen: Das geht mir ziemlich auf die Nerven. Weil ich nämlich sehe, wie viel Zeit und persönlicher Einsatz und Motivation durch von vornherein aussichtslose Nachtansitze bei Schweinekälte z. B. wirkungslos verpuffen und eigentlich nur zu völliger Frustration führen, mit allen bekannten Folgen. Dabei ist es so einfach, dem vorzubeugen, indem man das als Rüstzeug bei der Ausbildung mitgibt. Ich meine, man verlangt ja von einem angehenden Zimmermann auch nicht, dass der sich Axt, Säge, Stechbeitel und Bohrer selbst erfindet. Man zeigt sie ihm einfach und sagt, wofür sie gut sind. Und gut ist. Bei der Jägerausbildung aber gelten anscheinend andere Regeln. Ich habe deswegen mal so ein paar Selbstverständlichkeiten aufgeführt, wobei das kein Indiz für die Vollständigkeit sein soll.

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Morgens unten, abends oben.

Die Sexualberatung, die keine ist. Ernsthaft jetzt: Egal, ob Du ansitzen oder pirschen willst, achte auf den Wind! Und in 90 % der Fälle ist es, vor allem im Sommer und bei „schönem“, sprich Hochdruckwetter, nicht nur im Hoch-, sondern auch in unseren Mittelgebirgen so:

Gegen Mitternacht haben sich die Hänge abgekühlt, die Luft darüber auch: Sie wird damit dichter, schwerer, beginnt abwärts zu fließen, wie Wasser, auch gegen die vom Wetterdienst angesagte Windrichtung, talabwärts!! Die Luft über den Hängen „rutscht nach“, Richtung Talboden! Keine 50 Meter weiter oben macht der Wind das, was er laut Wetter-online machen soll: Er weht in die vorgegebene Richtung. Der Jäger jedenfalls, der jetzt auf der Kanzel ganz oben hockt, über dem Bachtal („Siepen“ oder „Seifen“ nennt man das hier), über der Schlade (das ist eine Talsenke mit einem Bach nach viel Regen), der Jäger sollte besser genug zu lesen und eine Taschenfunzel dabei haben. Sein Odeur verteilt sich, ganz stiekum, aber wirkungsvoll. Talabwärts.

Das ändert sich erst ca. 3 bis 4 Stunden nach Sonnenaufgang.  Bis dahin fließt alles Richtung Tal! Dann dreht sich das langsam ins Gegenteil: Die Sonne steht hoch, erwärmt zunächst die Luft am Ost-, dann Südhang, dann die Luft im Tal, die steigt auf, am Talgrund entsteht damit Unterdruck, Luft strömt nach, nach oben! Sie streicht jetzt das Tal, am Hang hoch, Nachschub wird angesaugt, talaufwärts!! Auch das oft genug gegen die vom Wetterdienst angesagte Windrichtung! Wobei die vom Wetterdienst Recht haben, aber eben für 50, 100 Meter weiter oben bzw. oberhalb der Bergkuppen!

Jedenfalls: Der Jäger, der jetzt, mittags bzw. nachmittags und am frühen Abend, auf der Kanzel im Tal sitzt, direkt neben dem Wildacker, an dem Opa Reh auf Reh geschossen hat, und der jetzt darauf wartet, dass das Wild runter kommt ins kühle, schattenreiche Tal –  der lernt, wenn er´s denn lernt: Opa war wohl extremer Frühaufsteher.

Wo also sitze, gehe ich? Wann und wo?

Es gilt die Faustregel, beim Ansitz, beim Pirschen: Morgens unten, abends oben! 

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Helle Nächte, dunkle Nächte

Kurz gesagt: Nach hellen Nächten bringt es mehr, eine oder zwei Stunden länger zu schlafen und dann liegen gebliebene oder verschlampte Arbeit nachzuholen. Fakt ist: Unser Wild nutzt helle Nächte und bewegt sich, ist nachts hoch aktiv. Sobald es dämmert, gehen sie in die Einstände, sie tun sich nieder, verdauen, käuen wieder, dösen und schlafen. Erst nach den obligaten vier bis fünf Stunden (Rehwild!) werden sie wieder hoch. Da sitzt der Jäger längst wieder am Schreibtisch. Die Pflicht ruft.

Die Faustregel also: Nach hellen Nächten hat der Morgenansitz eher geringe Aussicht auf Erfolg, der Abendansitz deutlich mehr. Nach dunklen Nächten ist es umgekehrt. Wobei die Wirksamkeit dieser Regel statistisch zwar nachweisbar, aber eher schwächer ausgeprägt ist. Aber gut: Der Stratege lebt ja von der bestmöglichen Kombination von Wahrscheinlichkeiten.

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Mach Dir Dein eigenes Wetter!

D a s  sollte man nun wirklich können als Jäger! Nichts gegen Wetter-online, das ZDF und wie sie alle heißen: Sie alle müssen eine Prognose für Großräume abgeben, und diese Prognosen treffen zumindest für die nächsten 48 Stunden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zu. Aber eben nur für den Großraum.

Das bringt mir als Jäger in meinem Revier aber relativ wenig bis nichts. Ich persönlich mache meine eigene 24- Stunden- Wetterprognose, allein dadurch, dass ich Wind, Wolkenzug und Wolkenform beobachte. Und ich liege damit im 24- Stunden- Bereich für meinen Beritt um einiges besser als das ZDF oder Wetter- online. Zugegeben, man muss sich ein wenig mit der Wetterkunde beschäftigen, aber Hexenwerk ist das nicht! Was mir z. B. bei meinen schwedischen Jagdfreunden den Ruf des Wetterzauberers eingebracht hat: Die verlassen sich nämlich noch mehr als die Deutschen auf die Auguren, und auch die schwedischen Wetterpropheten müssen für das Große und Ganze prophezeien. Und das ist dann für den Bereich Bolmensee eben öfter in die Hose gegangen, während ich regelmäßig richtig vorhergesagt habe, was passiert. Gestorben sind wir trotzdem nicht. Nur nass geworden. Ich weniger, ich hatte das nötige Zeugs dabei.

Den Russen wiederum ist es nach meiner Erfahrung völlig egal, wie das Wetter wird, die halten sich auch mit keinen Prognosen auf. Die gehen jagen, nach dem gerade aktuellen Fünfjahresplan, selbst wenn es Katzen und Hunde regnet. Wetter ist Wetter. Da kann man nichts ändern, was soll´s? In den Kontext passt übrigens auch der erste russische Satz, den ich gelernt habe (nach Gehör wiedergegeben): „Achota jest achota.“ Auf Deutsch: „Jagd ist Jagd.“ (Man sieht, russisch und deutsch sind sehr eng verwandte Sprachen.) Das war immer der Spruch, vorgebracht mit einem Achselzucken, nachdem wir mal wieder wie die Blöden stundenlang durch den Wald gerannt sind, ohne auch nur ein Haar von einem Elch zu sehen. Ich habe aber trotzdem so viel gelernt bei denen, was Ausdauer, Stressresistenz und einfach nur den Umgang mit Realitäten angeht, dass das allein schon die Fahrten wert war. In jedem Fall galt: Wenn Du ein Problem hast, und da gab es einige wie festgefahrene Zwölftonner in Sumpflöchern und ähnliche Kleinigkeiten, mitten in der Walachei, ohne Abschleppdienst und Handy: Feuer machen, Tee kochen, nachdenken, beratschlagen. In Ruhe. Danach haben die das geregelt. Ohne Wodka, um hier mal ein gängiges Klischee zurechtzurücken.

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Aber jetzt zum deutschen Wetter:

Spannend ist es immer unmittelbar vor oder nach einer länger andauernden Wetterphase wie Trockenheit oder Regen! Allein deswegen schon ist es gut, dass man die Zeichen einer Wetteränderung zu deuten weiß. Schlägt nach einer längeren Schlecht- oder Schönwetterphase das Wetter um, vor allem im Sommer, lohnt es sich unbedingt, vor einer absehbaren Wetterverschlechterung, vor allem aber möglichst bald nach nach dem Wetterumschwung zum „Besseren“ rauszugehen. Sie sind draußen, aktiv.

Hoch interessant wird es, wenn es nach einer längeren Trocken- bzw. Hitzeperiode ein Gewitter gibt! Bei Wärmegewittern passiert das, logisch, meistens am späten Nachmittag (bei Frontgewittern oder Gewitterfronten gibt´s keine zeitliche Regel). Egal wo Du dann bist, auf Deiner Hochzeit, auf der Hochzeit Deiner Tochter, unmittelbar vor dem Millionen- Abschluss wegen des neuen Bauprojekts: Vergiss alles, entschuldige Dich mit Durchfall (beweise es nötigenfalls kurz!) oder dem Herztod der Schwiegermutter 1) und sieh´ zu, dass Du unmittelbar nach dem Gewitter im Revier bist! 

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Clevere Jäger

Ein cleverer Jäger wird bemerken, dass sich o. a. Phänomene teilweise überlagern, ja sich in Einzelfällen sogar widersprechen können. Das stimmt. Aber wer sagt denn, dass man nach Ablegung der Jägerprüfung das Denken allen anderen überlassen soll? Ganz im Gegenteil!! Denk´ nach, triff Deine Entscheidung!

Und wenn Dein Super- Plan wie so oft nicht klappt, sag einfach nur laut

Scheiße!!

Mach´ ich auch. Dann geh´ nach Hause und besprich´ das Problem mit Deiner Frau bzw. Deinem Mann. Meine ist zwar sehr jagdaffin, aber selbst keine Jägerin. Das hat auch sein Gutes, sie hat in vielen Dingen die Sicht nicht verstellt. Da hab´ ich schon manchen guten Tipp bekommen. Und ihr Kaffee ist einfach nicht zu toppen.

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Kirchveischede, 28. Februar 2016

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Manfred Nolting

Ein Jagdmensch

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1) Wenn Deine Geschäftspartner wissen, dass Du Jäger bist, kannst Du auch sagen, dass Du eben mal schnell den Heiratsantrag vom Papst annehmen willst oder ähnlichen Unsinn. Die wissen eh Bescheid, und keine Ausrede dieser Welt könnte jemals so kreativ sein, dass die nicht doch ihr Unterlid runterziehen und grinsen wie ein Hauklotz.

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Die selektive Jagd auf Rehwild

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Abschussplan- Erfüllung und selektiver Abschuss beim Rehwild, das ist so ´ne Sache. Wenn beides in Kombination funktioniert, ist das eine ordentliche Angelegenheit. Nur ist das meiner Erfahrung nach meistens nicht so. Sonst wäre die Situation nicht so, wie sie ist. 30 % Fallwild, jedes Jahr, das zu fast 100 % Straßenverkehrsopfer. Und die, die in den Büschen verdämmern, die erscheinen in keiner Statistik; denn bevor wir sie finden, haben Sau und Fuchs sie längst weggeräumt. Es ist aber sehr zu befürchten, dass sie eine nicht unbedeutende statistische Größe wären. Zumindest in nicht wenigen Revieren, die ich kenne, dort nämlich, wo mit schöner Regelmäßigkeit Jährlingsböcke geschossen werden, die z. T. deutlich unter 10 Kg aufgebrochen wiegen (letzter Fall, vor einigen Tagen, 7 Kg), von verdreckten Spiegeln usw. will ich hier erst gar nicht reden.

Schmalrehe dieser Klasse erscheinen nirgends, obwohl es sie sicher in ähnlicher Relation gibt. Zwar setzen Ricken in überhöhten Beständen wesentlich mehr Bockkitze als Töchter, aber sie stellen die Produktion weiblicher Kitze natürlich nicht ein. Die sind aber deutlich nicht so viel unterwegs, wahrscheinlich, weil die Ricken in ihrem Territorialverhalten nicht so aggressiv sind wie die Böcke. Sie sterben, darf man annehmen, zu fast 100 % stiekum und unbemerkt. Und trotzdem wird von Jungjägern, von Jagdaufsehern verlangt, beim Abschuss vorsichtig zu sein! Man fragt sich sofort: Vorsichtig im Hinblick auf was??

Wir haben den Auftrag, für einen angepassten Wildbestand zu sorgen. Wir haben speziell beim Rehwild keinen Auftrag, unsere Rehe „aufzuarten“ oder zu selektieren bzw. über Selektion „aufzuarten“ (Die Vorstellung ist meines Erachtens das Einzige, das von der braunen Ideologie Eingang gefunden hat ins Jagdwesen; dafür ist sie umso zählebiger). Dabei geht das nicht nur nicht, sondern ist darüber hinaus völlig sinnlos. Ich geh´ mal näher darauf ein.

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Die Chromosomen

Jedes Lebewesen, also auch jedes Reh, ist mit Erbanlagen ausgestattet. Wir nennen das Gene, ich sag´ manchmal salopp „es auf den Chromosomen“ haben. Die Erbanlagen übernimmt es von Mutter und Vater, die von ihren Müttern und Vätern. Im Erbgut, in den Genen ist der Genotyp jeder Kreatur festgelegt. Wieder salopp ausgedrückt ist das die Botschaft: Das kann aus Dir werden, wenn alles stimmt und Du´s richtig machst. Mach´ was draus! Also so was wie eine Betriebsanleitung für das einzelne Stück. Gerade beim Rehwild übrigens ist diese Ausstattung im Vergleich zu anderen Arten auf eine besonders breite Basis gestellt, ist damit besonders variationsfähig und robust, störunanfällig.

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Genotyp und Phänotyp

Normalerweise läuft das so ab: Eine starke, im Sozialgefüge hochstehende Ricke, beschlagen von einem starken Bock, bringt in der Regel wieder starke, gesunde, durchsetzungsfähige Kitze, egal ob Bock oder Geiß. Normalerweise. Denn nun kann es passieren, dass zwar die Voraussetzungen alle gegeben, aber ganz einfach die Umstände nicht so sind: Es gibt einen zu hohen Rehwildbestand, dann einen Hungerwinter, auch die starke Ricke darbt während der Fötenentwicklung; ein zu kaltes Frühjahr lässt ausgerechnet zur Setzzeit die Vegetation und damit Äsung und Milchproduktion hinterherhinken, äußerliche Verhältnisse lassen zu wünschen übrig wie z. B. andauernde starke Unruhe im Revier.

Das führt dazu, dass das gesetzte Kitz körperliche Entwicklungsdefizite hat: Es bekommt einfach zu wenig Nahrung, es steht unter Dauerstress, weil es den Stress der Mutter, auch schon vor der Geburt, mitbekommt, die wiederum nach der Geburt natürlich alles tut, die Situation zu ändern, mit all der Hektik usw. usw. Folge: Das diesjährige Kitz ist ein Mickerling, klein, untergewichtig und auch ängstlich– vorsichtig. Das Kitz ist also trotz der besten genotypischen Anlagen, des genetischen Erbes der Eltern, vom Phänotyp her, also in der tatsächlichen körperlichen Ausprägung, ein schwaches Stück. 1)

Schreiben wir dieses Szenario jetzt an einem konkreten Beispiel an den Böcken eines Reviers fort: Die starken alten Böcke stehen natürlich nach wie vor in ihren Revieren. Das oder die Hungerjahre haben sie überlebt. Sie dominieren ihr Territorium – und dulden zwar ihren eigenen schwachen Bock- Nachwuchs, halten sie aber unter rigoroser Kontrolle und unterdrücken sie. Dieser Nachwuchs ist daher für den Jäger kaum zu sehen, sie trauen sich einfach nicht raus; aber sie sind da, und nicht wenige.

Der selektiv jagende Jäger nun sieht bei fast jedem Ansitz den „Alten vom Berge“ – und schont ihn, obwohl er längst über fünf ist und eigentlich seinen Reproduktionsauftrag für die Spezies lange schon erledigt hat. „Viel zu schade, lass´ uns erstmal die Schwachen, die Knopfer suchen. Der Alte soll sich vererben.“ Aber, wie gesagt, die Schwachen sieht man so gut wie nie, obwohl man weiß, sie sind da. Man sieht sie mal für ein paar Sekunden, zufällig. Aber längerfristig aus der Deckung wagen die sich einfach nicht. Und so laufen wir unserem Abschuss hinterher. 

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Manchmal hilft der Zufall

Dann rennt einer der Alten im nächsten Winter vors Auto. Und wir wundern uns, was wir im Frühjahr drauf in seinem alten Einstandsgebiet auf einmal an Böcken sehen. Schwache zwar, aber jetzt sind sie da. Sie trauen sich wieder, der Druck vom Alten ist weg. Einer, der Fitteste oder Frechste, übernimmt sein Territorium, ist aber rein körperlich nicht in der Lage, den gleichen rigorosen Druck aufzubauen, den der Alte gemacht hat. Und so beschlagen er und auch der eine oder andere Nebenbock nun als vermeintlich „schwach veranlagte“ Böcke ebenso „schwach veranlagte“ Schmalrehe und Ricken.

Der nächste Winter und das nächste Frühjahr nun sind von Segen: Der Bestand wurde in den Wintern vorher deutlich reduziert, heuer gibt es wenig Schnee, kaum Frost, reichlich Äsung, eventuell eine Mast, keine Holzarbeiten und keine Unruhe im Revier, das Wetter spielt mit. Und die schwachen Schmalrehe bzw. Ricken setzen jetzt auf einmal starke Kitze, die sich darüber hinaus noch überaus erfreulich entwickeln, und zwar auch phänotypisch, sprich vom individuellen körperlichen Erscheinungsbild her. Das heißt, der Phänotyp des starken Kitzes ist jetzt wieder in Übereinstimmung mit seinem ererbten Genotyp, den Erbanlagen, wie es noch bei Großmutter und Großvater der Fall war. Der Jäger, völlig baff, schreibt es stolz seinen „Hegebemühungen“ zu.

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Die „Hege“

Das Rehwild kämpft sich also manchmal  t r o t z  nicht mehr zeitgemäßer Jagdmethoden wieder in den natürlichen Zustand zurück. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass entweder Natur und Wetter helfen. Oder die alten Fehler werden abgestellt, die vielfach praktizierte „unbedingt nötige“ Hege- Vollschonung hört auf und es wird so in den Bestand eingegriffen, dass wieder die natürlich tragbare Wilddichte im Revier herrscht. Denn sonst haben wir einen hoch wirksamen, immer wieder völlig unterschätzten Einflussfaktor im Spiel, der das Rehwild daran hindert, sein genotypisches Potential auszuschöpfen: Den sozialen Stress. Um es klar zu machen: Hermann Ellenberg hat in seinem Feldversuch in Stammham nachgewiesen, dass Rehe selbst in drangvoller Enge gut leben können, so lange nämlich, wie sie ausreichend und „ad libitum“, wie er das nannte, Nahrung und Deckung haben. Dann nämlich kommt so ein Stück auch mit einer Fläche von 50 x 50 Metern als homerange aus. In der realen Welt aber gibt es das nicht, beides zusammen. Wenn es zu viele Rehe gibt, wird gewandert, erst recht natürlich, wenn es dazu noch zu Nahrungskonkurrenz kommt. Selbst zu Normalzeiten reicht aber schon das zu enge „Aufeinanderhocken“ bei unseren territorial lebenden Rehen. Allein damit schon entsteht Aggression, kommt dazu noch Nahrungsknappheit, desto mehr: Damit entsteht sozialer Stress, in der Folge ein verhängnisvoller, sich selbst verstärkender Kreislauf.

Das ist das, was alle, buchstäblich alle Rehwild- Fachleute seit vielen Jahren immer und immer wieder predigen. Kurt, Stubbe, Osgyan, Hespeler, Ellenberg, v. Bayern u. v. a. m. Jeder, buchstäblich jeder schreibt genau das immer wieder. Und belegt es bestens, mit den unbezweifelbaren Ergebnissen langjähriger wissenschaftlicher Feldversuche. Unvergessen der Ausspruch A. von Bayerns („Über Rehe“) auf die Frage, welche Jährlinge und Schmalrehe man zu Beginn der Jagdzeit denn schießen sollte: „Vor allem genug! Und selbst dann sind noch genug da.“ 2)

Aber Hein Überhegejäger sagt: „Ich weiß das alles viel, viel besser als die Sesselfurzer!“, macht unbeirrt- verbissen im alten Trott weiter und, was das Ganze sehr viel schlimmer macht, impft das ganze wirre Getue seinen Jungjägern ein. Und wie wir alle wissen, hat nichts ein so zähes Eigenleben wie jägergenerationenlang kolportierter Unsinn. Um es mal ein wenig provokant zu sagen: Ein von ignoranten alten Böcken in seiner Prägungsphase gründlich versauter Jungjäger bleibt meist bis zu seinem Jägerlebensende ein ignoranter, gründlich versauter Überhegejäger.

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Natürliche Auslese

Eine Art der Auslese geschieht jeden Tag, sie ist von der Natur vorgesehen und funktioniert todsicher: Tiere, die z. B. wegen eines nicht intakten Immunsystems (negative Genmutation) krank sind oder werden, leben nicht sehr lange. Entweder sterben sie oder sie werden, krank, sehr schnell Beute von Beutegreifern, auch von solchen, die sonst nicht zum Zuge kämen – bei uns Fuchs und Sau. Das Gleiche trifft für Stücke zu, deren Immunsystem den vielen Krankheiten und Infektionen nicht mehr gewachsen ist, die z. B. auf Grund überhöhter Populationsdichten in den Beständen grassieren. Mit ihnen geschieht dasselbe. Vor allem haben sie so gut wie keine Chancen, sich zu vererben – die Böcke (beim Rehwild) kommen nicht zum Beschlag, die innerartliche Konkurrenz , vulgo die gesunden, starken Böcke verhindern das; kümmernde Ricken und Schmalrehe nehmen nicht auf bzw. ovulieren erst gar nicht. Das System funktioniert also so, wie man sich die natürliche Auslese üblicherweise vorstellt.

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Kann Jagd, können Jäger gezielt selektieren?

Gute Frage. Klare Antwort: Nein! (Und das gilt für alle Jäger, ob menschlich, ob tierisch!) Jedenfalls nicht per se, und ganz sicher nicht in dem beschränkten Rahmen und Wirkungsgefüge, die wir in unserem zeitlich begrenzten Jägerleben überblicken können. Wir sollten lernen, zwei Begriffe sorgfältig auseinanderzuhalten: Selektion und Bestandsentwicklung. Selektion erfolgt innerartlich, siehe oben, also über die Vermehrung und Vererbung, und sie geschieht in der Weise, dass sich die durchsetzungsstärksten Eltern in den Vordergrund spielen. Die Jagd schafft dazu nur die Voraussetzungen, und zwar, indem sie den Bestand auf einem dem Umfeld, den Kapazitäten angepassten Niveau hält. In einem Habitat mit angepasstem Bestand gibt es starke Individuen, die die nötige Kraft haben, sich gegen innerartliche Konkurrenten durchzusetzen. Das ist dann das, was wir Selektion nennen. Und wohin die führt, selbst das lässt die Natur sich offen. Manchmal sogar in Sackgassen.

In einem Habitat jedoch, das völlig überbesetzt ist, greift diese Gesetzmäßigkeit nicht mehr, der Beschlag wird zum reinen Zufall. D. h., auch tatsächlich genetisch schwache Individuen, vor allem schwache Rehböcke, haben weit größere Chancen, sich zu vererben, weil die wenigen starken Böcke einfach „überbeschäftigt“ sind. Die Folge sind eben, wie die Kollegen von der Anglerseite das nennen, „verbuttete Bestände“.

Sicher, der Wolf erbeutet als Hetzjäger ganz bestimmt mehr körperlich schwache als starke, ausdauernde Karibus, und wählt er sein Opfer aus einer Gruppe, einem Rudel, einer Rotte, konzentriert sich der Angriff sehr schnell auf das schwächste bzw. das langsamste Stück. 3) Aber nicht, weil der Wolf „weidgerecht“ jagt oder „selektieren“ will. Sondern weil es schlicht am bequemsten für ihn ist, weil er streng ökonomisch jagt – je günstiger das Verhältnis von Einsatz zu Ertrag, desto besser. Vor allem aber konzentriert er sich auf den Nachwuchs, denn von der körperlichen Leistungsfähigkeit und Erfahrung her fallen die automatisch in die Kategorie „schwach“, auch das stärkste von ihnen.

Aber glaubt auch nur ein vernünftiger Mensch, ein Wolf, ein Wolfsrudel würde seinen Angriff auf ein territorial, also einzeln lebendes Stück Rehwild unterlassen oder abbrechen, weil es sich um ein starkes und gesundes Stück handelt, und einen Einstand weiter ziehen, um ein schwaches Stück zu suchen?

Das ist ja wohl eine rein rhetorische Frage. Will sagen: Wenn mal ein starkes Reh vor dem schwachen stirbt, ist das keine Katastrophe, denn das passiert millionenfach. Das Ergebnis ist über kurz oder lang das Gleiche: Eine Reduzierung des Bestandes, die Voraussetzung dafür, dass sich die Stärkeren beim Reproduktionsgeschehen überhaupt flächendeckend in den Vordergrund schieben können. Aber der Spezies schadet es nicht, wenn zunächst und vereinzelt ein schwächeres Stück nachrückt. Siehe Genetik.

Und beim allseits bewunderten eleganten Schleicher, dem Luchs, ist diese Tücke geradezu Methode. Als fast reiner Lauer- und Überraschungsjäger nimmt er das, was gerade seinen Weg kreuzt und unvorsichtig ist. Und selbst das stärkste und fitteste Reh, das da in seinem Revier geht, hat nun mal ab und an seine dumme Stunde. Sors mala, nihil aliud.

Manche Jagdmenschen aber, leider noch viel zu viele, meinen immer noch, sie könnten das besser als Mutter Natur, vor allem verschließen sie die Augen vor ihren uralten, bewährten Regelkreisen und deren Wirkungsweisen.

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Auslese durch Jagd?

Ich weiß nicht mehr, wer von den oben zitierten Autoren es war, einer davon war es jedenfalls, der, ich zitiere aus dem Gedächtnis, sinngemäß gesagt hat: „Die Spezies Capreolus capreolus existiert seit ca. 25 Mio Jahren und hat alle widrigen Umstände in dieser langen, langen Zeit ohne jeden Schaden und als Art enorm widerstandsfähig und gesund überlebt (siehe weiter oben, Variationsbreite im Erbgut). Jetzt kommen wir und meinen, wir könnten es mit neuen Ideen und Moden besser machen. Das Ergebnis wird nicht gesunderes Rehwild sein – gesunder als gesund geht per se nicht -, das Ergebnis ist eine endlose Debatte und Schwadronieren auf Kosten der Rehe.“

Man kann Rehwild einfach nicht selektiv bejagen, jedenfalls nicht so, wie viele meinen, das zu können, also indem man über die gezielte Entnahme „genetisch minderwertiger Stücke“ den Genpool der Spezies Capreolus capreolus verbessert. Dazu müsste man nämlich in der Lage sein, die „genetisch minderwertigen“ Stücke per Fernanalyse zu erkennen. Und selbst wenn das ginge, was würde das heißen?

Sicher gibt es bei Einzelstücken, Individuen Genveränderungen, die bekannten Mutationen. Die muss es geben, weil die nämlich das einzige Werkzeug der Natur zur stammesgeschichtlichen Weiterentwicklung, Darwins Evolution, sind. Die Natur versucht es eben nach dem Grundsatz „trial and errror“. Was sich nicht durchsetzt, verschwindet halt wieder. Nur: Wie soll ich die erkennen? Was ja die Voraussetzung wäre, um sie gezielt wieder „auszumerzen“. Ich meine, Genveränderungen, Mutationen stehen ja nicht außen an die Decke oder Schwarte geschrieben, noch nicht mal beim Zuchtvieh. Also: Wieder so eine rhetorische Frage.

Aber gehen wir mal, rein  hypothetisch, weiter und unterstellen wir mal, es wäre irgendwann mal möglich, solche Mutationen zu erkennen. Sofort hätten wir das nächste Problem: Ist das nun eine negative oder positive Mutation? Anders ausgedrückt: Ist es eine evolutionäre Sackgasse oder eine erfolgreiche Adaption an veränderte Umweltbedingungen? Um das wiederum beurteilen zu können, müssten wir in der Lage sein, das Chaos- System „Umwelt“ zu verstehen. Schwierig? Nein, unmöglich. Das schaffen wir bisher trotz Super- Computern ja noch nicht mal beim Wetter, das ja bekanntlich nur einer der vielen Faktoren ist, die unsere Umwelt definieren. Und gerade das Merkmal „geringere körperliche Ausstattung“, bei der überkommenen Hegejagd bekanntlich  d a s  klassische Selektions- Kriterium, ist ja eben nicht auf eine Erbgut- „Verschlechterung“ zurückzuführen, wie wir gesehen haben.

Was das Ganze jetzt noch chaotischer macht: Die veränderten Umweltbedingungen, an die das Stück, seine Nachkommen sich eben adaptiert haben, haben die Bestand? Oder pendelt die Natur nach einer gewissen Zeit wieder in den alten Zustand zurück? Wenn ja, erweist sich die eben noch erfolgreiche Adaption auf einmal als evolutionärer Nachteil.

Machen wir´s kurz: Das unterscheiden zu wollen, damit hält sich noch nicht mal die Natur auf. Sie wartet einfach ungerührt das Ergebnis ab, vor allem das große und ganze Ergebnis. Einzelschicksale interessieren sie nicht, Ausreißer gibt es überall.

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Altbewährtes kopieren – was ist daran verkehrt?

Wir sollten es einfach so machen wie die Natur: So jagen wie sie vorgeht. Wenn wir Rehe sehen und wir „kommen dran“, dann schießen wir. Meine Devise war und ist, und danach wurde und wird bei mir Rehwild bejagt:

Man muss sie schießen, wenn man sie sieht: Zu 90 % sieht man sie kein zweites Mal!

Um hier dem reflexartigen Vorwurf der Ausrottung und des Schießertums zu entgegnen: Es ist überhaupt nicht schädlich, wenn man mal ein ganz besonders vitales, starkes, junges Stück nicht schießt; das gehört schließlich auch zur Freude an der Jagd, am Wild, am Revier. Aber das sollte eher die Ausnahme statt die unbedingte Regel sein, und auch nur dann, wenn man sicher ist, trotzdem den für das Revier und den gesunden Bestand sinnvollen und erforderlichen Abschuss erfüllen zu können. Problemlos ist das besonders in solchen Revieren, in denen ich angepasste Wildbestände habe.

Und selektiv kann und sollte man jagen, wenn man den unmittelbaren Vergleich hat. Will sagen: Wenn ich zwei oder mehrere Stücke zusammen sehe, schieße ich eben zunächst das offensichtlich schwächere, kleinste. Aber nicht, weil ich vordergründig „schlechten Genbestand der Wildbahn entnehmen will“, wie´s oft so hochtrabend heißt. Denn das viel stärkere Stück daneben ist oft genug Bruder oder Schwester aus dem Vorjahr, und Geschwister haben bekanntlich eine bis zu 100 % identische genetische Ausstattung. Sondern weil

  1. ich verhindern will, dass das Stück in ein paar Monaten im Gebüsch verludert oder auf der Straße stirbt und damit meiner Backröhre entgeht und
  2. weil auch ein schwaches Stück im Bestand und Revier für sozialen Stress sorgt.

Wen´s beruhigt, der kann ja hinterher eine Genanalyse vom geschossenen Stück vornehmen lassen. Man kann´s aber auch einfach mit Genuss und Freude essen.

Um es noch einmal klar zu sagen: Selektion im obigen Sinne, also im unmittelbaren Vergleich, wenn man das dann überhaupt so überhöht nennen will, ist völlig in Ordnung. Selektion als Synonym zum vielfach gequälten Begriff „Hege“ aber wird da regelmäßig zum massiven Problem, wo darunter eigentlich nur Folgendes verstanden wird: Nicht schießen, morgen könnte ja noch was Schwächeres, Mickerigeres kommen. Man hat schon mal den Eindruck, dass manche Beständer am liebsten erst mal alle Rehe im Revier in eine Reihe stellen würden, um dann das schwächste zu füsilieren. Streng weidgerecht.

Viele Jungjäger trauen sich einfach auch deshalb nicht zu schießen, weil so mancher Jagdherr (welch ein Begriff!) völlig abstruse Abschuss- Vorgaben setzt. Die meisten von uns kennen die: „Keinen Bock über lauscherhoch auf!“; „Gabler? Zukunftsbock, unbedingt schonen!“; „Schmalreh? Nur, wenn erkennbar sowieso kurz vor dem Exitus; schließlich sind das die Mütter unser künftigen Böcke!“; „Ricken? Wohl wahnsinnig!“; „Bockkitze sind tabu.“ Und wehe, es wird gegen diese hehren Grundsätze der Weidgerechtigkeit verstoßen: Öffentliche Anklage mit mindestens einjährigem Liebesentzug mitsamt Jagdverbot ist die Folge, am Jägerstammtisch kann man sich nicht mehr sehen lassen.

Genau das ist dann auch der Grund dafür, dass am Ende der Jagdzeit mit schöner Regelmäßigkeit in vielen Revieren Hektik aufkommt. Man rennt dem Abschuss hinterher. Natürlich wird er nicht erfüllt, und natürlich wird er aber dann als erfüllt gemeldet. Dass das verbreitete Praxis ist, lässt ja, logisch, nur einen Schluss zu: Man weiß, man kann´s nicht, aber das würde man nie zugeben! Die Jagdmethoden, genau genommen die oft einzig praktizierte Methode, nämlich der Daueransitz auf immer den gleichen Hochsitzen, tun ein Übriges. Eine gezielte Drückjagd auf Rehwild z. B. gilt bei vielen Zunftgenossen wie in uralten Zeiten als unweidmännisch, man rümpft indigniert die Nase. Wenn´s reicht.

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„Im Einklang mit der Natur“ – mein persönliches, ganz spezielles Reiz- Zitat

Wer kennt es nicht, das Totschlag- Zitat der Jagdgegner, der „Naturschützer“, der zivilisationsverdrossenen Selbstverachter? Man sehnt sich nach der Natur, nach Ursprünglichkeit. Aber natürlich von der bequemen Couch aus, mit Zentralheizung, dem Doktor und Aldi um die Ecke. Die Klage: Alles lebt im „Einklang mit der Natur“, vor allem natürlich unsere Tiere, aber auch Angehörige ursprünglicher Völker, Nomaden, Jäger und Sammler. Nur der moderne Mensch, dieser Kretin, tut das nicht, vor allem aber der moderne Jagdmensch nicht. Der ist schlicht ein Ausbund an Tücke, an Falschheit, lebt perverse, „neandertaloide“ Triebe aus. Die man gerade noch bei den Naturvölkern bewundert hat, versteht sich. Und, völlig verrückt, obwohl gerade die sofort und auf der Stelle mit unserem Couch- Naturschützer tauschen würden, eben wegen der Couch, der Zentralheizung, dem Doktor und dem Aldi um die Ecke. Na ja. Um manche abstrusen Weltbild- Kompositionen aufrechterhalten zu können, ist es oft nötig, den Begriff „Konsequenz“ konsequent auszublenden.

Um es ganz klar zu sagen: Die Natur hat mit auch mit unserer „modernen“ Jagd null Probleme. Nothing. Rien. Nic. Mit uns Jagdmenschen sowieso nicht. Sie betrachtet uns als Teil des Ganzen, als Umweltfaktor, wenn wir so wollen, als einen Teil der völlig natürlichen Jägergemeinde. Von denen jagen einige mit Kraft, andere mit Ausdauer, einige mit einer Mischung aus Kraft, Ausdauer und Intelligenz, wieder andere mit Gift, einige mit Netzen und sonstigen Fallen. Manche, wie z. B. Schimpansen, aber auch einige Vogelarten, benutzen Werkzeuge. Wir Jagdmenschen nutzen unsere Intelligenz und die mit Hilfe dieser Intelligenz entwickelten Waffen und Geräte, jeder nach seinen Möglichkeiten und nach seinem Bedarf, egal ob Buschmann oder moderner Jäger. Und die Intelligenz haben wir schließlich von der Natur, wie kann das dann unnatürlich sein?

Aber wir sollten sie nicht dazu missbrauchen, den grundsätzlichen Charakter der Jagd zu verändern, sie mit ideologischen Modeströmungen zu verhunzen, denn damit zerstören wir tatsächlich den Einklang mit der Natur. Abgesehen davon, dass das sowieso immer nur Zeiterscheinungen sind, die sich über kurz oder lang wieder verlieren: Wir nehmen uns damit nicht nur die Freude an der Jagd, sondern werden auch noch zu diesen verbissenen, humorlosen Typen, die Otto Normaljäger oft so auf die Fichte bringen: Zu Überjägern, mitsamt den bekannten Trophäenschauen, Bewertungsschemata und roten Punkten an „Fehlabschuss- Trophäen“. Der Jagdneid und das gegenseitige Hintereinanderherreden werden praktischerweise gleich mitgeliefert. Machen wir´s einfach so weit wie möglich Bruder Wolf, Cousin Luchs und Onkel Bär nach, nach guter alter, seit Jahrmillionen bewährter Regel der Kunst.

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Grenzen der Theorie

Denn wenn wir den Faden weiter spinnen, stoßen wir sowieso an logische Grenzen. Angenommen, wir haben den Bestand tatsächlich auf die „Pionierphase“ (den Begriff hat meines Wissens Fred Kurt in „Das Reh in der Kulturlandschaft“ kreiert, und er ist Programm) herunterreguliert, was ja bekanntlich unser Auftrag ist. Dann sind schwache Stücke die unbedingte Ausnahme. Und dann? Stellen wir dann die Jagd ein, bis wieder genug schwache da sind, die man ja als „weidgerechter“ Jäger allein schießen darf? Natürlich nicht. Denn dann sind wir da, wo wir eigentlich hinwollten. Dann jagen wir nach dem einzig wahren Motiv, das Grund für die Jagd sein sollte: Nachhaltig und verantwortungsvoll zwar, den Zuwachs abschöpfend.  U n d  aus reiner Freude an der Beute, an der Jagd, am Draußensein, an der ganzen Melange von Wahnsinnsgefühlen, die mit ihr zusammenhängen.

Die Tatsache, dass Rehe bzw. Ricken, Rehgeißen auf mehr Raum und mehr Nahrungsangebot (die „Pionierphase“ eben!) tatsächlich damit reagieren, dass sie im Durchschnitt erstens mehr und zweitens mehr weibliche Kitze setzen, die entscheidenden Zuwachsträger also, wird uns bekannterweise, wenn´s denn gerade besser passt, als Argument gegen die Jagd entgegengehalten.

Tenor: Jagd ist kontraproduktiv. Sie regt die gesamte Tierwelt ja nur zu vermehrtem Zuwachs an.

Na ja. Darauf braucht ein logisch denkender, von ideologischen Zwängen befreiter Mensch eigentlich ernsthaft nicht einzugehen, denn nach der Logik wären wir unbedingt aufgefordert, Wolf, Luchs, Bär, Großkatzen und jeden weiteren Mitjäger auf der Stelle auszurotten, bevor unsere schöne Mutter Erde aufgrund des schieren jagdbedingten Zuwachses unter der eigenen Masse kollabiert und als Schwarzes Loch endet.

Für uns Jäger bedeutet das eigentlich nur: Wir müssen „am Jagen bleiben“, also weiter mehr schießen. Damit erhalten wir die Pionierphase, in diesem speziellen Fall beim Rehwild. Wir schießen mehr, wir schießen „qualitativ“ besseres, schwereres, gesunderes Wild. Was wollen wir mehr? Keine Angst: Das „mehr“, das wir schießen, fällt nicht vom Himmel. Es ist einfach das, was ansonsten elend in den Büschen verreckt. Und wir schießen natürlich jedes Jahr den einen oder anderen starken, vielleicht kapitalen Bock, mitsamt berechtigter, reiner Freude an der schönen Trophäe und den damit verbundenen Erinnerungen. Was man sich auch verdient hat, weil man sein Revier in Ordnung gehalten und sich dafür das ganze Jahr den Hintern aufgerissen hat. Nebenbei bemerkt, in Ordnung gehalten auch für die statistisch auf jeden Jäger entfallenden anderen 245 Bundesbürger, die keine Jäger sind, aber von einer intakten Umwelt, von gesundem Wild ebenfalls profitieren, und sei es nur aus reiner Freude an der Ästhetik.

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Es geht – und wie!

Die schwedischen Jagdfreunde übrigens jagen genauso. Sie schießen ihre Rehe, wenn sie sie sehen, so lange, bis der vorgegebene Abschuss erfüllt ist. Meist völlig wahllos. Sogar das Brackieren von Rehen habe ich bei denen gelernt. Mit dem Stövare und der Flinte. Das klappte ganz erstaunlich gut! Und geschossen wird dabei das Stück, das der Hund eben gerade hoch macht. Der wiederum schert sich einen Teufel darum, wie schwer, wie gesund, wie alt oder sonst was das Stück ist. Für manchen deutschen „Heger“ ein untragbar skandalöses Verbrechen. Die Schweden sehen das aber sehr entspannt. Und haben sich mit dieser „unverantwortlichen Totschießerei“ (beim Brackieren, und nicht nur da, mit Schrot!) einen der besten, gesundesten Rehwildbestände Europas erhalten, mit Durchschnittsgewichten, von denen wir hier nur träumen können, und so kapitalen Böcken, dass jeder deutsche Jäger andachtsvoll die Luft anhält. 4)

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Fazit – oder langer Rede kurzer Sinn

Wir Jäger können, wenn wir alles richtig machen, die Bestandsdichte regulieren. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Aber das reicht schon, völlig, denn exakt das ist die ökologische Begründung für die Jagd. Weil wir damit genau das tun, was Jagd und damit auch Menschenjagd allein erreichen kann, weshalb sie „erfunden“ wurde: Wir erhalten die Balance im System, zum Nutzen des Jägers (Beute!) und zur Gesunderhaltung des verbleibenden Bestands, der Flora, des gesamten Gefüges.

Was wir mit der Jagd nie erreichen können, auf jeden Fall nie unmittelbar, ist, einen (Reh-) Wildbestand genetisch „aufzuarten“, zu verbessern oder zu selektieren. Bei anderen Wildarten akzeptieren wir das klaglos. Oder hat das mal irgendjemand auch nur ansatzweise beim Schwarzwild versucht? Beim Niederwild? Bei Füchsen? Hören wir einfach auf mit dieser Vernebelung. Überlassen wir die Evolution, nichts anderes ist die genetische Fortschreibung, einfach wieder der Natur, meinetwegen dem lieben Gott; wir sollten endlich aufhören, den beiden ins Handwerk pfuschen zu wollen. Ganz nebenbei haben wir auch bei weitem nicht deren beider Zeit und Geduld, die dazu nötig wäre. Das muss man nur akzeptieren.

Denn die Kehrseite der Medaille „selektive Jagd“, ganz abgesehen davon, dass sie eh nicht funktioniert, ist schlicht und einfach, dass das, was wir tatsächlich können, nämlich die Kontrolle der Bestandsdichte, auch auf der Strecke bleibt.

Warum also machen wir uns das Leben selbst schwer? Einfach nur jagen gehen reicht doch. Völlig.

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Kirchveischede, 10. Mai 2014

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Manfred Nolting

Ein Jagdmensch

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1) Das gibt es auch beim Menschen – speziell im und nach dem Weltkrieg I gab es auch bei uns diese Hungerkinder, und die Holländer haben bei Weltkrieg II- Kindern dieses Phänomen sogar wissenschaftlich untersucht und nachgewiesen, und wer kennt nicht die Skandalfotos von Hungerkindern in Afrika. Deren Kinder wiederum kommen wieder „ganz nach der Art“, trotz der gehandicapten Eltern, ausreichende Ernährung im Kindes- und Entwicklungsalter natürlich vorausgesetzt. Gesichert und tausendfach belegt ist, dass Entwicklungsdefizite, die auf Mangel, vor allem Nahrungsmangel, sei es pränatal oder in der frühkindlichen Entwicklungsphase, zurückzuführen sind, vom Individuum in der späteren Entwicklung nie wieder ausgeglichen oder aufgeholt werden können, auch bei üppigsten späteren Lebensverhältnissen nicht. 

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2) Herzog Albrecht von Bayern und seine Frau Jenke, die ich post mortem für die mit profundesten Kenner und Praktiker unseres Rehwildes halte, schrieben dazu in ihrem lesenswerten Buch „Über Rehe in einem steirischen Jagdrevier“ (BLV- Verlag, 1977) über die Jährlingsbejagung wie folgt:

Thema Knopfböcke:

Das bis zum Überdruss durchdiskutierte und abgedroschene sogenannte „Knopfbockproblem“ ist überhaupt kein Problem! Es ist lediglich eine Frage der Jugendentwicklung. Kommen die Bockkitze, im Wachstum zurückgeblieben, in den Winter, so werden daraus Knopfböcke; sind sie aber bis zum Winteranfang entsprechend herangewachsen, so gibt es keine Knopfböcke. Eine vererbliche „Knopfbockanlage“ dürfte nur höchst selten vorkommen. Daher ist diesem „Problem“ mit Wahlabschuss von der Bockseite her nicht beizukommen.

und:

Thema Jährlingsabschuss:

 Was soll man aber jetzt abschießen? Vor allem genug! Wenn man sich einmal darüber Rechenschaft gibt, wie wenige Jährlinge man zum Nachrücken braucht und wieviele vorhanden sind, dann sieht man, dass man nicht heikel zu sein braucht, und dass es nicht langt, wenn man nur die schlechten abschießt, sondern dass man besser hinkommt, wenn man nur die ganz guten nicht schießt! ………   Unter den „allerbesten verstehen wir aber in erster Linie die besten in Körper und Gesundheitszustand. Haben sie dann noch dazu gut auf, ist es umso besser. Aber schon beim Jahrling sollte man sich angewöhnen, vom Geweih wegzuschauen und den Körper- und Gesundheitszustand als erstes zu sehen und erst danach auf das zu schauen, was der Rehbock auf dem Kopf hat. Nichts ist so hinderlich für das Ansprechen eines Rehbocks wie der Magnetismus, den diese verdammten „Stangeln“ auf unsere Augen ausüben!

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3) Ganz nebenbei: Langsam kann so ein Stück schon aus dem ganz einfachen Grund sein, dass es sich am Vortag ein Bein vertreten hat. So was ist normalerweise in einer Woche wieder ausgeheilt, dann ist man wieder wie neu. Wenn man als Ren aber Pech hat, kommt genau in dieser Woche der Wolf dazwischen. Selektion? Sors mala, nihil aliud. Oder, auf Deutsch: Einfach nur dumm gelaufen.

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4) In den letzten Jahren gibt es auch in Schweden vermehrt Jäger, die Wert auf eine gute Trophäe legen. Warum auch nicht? Als ich vor 25 Jahren das erste Mal in Schweden jagte, habe ich bei einigen Jagdfreunden wirklich kapitale Bockgehörne in irgendeiner Schuppenecke im Gerümpel gefunden oder achtlos an die Außenwand der Hütte genagelt. Die meisten, haben sie mir erzählt, hätten sie allerdings weggeworfen oder gleich im Wald gelassen. Die konnte man ja nicht essen, warum dann mitschleppen?

 Von der Sichtbarkeit

und / oder

Warum sie vom (Reh-) Wild so angestrengt vermieden wird

Wir alle kennen die alte Klage: „Wir haben kein Rehwild mehr! Wir sehen nämlich keines mehr!“ Wir alle wissen tief im Inneren, dass das so nicht stimmt: Es ist zwar richtig, dass wir nicht mehr so viele sehen, aber haben, haben tun wir mehr als genug! So viel, dass wir zumindest in NRW jedes Jahr mehr als 30 % der Gesamtstrecke von der Straße holen müssen.

Aber warum sehen wir keine mehr? Ganz einfach: Weil sie nicht wollen, dass wir sie sehen. Früher war das anders, wie ich auf dieser Seite schon verschiedentlich geschildert habe. Sie standen regelmäßig und meist zu mehreren auf den Wiesen. Weil sie satt werden wollten und es in dem alten Altersklassen- Fichtenwald, in den Waldbeständen einfach nichts gab, was satt machte.

Aber sie wussten (und wissen!), dass Sichtbarkeit immer gefährlich ist, deswegen standen sie, wenn sie dazu gezwungen waren, im offenen Gelände mit möglichst vielen Artgenossen zusammen. Das liegt uns (jawohl, auch uns!) einfach auf den Genen: In potentiell gefährliche Situationen, in Sichtbarkeit und damit Gefahr begeben wir uns höchst ungern allein. Das nur mit dem verachteten „Herdentrieb“ abtun zu wollen, wird der Sache nicht gerecht, das Phänomen ist für eine einfache Erklärung einfach zu vielschichtig. Versuchen wir einmal, es aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten.

Zunächst einmal wenden wir uns der Physik zu: Gerüche, Geräusche verlieren mit jedem Meter Distanz an Wirkung, an Eindeutigkeit, und zwar in geometrischer Potenz; sie zerfließen, verwischen, zerfasern, sind nicht mehr zweifelsfrei zuzuordnen, bilden bald nur noch ein diffuses Hintergrundrauschen. Das hängt vor allem damit zusammen, dass beide äußerst windabhängig sind, Gerüche natürlich noch mehr als Geräusche. Wind transportiert sie, er sorgt gleichzeitig aber auch für Verdünnung, Verteilung, und gar gegen den Wind geht gar nichts. Kurz: Witterung und Geräusche verlieren mit zunehmender Entfernung an Wirksamkeit, verlieren ihre Eindeutigkeit, vor allem dann, wenn sich der Emittent auch noch bewegt. Zumindest ist es für einen Beutegreifer weit mühsamer, sein Opfer allein über Witterung und Geräusche zu orten als durch die „Optik“. Sichtbarkeit unterliegt diesen Einschränkungen nämlich nicht – steht ein Zebra in der Steppe, wird der hungrige Löwe aufmerksam, egal, ob es hundert Meter oder drei Kilometer entfernt steht, egal, aus welcher Richtung der Wind weht oder ob es völlig windstill ist. Jetzt beginnt die gezielte Jagd, die wirklich gefährliche, dann auch unter Berücksichtigung des Windes, der dann zum Kumpanen wird: Es wird weiträumig umschlagen, dann gegen den Wind gepirscht – alles bestens bekannt.

Logisch ist das Ganze dann zusätzlich vor dem Hintergrund der Wahrscheinlichkeitsrechnung: Die Chance, davonzukommen, ist natürlich bei vielen möglichen Zielen rein rechnerisch einfach viel größer, als wenn ich das alleinige Ziel eines Jägers oder Aggressors bin. Es wird zur Frage des Zufalls – bei insgesamt 10 Rehen ist für jedes die Chance 10 zu 1, dass es bei einem Angriff mit heiler Haut davonkommt. Steht es allein auf weiter Fläche, kann es nur darauf hoffen, dass der Schütze verwackelt, die Wölfe sich früh verraten. Als Skatspieler würde ich sagen, ein Grand gegen vier. Manchmal geht´s gut………..

Natürlich stellt kein Reh solche Überlegungen an, das tun ja noch nicht einmal wir. Aber die Natur hat uns genau das im Laufe von zig Millionen Jahren Evolution auf die Chromosomen geschrieben und im Verhaltensrepertoire verankert; es hat sich unterm Strich und im Großen und Ganzen als wirksame Überlebensstrategie herausgestellt und damit über die Selektion verstärkt. Um das Ganze jetzt auch noch praktikabel und möglichst wirksam zu machen, hat Mutter Natur solches Verhalten dann mit Gefühlen, Empfindungen belegt und damit der Ratio entzogen, zum Reflex gemacht – wir fühlen uns, vor allem dann, wenn es gefährlich wird, in Gemeinschaft einfach „instinktiv“ besser, geborgener, sicherer, auch wenn das, rein realistisch betrachtet, manchmal ein Trugschluss ist. Karibus, Zebras, Gnus, schon Fische z. B. folgen dem und bilden Herden, riesige Schwärme. (Wohlgemerkt, das gilt für so genannte Agglomerationen, nicht für Rudel, also Familienverbände – hier sind auch andere, nämlich soziale Wirkungsmechanismen am Werk.)

Wie sehr das uralte Erbe „Vermeidung offener Flächen“ noch uns selbst beherrscht, darüber kann man sich selbst ein Bild machen. Beobachten Sie dazu sich selbst oder Ihre lieben Mitmenschen: Gehen wir in ein leeres Lokal, setzen wir uns unweigerlich an einen Tisch am Rand des Gastraums, die in der Mitte werden immer zuletzt besetzt – weil sie von allen Seiten bestens sichtbar sind und deswegen die „besseren“ am Rand einfach schon besetzt sind. Beobachten Sie mal in einer Stadt, wie die Passanten über freie Plätze gehen: Nur die wirklich Eiligen und / oder wirklich Selbstbewussten gehen auf direktem Wege quer über den Platz, alle anderen bewegen sich schön am Rande entlang, machen damit also einen Umweg und gucken sich dabei, quasi zur Entschuldigung, die Schaufenster an. Wenn Sie eine Pause im Revier machen – Sie setzen sich an den Waldrand, nie mitten auf irgendeine Wiese. Sie denken auch gar nicht darüber nach, warum Sie das tun – Sie tun´s einfach. Instinktiv! Und wenn Sie sich zum Picknick im Park mitten auf eine Wiese setzen – wetten, dass Sie dann nie allein sind bzw. sich das nur in Gemeinschaft mit Freunden trauen? Und dass Sie trotzdem, wenn es eben geht, sich zumindest unter einen Baum setzen? Wobei der Schatten da nicht ausschlaggebend ist dafür, dass wir uns unter ihn setzen. In erster Linie wichtig ist, dass wir Deckung haben.

Die Wirklichkeit

Unsere älteren Herrschaften, die sich an die alten Zeiten mit vielen Rehen auf den Wiesen noch erinnern, interpretieren das heute so: „Früher hatten wir viel mehr Rehe, da standen manchmal 10, 20 Stücke draußen auf den Wiesen!“

Die Erklärung liegt nahe, nur stimmt sie leider nicht. Das genaue Gegenteil ist der Fall – es steht zwar kein Reh mehr auf den Wiesen, aber dafür 40, 50 unsichtbar und verstreut dahinter in den Beständen, in den Himbeeren, den Anpflanzungen. Denn heute haben wir alles andere als den Wald von damals. Ganz abgesehen von den riesigen Windwurf- Flächen von Kyrill wird heute im Plenter-, Femelhieb bewirtschaftet, werden die Altfichten- Bestände ausgelichtet und mit Laubhölzern unterpflanzt, hat die Zahl der Wege und damit der Grenzlinien enorm zugenommen. Zusammen mit dem reichlichen Stickstoffeintrag über die Luft hat sich damit aber auch die verfügbare Biomasse, sprich das Nahrungsangebot, verzigfacht, und, vor allem, gibt es Nahrung im Überfluss jetzt da, wo es den Rehen in nahezu idealer Weise entgegenkommt, nämlich unmittelbar in bzw. neben den Einständen.

Um bei dem Vergleich zu bleiben: Warum sollten die sich in die Mitte des Lokals setzen, wenn es genug heimelige und verschwiegene Nischenplätze gibt? Die, die sich in die Mitte setzen müssen, sind die, die keinen Nischenplatz mehr bekommen haben. Bei den Rehen sind es die, die draußen auf den Wiesen stehen. Die meisten von ihnen leben nicht lange. Mal ganz abgesehen davon, dass sie schnell zur dankbaren Beute des Ansitzjägers werden – sie haben noch ganz andere, viel wirksamere Feinde. Sie fühlen sich selbst unwohl, sind nervös, gestresst, weichen aus, wandern. Und kommen über kurz oder lang auf den Straßen um, werden, weil dauernd unter Adrenalin, Opfer ihres geschwächten Immunsystems. Leider ist es so: Die wenigsten von ihnen werden geschossen. Eine Verschwendung an Ressourcen, die ihresgleichen sucht. Und was uns dabei an Jagdfreude entgeht! Und, last not least, der Grund für ständigen Hader mit unseren eigentlichen natürlichen Verbündeten, den Waldbesitzern und der Forstseite. Wir kommen einfach nicht daran vorbei: Wir müssen unsere Methoden ändern. Viele müssen aber erst noch wollen.

Kirchveischede, 19. Januar 2014

Manfred Nolting

Ein Jagdmensch

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Rehe drücken – aber richtig!

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In der Welt rumjagen ist was Schönes. Elche in Russland und Sibirien, Rehe in Schweden, Gams in Österreich, Rotwild, Sauen in Litauen, Ungarn, Rumänien, Pronghorns und Weißwedel in Montana und Wyoming – das hat was. Man lernt jede Menge Leute kennen, man lernt jede Menge Jäger kennen, man lernt in puncto Jagd dazu, man lernt andere Länder, Sitten und Gebräuche kennen, man kann nebenbei die Verwandtschaft besuchen. Wie gesagt, das hat was. Aber irgendwann überkommt es einen: Man möchte auch mal was „um die Ecke“ und für sich haben. So did I.

Das erste „um die Ecke“ war in Thüringen, Bad Liebenstein. Also nicht wirklich um die Ecke. Ein Kurort. Bis ich da 1992 Pächter wurde, habe ich mir auch nicht annähernd vorstellen können, zu welchen Uhrzeiten und wo überall einem Kurgäste entgegen krauchen können! Aber es war trotzdem schön, auch, weil ich da einige gute Freunde gefunden habe. Zwei oder drei Jahre später habe ich mich zusätzlich auch im Sauerland verwirklicht, diesmal wirklich direkt bei mir um die Ecke; es war einfach zu verlockend. Es war ein Sauerlandrevier, nur 240 Hektar groß, nichts Spektakuläres. Ich will damit sagen, dass ich nicht von kapitalen Hirschen umgerannt wurde, erst recht nicht von Elchen, Pronghorns, Weißwedel und weiß Diana sonst noch was. Es gab nur viele Rehe, ein paar Sauen, Füchse. Der Pachtpreis war eigentlich unanständig. Aber es war, wie gesagt, um die Ecke. Ich war in ein paar Minuten im Revier.  

Ich glaube, jeder, der schon einmal ein Waldrevier gepachtet hat und nicht das Glück oder die Finanzen hat, sich entweder selbst im Fulltime- Job kümmern oder zur Bewirtschaftung einen Berufsjäger einstellen zu können, weiß, wie schwierig es ist, dort seinen vorgegebenen Abschuss an Schalenwild zu erfüllen; vor allem rede ich dabei über das weibliche Rehwild. Mit den Sauen macht das hier bei uns weniger Probleme, weil so gut wie kein Ackerbau betrieben wird, aus klimatischen Gründen und wegen der nicht so berauschenden Böden. Wenn sie mal eine Wiese umdrehen, arrangiert man sich irgendwie mit den Bauern. 

Die Forstwirte haben wiederum mit den Sauen keine Probleme. Dafür aber mit den Rehen! Gerade der Staatsforst macht da regelmäßig ein Riesenfass auf wegen der kleinen roten Knospenbeißer. Also, ich persönlich sehe das nicht ganz so verbissen. Verbiss ist ja keine neue Erfindung, sondern liegt im Gegenteil bei unseren Trughirschen auf den Chromosomen. Die brauchen das einfach, weil sie sich so ihren Lebensraum erhalten, nämlich die durch Windbruch, Feuer oder sonstige Kalamitäten entstandenen Lichtinseln mitsamt den dadurch entstandenen Grenzlinien und dem nur da wachsenden hartfaserfreien Aufwuchs. Bis jetzt ist die Natur damit gut klar gekommen, ich habe jedenfalls nichts Gegenteiliges gehört. Aber es ist wie in der Medizin: Es gibt keinen gesunden Menschen. Es gibt nur Menschen, die noch nicht gründlich genug untersucht worden sind. Es ist doch ganz simpel: Wenn ich Alarm machen will, nehme ich irgendetwas bis dahin völlig Unverdächtiges, hänge ihm den Nimbus des „völlig unterschätzten, schlafenden Risikos“ an, und schon habe ich ein Thema (Hui Buh, das Waldsterben. Klappt aber auch mit dem Klima, ja sogar mit Blei in Jagdgeschossen!). Unweigerlich habe ich dann BILD, Praline, die Grünen und ihre Apologeten NABU, BUND auf meiner Seite. Mit den Grünen habe ich natürlich auch die Forstämter, denn die Umweltministerien sind seit 20 Jahren i. d. R. grüner Natur. 

Wo war ich stehengeblieben? Ach so, beim Verbiss. Nebenbei bemerkt: Ganz, ganz eifrige Verbeißer sind z. B. auch die Wisente. Und zwar ausgeprägt. Aber da ist der sonst so heftig beklagte Verbiss kein Thema, die will auch keiner mehr abschaffen, wo wir sie gerade erst angeschafft haben im Sauerland und Wittgensteinischen. Herrje, man kann als  „Hobbyjäger“ wirklich durcheinander kommen. 

Verbiss ist also, forstwirtschaftlich gesehen, eigentlich mehr ein ideologisches Problem: Ein verbissener Leittrieb eines „Edellaubholzes“ löst hasserfüllte Rachefeldzüge aus. Einige forstwissenschaftliche Fakultäten in Deutschland bringen das ihren Adepten so bei. Ganz besonders rigoros und eifrig in dieser Hinsicht sind sämtliche Forstbehörden der Länder, bei denen die Grünen den mittlerweile zum Erbhof verkommenen Bereich „Umwelt, Natur, Land- und Forstwirtschaft“ ministeriell besetzt halten. (Wir alle wissen, welche fatalen Auswirkungen nicht nur auf eine Volkswirtschaft sie haben können, die Erbhöfe.) Forstamtsleiter, die etwas anderes propagieren als die rastlose Verfolgung des Schalenwilds, können sich Karrierechancen von vornherein an die Garderobenhaken ihrer Amtsstuben hängen.  So weit, so schlecht; das ist die eine Sicht.

Im Hinblick auf die Jäger aber ist es auch ein Problem, nämlich das der Lässlichkeit, der Nachlässigkeit, des Verschenkens natürlicher Ressourcen, denn sie sterben, unsere Rehe, ob wir sie schießen oder nicht. Jetzt könnte man ja meinen, na gut, wer hat denn dabei den Schaden? Verbiss ist was Natürliches, Punkt. Wenn die Jäger wiederum nicht schießen, sind sie selbst Schuld, die Pfeifen. Stimmt auch. Das Problem ist: Wir tragen diesen theoretischen Disput buchstäblich auf dem Rücken unseres Wildes aus, vor allem auf dem der Spezies capreolus capreolus. Und dabei kämen wir, bei einigermaßen gutem Willen und Hintanstellung einiger scheinbar unverrückbarer Dogmen auf beiden Seiten, endlich mal wieder in einem wichtigen Punkt zusammen, wenn auch von zwei völlig verschiedenen Ansätzen her. 1)

Denn eines muss man zugeben, in einem Punkt haben sie Recht, die Förster: Mit wenigen Ausnahmen wird viel zu wenig weibliches Rehwild geschossen bzw. schlicht der vorgegebene Abschuss nicht erfüllt, und wo der Bestand an Rehen deutlich und dauerhaft über der Biotop- Kapazität liegt, kann sich der eigentlich ganz natürliche Verbiss sehr wohl zu einem wirtschaftlichen Problem auswachsen. Das ist fast nie böser Wille, sondern liegt einfach daran, dass viele Pächter ihre Rehe immer noch so bejagen, wie das unsere Großväter vor 100 Jahren getan haben – fast ausschließlich per Ansitz. Früher klappte das. Jeder weiß, dass Rehwild alle vier bis fünf Stunden Nahrung aufnehmen muss, das liegt einfach an seinem Verdauungssystem. Damals hatte man dazu ganz andere Verhältnisse als wir heute: Strikter Altersklassenwald, reine Fichtenbestände. Wollte das Rehwild nicht verhungern, musste es auf die Wiesen austreten. Wenn sie das aber tun (müssen), tun sie das höchst ungern allein und ohne Begleitung.

Unsere älteren Herrschaften, die sich an solche alten Zeiten noch erinnern, interpretieren das heute so: „Früher hatten wir viel mehr Rehe, da standen oft 10, 20 Stücke draußen auf den Wiesen!“ Das waren noch Zeiten. Das genaue Gegenteil ist heute der Fall – es stehen zwar keine 10, 20 Rehe mehr auf den Wiesen, aber dafür 30, 40 unsichtbar und verstreut dahinter in den Beständen, in den Himbeeren, den Anpflanzungen. Und niemand ist darüber glücklicher als unsere Rehe. Die, die vereinzelt noch auf den Wiesen stehen, stehen deswegen da, weil sie im Bestand von den anderen „auf den Sock“ gebracht werden. Die Loser, auf neudeutsch.

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Die Zeiten ändern sich …..

Wir haben heute nämlich alles andere als den Wald von damals. Ganz abgesehen von den riesigen Windwurf- Flächen von Kyrill wird heute im Plenter-, Femelhieb bewirtschaftet, werden die Altfichten- Bestände ausgelichtet und mit Laubhölzern unterpflanzt, hat die Zahl der Wege und damit der Grenzlinien enorm zugenommen. Zusammen mit dem reichlichen Stickstoffeintrag über die Luft hat sich damit aber auch die verfügbare Biomasse, sprich das Nahrungsangebot, verzigfacht, und, vor allem, gibt es Nahrung im Überfluss jetzt da, wo es den Rehen in nahezu idealer Weise entgegenkommt, nämlich unmittelbar in bzw. neben den Einständen.

Kein Reh in einem Waldrevier (in reinen Feldrevieren haben sie ihr Verhalten umgestellt, sie stellen sich so weit draußen hin, dass sie am Montag schon sehen, wer am nächsten Sonntag zu Besuch kommt) ist heute noch gezwungen, sich mehrmals am Tag auf freie Wiesenflächen zu stellen, um satt zu werden. Das tun sie, ganz nebenbei bemerkt, sowieso nicht gern. Rehe sind Grenzlinienbewohner, Drücker und Schlüpfer, wenn man so will, und sie lieben unbedingt die Deckung! Sie gehen auf freie Flächen ohne Sichtschutz nur, wenn es gar nicht anders geht. Und deswegen kommen ihnen die heutigen Verhältnisse so entgegen: Es gibt Massen an Nahrung, Mengen an Dickungen und Deckung, das alles perfekt kombiniert in den Kyrill- Flächen. Schon bei einem Bewuchs von 90 cm Höhe sind sie einfach weg; sie stehen und äsen in den Himbeer- Verhauen der Kleinflächen, die von den Erben nicht mehr bewirtschaftet werden; sie äsen sich satt an den Hunderten von Kilometern Grenzlinien und Forstwegen, in den Lichtinseln, die es früher nie gab – und lassen Spaziergänger, Reiter und Waldarbeiter ungerührt auf zehn Meter an sich vorbeilaufen.

Nur wir, die Jäger, sehen sie nicht mehr. Weil sie uns nicht trauen. Das Rumgeschleiche, das Pirschen, das Ansitzen auf immer den gleichen Kanzeln – quos ego, denken die sich und stehlen sich weg, schon lange, bevor wir überhaupt eine Ahnung haben, dass sie da sind. Und sogar unserem Hund gewöhnen wir ab, sie uns zu zeigen. Sobald wir in Waldrandnähe kommen, wird er jimmelig – und wird prompt gerüffelt! Benimm´ Dich! Also lässt der´s nach einer gewissen Zeit. Damit ist er zwar ein lieber Hund, aber für des Jägermanns Erkenntnisgewinnung ein Totalausfall. Aber die Rehe sind da. Und wie und wie viele! Und während an jedem Stammtisch gebarmt wird, dass unser Rehwild unmittelbar vor dem Aussterben steht, kratzen die gleichen Alarmisten jedes Jahr immer mehr von ihnen von den Straßen, finden sie verludert ohne Anzeichen von Gewalteinwirkung im Revier. Und die, die noch geschossen werden, aber auch die, die von den Straßen gekratzt werden, haben nicht selten Gewichte von aufgebrochen unter 10 Kilo; Stücke von 15 kg und mehr sind in manchen Revieren schon fast die Ausnahme.

Wer da jetzt meint, ich übertreibe, ich stünde mit dieser Meinung alleine da – weit gefehlt! Ich bekomme sogar jede Menge Zustimmung, jedes Jahr. Von wem? Na von den Revierinhabern und Pächtern in NRW. Denn jedes Jahr wird von ihnen mit schöner Regelmäßigkeit amtlich zu Protokoll gegeben, dass das so ist. Es steht nämlich in den Streckenmeldungen. Schauen wir da mal näher hin.

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Die Statistik 

In den Streckenstatistiken des LJV NRW der letzten 6 Jahre ist durchgehend zu lesen, dass in unserem Bundesland jährlich rund 90.000 Rehe zur Strecke kommen. Diese Zahlen basieren, wie gesagt, auf den Meldungen der Revierinhaber. Gemeldet wird mit schöner Regelmäßigkeit und entwaffnender Offenheit aber auch, dass gut 30 %!! der gemeldeten Rehwild- Gesamtstrecke Fallwild ist, wobei klargestellt wird, dass es sich dabei zu fast 100 % um Opfer des Straßenverkehrs handelt. Dass dagegen über die ganzen Jahre hinweg der Fallwildanteil am übrigen Schalenwild (Schwarz-, Rot-, Dam-, Sikawild und Mufflons) nur bei tolerierbaren, weil wohl nicht zu vermeidenden rund 5 % der jeweiligen Gesamtstrecke liegt, diese Diskrepanz scheint über die Jahre hinweg noch niemandem aufgefallen zu sein.

Die einzig dafür in Frage kommende Ursache, nämlich viel zu hohe Rehwildbestände, wird ausdauernd und lebhaft dementiert, mit den altbekannten, stereotypen Begründungen: „Wir haben kein Rehwild mehr. Wir sehen nämlich keines. Können wir auch gar nicht, weil die ja alle vor die Autos rennen.“ Eine typische Ursache- Wirkungs- Konfusion also. Das Schlimme daran ist: Wenn man den Dingen auf den Grund geht, mal einen Schritt weiterdenkt, ist die tatsächliche Situation sogar noch viel entmutigender als man vordergründig aus den sowieso schon tristen Zahlen herleiten kann. Zwei Dinge nämlich kann man dabei als gesichert annehmen: 

  1. dass der gemeldete Abschuss an weiblichem Rehwild, dem Zuwachsträger also, üblicherweise ca. 50 % der Gesamtstrecke, schlicht falsch ist (von ganz wenigen Revieren abgesehen). Das heißt, der vorgegebene Abschuss ist meist bei weitem nicht erfüllt, wurde aber in voller Höhe als getätigt gemeldet, oder, anders herum ausgedrückt, der tatsächliche Abschuss an (weiblichem) Rehwild ist deutlich niedriger als gemeldet; will ich aber in einen Bestand eingreifen, geht das nur über die Zuwachsträger.
  1. dass die gemeldeten Zahlen fürs Fallwild dagegen den Tatsachen entsprechen. Der paradoxe Grund dafür: Bei vielen Jägern, die ich kenne, kann man fast so etwas wie Erleichterung darüber erkennen, dass die Straße für sie den Abschuss erledigt. Sie stellen das, meist ein bisschen verlegen, kurzerhand als Grund dafür dar, dass sie so wenig weibliches Rehwild und Kitze sehen bzw. schießen (s. Ursache-Wirkungs-Konfusion); es gibt also keinen Grund zu tricksen. 

Das bedeutet weiter, logisch, dass der prozentuale Anteil des (korrekt gemeldeten) Fallwildes an der tatsächlichen Rehwild- Gesamtstrecke deutlich höher liegt als sich aus den getürkten Streckenmeldungen errechnen lässt, bei 40, vielleicht 45 %! Ich denke, man muss kein Prophet sein, wenn man unterstellt, dass sich das mehr oder weniger auch auf alle anderen Bundesländer übertragen lässt. So viel zum Vorspann. Jetzt zu meiner eigentlichen Geschichte. 

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Abschussplanerfüllung – man lernt

Ich hatte ein Revier im Sauerland. Schöne Sache, ich habe mir das auch ganz idyllisch vorgestellt: Direkt um die Ecke, man kann morgens, abends auch mal kurz entschlossen raus, man geht eben hin, bummelt ein bisschen rum, schießt sein Wild, die Tage sind voller ungetrübter jagdlicher Freuden, man erfüllt so en passant seinen Abschussplan  – die Welt ist schön. 

In vielen Dingen war sie das ja, und sie ist es heute noch. Es gibt wirklich nichts Schöneres, als jederzeit im Revier sein zu können und gleichzeitig zu wissen, dass man innerhalb einer halben Stunde auch am warmen Ofen sitzen, unter der warmen Dusche stehen kann. So etwas erhöht die Ausdauer z. B. beim nächtlich- winterlichen Fuchs- oder Sauenansitz ungemein! Aber so ein eigenes Revier hat, wie fast alles in der Welt, neben den Licht- auch Schattenseiten. Eine dieser Schattenseiten ist verwaltungstechnisch – bürokratisch bedingt, dabei, wie wir bereits gesehen haben, zumindest bei der Rehwildbejagung eigentlich von ähnlich geistigem Nährwert wie die Jagdpolitik der Grünen, und nimmt Gestalt an im Abschussplan. 2)

Die wahre Bedeutung dieses Begriffs hatte ich katastrophal unterschätzt. Sicher, in der Häschenschule wurde uns immer wieder davon erzählt. Ahnungsvolles Geraune: Ganz was Schlimmes. Aber eben nichts selbst schlimm Erlebtes. In Deutschland war ich ja bis dahin, herrlich bequem, immer nur Gast, für nichts verantwortlich. Ansonsten war ich dauernd unterwegs – Ausland, man gönnt sich ja sonst nichts! Wer fragt in Schweden, Rumänien, Ungarn nach dem Abschussplan? Ehrlich gesagt, kein Mensch. In Russland sowieso nicht, und bei der Lizenzjagd in Nordamerika erübrigt sich die Frage auch. Dementsprechend war ich ganz schön naiv. Das Liebensteiner Revier ging noch so, ich hatte wirklich gute Jagdaufseher, Kalli Roth, Gerd (das Füchschen) Fuchs. Seine Frau Elke, eine Diana, wie sie im Buch steht, hat den Jagdschein erst ein paar Jahre später gemacht, war aber damals schon aktiv im Revier bei den unumgänglichen Arbeiten. Die haben für mich den Kram gemacht, waren absolut vertrauenswürdig, ich brauchte mich um nichts zu kümmern. Gerd und Kalli haben sich auch um die Erfüllung der Abschusspläne gekümmert. Zuletzt bin ich sowieso nur noch ein paar Mal im Jahr angereist, und wenn ich dann kam, hatten wir Spaß, am Jagen und weil wir uns gesehen haben.

Aber im Sauerlandrevier war ich dann selbst gefordert, mit nur Spaß war´s vorbei! Ich hatte da, im Gegensatz zu Liebenstein, kein Rotwild und zunächst auch nur wenig Schwarzwild. Hauptwildart: Rehwild, davon aber genug. Als Dreingabe gab´s jede Menge kleinparzelligen Privatwald, einige nicht bewirtschaftete Flächen, verfilzter Urwald also, Unterwuchs, Lichtinseln, Grenzlinien. Und Gatter mit Weihnachtsbäumen! Mit Verbiss hatten wir kein Problem, die jährliche Wildschadenserhebung zeigte regelmäßig zwischen 0 und 10 % der Verjüngung, obwohl es Rehwild satt gab; allerdings hatten wir den meisten Anblick auf der B 55. Die war die Nordgrenze des Reviers und gleichzeitig Piste für Möchtegern- Schumis. Regelmäßig gab´s Wildunfälle, das war unser Problem, zum Glück immer ohne Personenschäden. Aber es war eben nur eine Frage der Zeit. Wir haben also alles versucht, die Viecher von der Straße wegzuhalten: Alte CD´s, die so lustig blinken, Stinkschaum an den Leitplanken, Arsch- platt- Sitzen – alles umsonst. Die Böcke haben wir zwar immer gekriegt, einfach weil die verhaltenstypisch viel mehr unterwegs waren. Die meisten schon im Mai, den Rest bei der Blattjagd. Bei den Weibern aber ging einfach nichts – im September zwei, drei, aber danach? Fiat lux. 

Da kommt man automatisch auf die Idee: Gut, wenn ich sie vom Ansitz aus nicht kriege, dann machen wir eben mal ´ne „Treibjagd“. Das haben mir meine Jagdkollegen vorgeschlagen, viele davon Jäger mit Revieren hier um die Ecke, viele andere Leute mit respektabler Erfahrung. Gesagt, getan, wenn die´s so sagen  – ich nahm´s in Angriff nach alter Väter Sitte. Die Stimmung war gut, nur das Ergebnis nicht so richtig. Die Dickungen, in denen Rehwild ganz zweifellos immer steckte, abgestellt, dann getrieben. Ergebnis: Wenig über null. Also das Ganze noch mal. Und so fort. Frei nach dem Motto: Als sich herausstellte, dass meine Methoden völlig unbrauchbar waren, habe ich meine Bemühungen vervielfacht. Nur mit immer dem gleichen Ergebnis, mathematisch ausgedrückt mit 0 mal x = 0. Aber Rehwild war da, nach wie vor. Die Bauern, Waldarbeiter, die Reiter, sie alle berichteten von reichlich Anblick, die Fährtenbilder, gefundene Betten usw. bestätigten das. 

In zwei Jahren der zunehmenden Verzweiflung entwickelte sich ein anfangs nur vager Verdacht zur Gewissheit – ich musste meine Methoden, meine Art zu jagen auf den Prüfstand stellen, wenn ich mich als Jäger weiter ernst nehmen wollte. 

Man glaubt gar nicht, wie schwierig das ist. Schon vom Selbstverständnis her. Ich – auslandsjagdgestählt, Elche, Hirsche, Sauen, Gams, Weißwedel, Pronghorns auf der Karte – ich sollte kapitulieren vor  R e h e n? Nach gut 10 Jagdjahren, als Hundeführer, mit Lehrgängen und Seminaren ohne Zahl, Schweißhundführerlehrgänge bei Joachim Borngräber in Springe, persönlich bekannt mit Bruno Hespeler? Das sind ja nun wirklich Schwergewichte, ganz abgesehen von Mengen an Fachbüchern, die meine Regale füllen (und die ich auch wirklich lese!). Was die Sache zusätzlich erschwerte, waren meine Freunde, die mich leiden sahen und mir mitleidig- tröstend versicherten, dass ich alles richtig mache. Weil´s eben schon immer so gemacht worden ist, und dass die ganzen Theoretiker und „Literaten“ wie Hespeler, Ellenberg, Kurt, von Bayern und viele andere mehr im Gegensatz zu mir lediglich theoretisierende Feingeister seien, die ein gestandener Jäger nicht ernst zu nehmen brauche. 

Wie gern glaubt man so was. Das ist auch so bequem, man braucht ja nichts zu ändern, und schuld sind grundsätzlich andere bei diesem Lebensmodell.

Manchmal aber kann ich ausgesprochen misstrauisch werden – und sein.

Vor allem dann, wenn mir durch die Bank alle versichern, dass ich Recht habe. Dann stimmt meistens was nicht. Argwöhnische Menschen können daraus nämlich auch folgenden Schluss ziehen: Die tun zwar so unbeschwert, sind aber tief im Inneren genauso hilflos wie Du. Und um das zu verbergen, versuchen sie folgerichtig, die Reihen mental geschlossen zu halten: Bloß keine Unruhe reinbringen, wo´s doch gerade doch so schön und gemütlich ist!

Ich habe also alle Bücher zu dem Thema genommen, sie noch mal gelesen, diesmal mit dem Vorsatz, sie auch zu verinnerlichen und Nutzen daraus zu ziehen, kurz, ich habe angefangen, sie ernst zu nehmen. Ich habe ein paar Monate an einem Konzept gearbeitet, und als ich meinte, dass es rund sei, habe ich es dann durchgezogen.

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Das Leben

Um es klar zu sagen: Zunächst gab´s nur Frust. Hoch 3. Erst wurde ich nur bedauert. „Du liest zuviel! Das bringt doch eh nichts!“ Und, ehrlich gesagt, im ersten Jahr war es eine ziemliche Katastrophe. Ein Aufmarsch wie 1916 bei Verdun, und ein Reh! Ich hab´s weggesteckt. Hilfreich war, dass meine Mitjäger eben Freunde waren. Statt hinterrücks Häme gab´s beim Bier danach nur freundschaftliche Sticheleien, vor allem aber Hinweise, Beobachtungen, Diskussionen. Das zweite Jahr lief dann schon besser, weil Erfahrungen aus dem ersten Jahr eingebaut wurden. Im dritten Jahr dann der Durchbruch: 13 Kitze und Schmalrehe, 3 Füchse, ein Überläufer – und so blieb es im Großen und Ganzen. 

Das Ganze hat mir danach in der jagdlichen Nachbarschaft keine Freunde geschaffen, im Gegenteil. Vorwurf: „Der schießt sein Revier leer, und alle unsere Rehe (die´s ja eigentlich bei ihnen gar nicht gab!) rennen jetzt zu dem und lassen sich da reihenweise totschießen.“ Im Ernst, das ist keine Satire, und ich bin sicher, dass es Leidensgenossen mit ähnlichem Erfahrungshorizont gibt. Das war schade, aber nicht zu ändern. Mir jedenfalls hat diese Änderung einiges gebracht, nämlich, dass a) ich meinen Abschuss an weiblichem Rehwild und Kitzen locker an einem einzigen Jagdtag erfüllt habe, b) alle Beteiligten begeistert waren, weil ganz ordentlich Beute gemacht wurde und c) ich Revier und Wild danach ohne größere Störungen überwintern lassen konnte.

Das führt aber zwingend zu der Frage:

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Was hat der eigentlich anders gemacht als früher? 

Antwort: Nichts. Eigentlich gar nichts. Ich hab´ die Jagd nicht neu erfunden! Ich habe einfach nur die einzelnen Abläufe, die Komponenten anders arrangiert und geordnet, sowohl zeitlich gesehen als auch in den Wirkkombinationen. Ich habe Rat aus den Fachbüchern angenommen, sie in meine Revier- Wirklichkeit übertragen, meine eigenen Beobachtungen und Erfahrungen mal systematisch analysiert, mit anderen Jägern, Freunden diskutiert und alles dann möglichst sinnvoll in Übereinstimmung gebracht und kombiniert. Mehr nicht. Und das kann jeder! 

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Zu den Einzelheiten:

Die gedrückten Areale bzw. die betreffenden Revierteile sollten mindestens je 100 bis max. 150 Hektar groß sein. Benötigt werden ca. 35 bis 45 Schützen und ca. 10 bis 15 Hundeführer / Durchgehschützen und „Durchgeher“, um den Begriff „Treiber“ zu vermeiden. Das geht natürlich auch größer, keine Frage, nach oben gibt´s buchstäblich keine Grenzen, aber das ist dann natürlich auch ein weit größerer Kreis an Beteiligten und vor allem ein enormer Planungsaufwand. In der o. a. Größe und Relation ist es meiner Meinung nach noch gut handhabbar. 

Bei der Festlegung des Areals bzw. der Areale sollte unbedingt der Geländezuschnitt mit berücksichtigt werden. Im Bergland z. B. ist es angeraten, die Durchgeher möglichst vom Talgrund aus bergauf gehen zu lassen; Wild bewegt sich, angerührt, gern hangaufwärts; es verspricht sich wahrscheinlich damit einen besseren Überblick und das Entkommen zur anderen Seite ins Tal. Das heißt, das bejagte Areal sollte so gewählt werden, dass von allen Seiten aus bergauf gedrückt werden kann – z. B. indem ich ein oder zwei größere Gelände- oder Bergrücken als Jagdfläche festlege.  

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Die Planung 

Eine Drückjagd wird mindestens sechs Wochen im Voraus geplant und nicht erst zehn Minuten vor dem Anblasen! Das ist, nebenbei erwähnt, auch der ganz banale Grund dafür, dass man eine solche Jagd nicht beliebig oft ansetzen kann; deswegen macht man´s besser gründlich. (Merke: Man hat nie die Zeit, etwas von vornherein gründlich zu machen. Man hat aber komischerweise immer die Zeit, es dann nochmal zu machen.) Zur Planung und Vorbereitung gehören solche Kleinigkeiten wie Stände auszeichnen, Gefährdungsbereiche markieren, Karten anfertigen und vervielfältigen, Verzeichnisse von Handynummern aufstellen. Jawohl, Handies! Wir leben im 21. Jahrhundert, und ich halte es nicht für ein Verbrechen oder einen Verstoß gegen geheiligte Traditionen, wenn man sich die moderne Technik da zunutze macht, wo sie für mehr Sicherheit und Effektivität sorgt. Und eines versteht sich von selbst: Früh genug einladen!! Möglichst schon Monate vorher. Gerade die guten Schützen und Jäger haben, wie wir alle wissen, im Herbst einen volleren Terminkalender als unsere Bundeskanzlerin. Wenn Sie, wie wir, einen festen Termin haben (erster Samstag im Dezember) und die Jagd gut organisiert und erfolgreich war und das Gesellige danach in guter Erinnerung ist, sind Sie aber sowieso in den entsprechenden Terminkalendern als jour fixe eingeplant. Jeder Teilnehmer bekommt also ein Telefonverzeichnis, und jeder Teilnehmer bekommt auch eine Revierkarte, hergestellt aus der guten alten deutschen Grundkarte, aus der alles Wichtige hervorgeht, so z. B. die Lage des Sammelplatzes, die Bewegungsrichtung der Durchgeher, die Forstwege, etc. etc. Das Schöne dabei: Haben Sie das für Ihr Revier einmal durch, ist der Aufwand in Folgejahren natürlich deutlich geringer als beim ersten Mal. Aber man muss halt „dranbleiben“.  

Wir haben immer drei Durchgehergruppen gebildet und je einen „chef d´escadre“ bestimmt, der seine Gruppe koordinierte. Alle Durchgeher, Durchgehschützen und Hundeführer werden an mindestens einem Abend, besser an zwei Abenden bei einem Imbiss und einer Kleinigkeit zu trinken  e x a k t  in die Planung eingeweiht! Bei mir haben diese Sitzungen immer mindestens 2 Stunden gedauert. Vorteil: Weil alle bis ins letzte Detail den „Schlachtplan“ kannten, war jeder Einzelne später in der Lage, situationsbedingte Änderungen in seinem Bereich vorzunehmen, ohne damit die Gesamtplanung zu konterkarieren. Wie oft haben wir es erlebt, dass überraschend an einer Stelle durchforstet wurde, um nur eine mögliche Störung zu nennen. Wenn aber taktische Änderungen nötig werden, müssen sie, logisch, so vorgenommen werden, dass sie das übergeordnete strategische Ziel nicht gefährden. Aber auch der beste „Frontoffizier“ wird dabei versagen, wenn er nicht über die Gesamtstrategie im Bilde ist!

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Die Hunde

Kommen wir zu den Hunden. Hier gilt: Eignung vor Theorie! Auch wenn ich jetzt von den Wächtern der reinen Lehre einmal mehr gedanklich und verbal gesteinigt werde: Zumindest in kleinflächig strukturierten Revieren mit dichten Dickungen sind sichtlaute, eher kleinere Hunde erste Wahl! Fährtenlaute Hunde werden einfach vorgeführt: Rehe und Sauen treten in Dickungen und Einständen zunächst unschlüssig hin und her, bevor sie sie verlassen. Das verursacht eine Unmenge an frischen Fährten, und kommt der fährtenlaute Hund drauf, startet das Geläut. Das Wild hat damit aber den Hund akustisch „im Griff“ und kann dessen Standort und sogar seine Bewegungsrichtung ziemlich genau einschätzen. Rehwild, Sauen, Füchse bleiben, wo sie sind, wenn sie das Gefühl haben, die Situation unter Kontrolle zu haben, sie weichen ganz gezielt und punktuell aus, vor allem nur so weit, wie sie unbedingt müssen, während die Hunde sich auf „tauben“ Fährten abarbeiten! Das Wild weiß ganz genau, dass das der bessere Teil der Tapferkeit ist! Dazu kommt noch nachlassende Konzentration durch Reiz- Überflutung bei den Hunden und, vor allem, bei den Schützen!

Dass alle Hunde „bunt“ zu sein haben, braucht man wohl nicht ausdrücklich zu erwähnen.

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Die Durchgeher 

Was ich zu den Hunden gesagt habe in Bezug auf Spur- und Fährtenlaut, gilt analog auch für die Durchgeher. Es muss nicht, auch nicht in deckungsreichem Gelände oder Dickungen, ein dauerndes „Hohoho“ und „Hussa, hussa“- Gejohle sein! Hier gilt das Gleiche wie bei den Hunden: Langsames Durchgehen, meinetwegen schleichen, ruhig gehen, ab und zu mal hüsteln, murmeln; das Wild hört einen, todsicher! Ganz wichtig ist es, ab und an für je zwei, drei Minuten absolut still stehen zu bleiben, dann wieder langsam weiter“hüsteln“. Man glaubt nicht, wie nervös das das Wild macht! Wir vergessen immer, dass Wild die Welt anders wahrnimmt als wir, vor allem, dass sie sie vorrangig mit anderen Sinnen wahrnehmen, nämlich im Gegensatz zu uns Augentieren in allererster Linie mit der Nase und dem Gehör. Bieten die kein eindeutiges Lagebild, sind sie verunsichert bis alarmiert. Sie entschließen sich dann viel eher zum Standortwechsel, genau das, was wir erreichen wollen! 

Stille Durchgeher erfordern natürlich absolute Schussdisziplin der Schützen! Aber keine Angst, es gab und gibt bei uns keinen Verlust an Sicherheit, ganz im Gegenteil! Denn unser ausdrückliches Ziel ist es ja, möglichst viel Wild möglichst vielen Schützen möglichst langsam auf möglichst kurze Distanzen sichtbar zu machen. Damit aber entfällt jeder Zwang zu diesen hastig hingeworfenen „Schnappschüssen“ auf vorbeifliegendes Wild,  d e r  Hauptgrund für Jagdunfälle und Verletzungen von Jägern und Hunden. Es wird kontrolliert und überlegt geschossen. Eine meiner effektivsten Durchgeherinnen, meine Schwester, hatte zusätzlich dazu eine wirklich gute Idee, die ich dann bei der nächsten Jagd sofort zur Nachahmung empfahl: Jeder Durchgeher hatte einen Treiberstock dabei, immer um 1,50 Meter lang. Sie band einen signalroten Stofffetzen ans Ende des Stocks, den sie dann im Gelände ab und an über den Bewuchs hochhielt. Bei Verlassen eines dichten Bestandes wurde das Ding vorher rausgestreckt und zusätzlich kurz Laut gegeben. Für die Schützen ist das eine schöne Sache: Sie können sehen, wo sich die Durchgeher gerade befinden, wo etwas passiert, kurz: Der Jäger hat Kontrolle über das Geschehen!  

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Die Absteller und Schützen 

Es erübrigt sich zu sagen, dass man auf besonnene Schützen achten sollte. Das heißt nicht, dass man nur alte Kämpen einsetzen soll, im Gegenteil. Besonnenheit ist ja auch keine Frage des Alters, höchstens, aber nicht nur der Erfahrung. Ich habe immer auch Jungjäger eingeladen, und nicht wenige kamen bei uns das erste Mal zu Schuss; sie hatten sich getraut, weil das Wild vertraut kam. So was hebt das Selbstwertgefühl und beflügelt die Passion. Die Absteller müssen sich allerbestens auskennen! Das erreicht man, wie bereits erläutert, am besten dadurch, dass sie in die Planung mit einbezogen werden, dass sie die Stände mit markieren. Und natürlich erleichtert es die Sache ungemein, wenn man auf möglichst viele Veteranen zurückgreifen kann, die das Revier und die Jagd aus den Vorjahren kennen.  

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Die Stände / die Standauswahl

Das A und O: Die Schützen werden über die gesamte Jagdfläche verteilt, sie stehen oder sitzen in den Beständen, nicht auf den bestens bekannten Kanzeln oder Hochsitzen, nicht nur auf den Wegen!

Grund: Rehe, Sauen, Füchse & Co. lassen sich nicht gezielt auf eine Schützenkette zutreiben! Ihr Ziel, ihre Richtung bestimmen allein sie, und sie tun das ausschließlich aus der jeweiligen und individuellen Situation und ihren persönlichen Erfahrungen heraus (Wind, ihr Einstand, das Geländeprofil, Erlerntes!, die Kombination von alle dem u. ä.). Mit anderen Worten: Das Fluchtverhalten, ihre Feindvermeidungsstrategien sind von uns nicht vorhersehbar! Selbst wenn sie unter unmittelbarem Druck zunächst in die gewünschte Richtung gehen – nach kurzer Zeit ändern sie die und steuern ihr ursprüngliches Ziel an. Vor allem, wenn Verbände oder Rotten gesprengt sind, also sich nicht mehr einheitlich an einem führenden Alttier, einer Ricke oder Bache orientieren, reagiert jedes Stück aus der Situation heraus und damit individuell völlig unvorhersehbar. Mit Ausnahme der wenigen nachfolgend angeführten angeborenen Automatismen wie die Vermeidung von Freiflächen, dem Drang ins Dunkle, die allein mit der nötigen Wahrscheinlichkeit erfolgversprechend sind und den Erfolg dann auch bringen: Selbst wenn wir es noch so krampfhaft verdrängen und nicht wahrhaben wollen – auch Wild hat eine Persönlichkeit und damit eine jeweils individuelle Strategie, Taktik. Deshalb ist es völlig unsinnig, bei einem Drücken nur die Ränder des „Treibens“ oder sogar nur entgegengesetzt zum „Treiben“ eine Reihe Schützen abzustellen. Wir erreichen damit nur, dass das Wild im „Treiben“ einfach rotiert, im Kreis geht, es meidet dabei tunlichst die längst georteten Schützenketten. Wird der Druck unmittelbar und massiv, bricht es eher entweder seitlich oder sogar nach hinten durch die „Treiberwehr“ durch, dann aber mit Schwung und im Tiefflug!

Die Stände selbst werden ausschließlich vom Verhalten des Wildes bestimmt. Keine anderen Kriterien gelten. Was nützt es, wenn ich an einem Stand rundum freie Sicht habe, nach Osten bis Kiew, nach Westen bis Paris? Das Ergebnis ist fast immer gähnende Langeweile. Denn das Wild weiß selbst am besten: Nie über freie Flächen gehen! Da sieht Dich jeder, Du fällst auf, und schlimmstenfalls knallt´s auch noch! Und darum geht es stiekum seine gewohnten, heimlichen Wege, mit so viel Deckung wie eben möglich und eben so früh wie möglich, was ja auch nur logisch ist. Und wenn es gar nicht anders kann als über freie Flächen, z. B. unmittelbar vor dem Hund oder buchstäblich herausgetreten, dann geschieht das immer überfallartig und im Tiefflug! Erst in der nächsten Deckung werden sie wieder langsam.

Alle Stände werden im Zuge der Vorbereitungen sorgfältig ausgezeichnet. Gefahrenbereiche, z. B. nicht sichtbare Wohnbebauung im Hintergrund oder benachbarte, etwas verdeckte Stände, werden mit signalroter Sprühfarbe (Ausrufezeichen an Bäumen u. ä.) deutlich sichtbar gekennzeichnet, allen Schützen werden Schüsse in so markierte Richtungen strikt untersagt.  

Auf den Punkt gebracht: Wenn wir Erfolg haben wollen, dürfen wir dem Wild ganz einfach keine Gelegenheit zur „kalkulierten Feindvermeidung“ geben! Das erreichen wir eben am besten damit, dass im ganzen Bestand Jäger stehen oder sitzen. Das Wild muss buchstäblich überall damit rechnen, auf einen Jäger zu stoßen, und es weiß das auch – überall Witterung, Geräusche, aber nicht genau zuzuordnen, verschwommen, aus allen Richtungen. Es versucht dann, die Störungsquellen einzeln zu orten und sich dann von einem georteten Gefahrenpunkt zum nächsten weiter zu „tasten“. Und tasten kann man eben nur langsam. 

Wild, vor allem Rehwild geht, wenn es gedrückt wird, immer aus dem Dunklen ins nächste Dunkle, und zwar möglichst auf dem kürzesten Weg. Entschließt es sich, seine Deckung zu verlassen oder will es sich zeitig wegstehlen, dann geschieht das immer in Richtung nächste Deckung. 

  • Der Schütze steht zwischen solchen Orten bzw. mit halbem oder unter Wind ca. 30 Meter seitlich davon.
  • Der Schütze steht da, wo einzelne Anflughorste, inselartiger Unterwuchs dem Wild vermeintliche Sicherheit vermitteln; es wird dort langsam. Solche Strukturen lösen auch die Konturen des Jägers auf, das Wild kommt langsam, es kommt, wie Bruno Hespeler das nennt, in „Orientierungsfluchten“: 20 bis 50 Meter im Troll, in zögernden Sprüngen, verhoffend, sichernd, sich Überblick verschaffend.
  • Der Schütze steht im Abstand von 30 Metern an Zwangswechseln, z. B. an den Ecken von Gatterungen, aber nur an solchen, an denen die nächste Dickung in Sichtweite ist. Auch das Wild kennt die und nutzt sie, weil es sich relativ sicher, gedeckt fühlt. 
  • Der Schütze steht im mehr oder weniger raumen Laubholz, in Verjüngungen, auch wenn er da keinen Panoramablick hat, sondern nur die eine oder andere Schussschneise nutzen kann. Er sieht und hört das Wild aber anwechseln – und schießt da, wo es eine gute Gelegenheit gibt, denn hier kommen sie langsam. 

Am Anfang habe ich versucht, sogar den Wind mit zu berücksichtigen. Vergessen Sie´s, man wird porös! Das Ganze wird dann einfach nicht mehr planbar. Abgesehen davon geht der Wind sowieso, geländebedingt, im Tal einen ganz anderen Weg als auf den Köpfen, er ist noch nicht einmal 6 Stunden, geschweige denn 6 Wochen im Voraus einzuschätzen. Steht der Plan, wird er durchgezogen, Wind hin, Wind her, und wie wir sehen werden, macht es im Ganzen gesehen wegen der Größe der Drücken und der gleichzeitigen Aktion von allen Seiten (s. w. u.) eh keinen Unterschied. Wichtig dagegen: Die Stände sollten, wo es eben geht, von oben besetzt werden! Wenn ich die Möglichkeit habe, einen oder zwei Höhenrücken im Revier zum Anmarsch der Schützen zu nutzen, habe ich eine gegenläufige Aktion zur bevorzugten Bewegung des Wildes, denn das ist zumindest teilweise schon durch das Abstellen der Durchgehgruppen unterwegs. 

Wesentlich erleichtert wird die Standauswahl, wenn man sich die Mühe macht, nach Neuen das Revier abzulaufen und die wichtigsten Wechsel in die Revierkarte aufzunehmen und bei der Standfestlegung zu berücksichtigen. Die verlaufen nämlich nach dem oben skizzierten Muster, von Deckung zu Deckung. Im Gegensatz zum völlig zufälligen Fluchtweg unter unmittelbarem Druck werden beim von uns ja beabsichtigten „Wegstehlen“ diese Wechsel meist gehalten.

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Die zeitliche Koordination – der Überfall 

Ein weiterer ganz wesentlicher, wenn nicht sogar der wichtigste Punkt ist die exakte zeitliche Abstimmung aller „Verbände“ und Aktionen. Die Durchgeh- und Anstellgruppen werden zeitgleich in ihre Ausgangspositionen gebracht (z. B. auf präparierten PKW- Anhängern), die Durchgeher als einzige in der gewohnten „klassischen“ Formation, nämlich in Reihe an den Grenzen des Drückens. Während die Durchgeher noch Position beziehen, werden die Ansteller mit ihren Gruppen, bei uns waren es immer drei, in Marsch gesetzt, und zwar gleichzeitig. Die Ansteller kannten jeden einzelnen Stand, der zu besetzen war, ganz einfach deswegen, weil sie beim Auszeichnen grundsätzlich mit dabei waren! Sie hatten strikte Order, im möglichst zügigen Marschtempo ihre Schützen an den jeweiligen Ständen zu „verlieren“. 

Jeder Schütze, der seinen Stand bezogen hat, hat Feuer frei. Und die ersten Schüsse fallen unmittelbar nach Beziehen der einzelnen Stände! Der Grund: Die ersten Stücke, vor allem Rehwild, beginnen schon beim Aufzug der Durchgehgruppen sich umzustellen, wegzustehlen; sie riechen Lunte. Wenn die bejagte Fläche aber groß genug ist, bleiben sie auf jeden Fall im „Treiben“ – und stoßen über kurz oder lang dann auf einen der angestellten Schützen. Das Beziehen der Stände tat dann ein Weiteres, vor allem unsere Order, dass alle sich normal bewegen beim Anmarsch, gar nicht erst versuchen zu schleichen (das kostet nur Zeit, und sie bemerken uns eh!), aber wenig reden.

Jeder Schütze hat aber nach Beziehen des Standes absolute Ruhe zu halten! Das Wild weiß, hier sind keine harmlosen Waldarbeiter oder Spaziergänger unterwegs, es ist „auf Alarm“. Seine Aufmerksamkeit ziehen aber die weiterrückenden Schützen auf sich, es verliert dabei die schon stehenden Jäger „vom Schirm“, es bewegt sich, sobald es vermeintlich wieder sicher ist, zur nächsten Deckung – und kommt dabei dem bereits ruhig stehenden Jäger vertraut und langsam, siehe oben. 

Im Klartext: Nur durch die andere zeitliche Koordinierung wurde das Abstellen, nach der alten Methode eine ärgerliche, aber unvermeidliche Störung zum Nachteil des Jägers und zur Warnung des Wildes, umfunktioniert in ein sehr effektives Instrument des Anrührens, des Hochmachens. Das in seiner Störfunktion immer völlig unterschätzte Beziehen der „Bereitschaftsstellungen“ wird aus dem, was es nicht sein soll, nämlich die Warnung des Wildes, zu dem, was es idealerweise ist, zu einem wertvollen Instrument der Jagdausübung. Wir unterstellen unserem Wild immer, dass es dämlich ist und in aller Naivität wartet, bis wir soweit sind, es totzuschießen! Die denken gar nicht daran! Die machen sich vom Acker, wenn sie so nett dazu aufgefordert werden, und weil es höfliche Wesen sind, lassen sie sich auch nicht lange bitten. 

Wir hatten mit meinem Konzept nach ca. 10 Minuten alle Stände besetzt, und in der ersten Viertelstunde fiel oft bereits die Hälfte der Gesamtstrecke! Danach tritt in der Regel erst mal eine gewisse Ruhe ein: Das Wild hat sich arrangiert mit der Situation, es steht in dieser Phase in Deckung, hat die meisten Störungen geortet und damit, wie ich immer sage, unter Kontrolle. In solchen Situationen ist beim Wild jetzt angesagt, erst mal „die Lage zu peilen“, zu „luffern“, wie wir hier im Sauerland sagen, und vor allem, unter allen Umständen passiv zu bleiben, zu beobachten, die weitere Entwicklung abzuwarten. 

Erst jetzt und genau jetzt gehen die Durchgehgruppen los und durchkreuzen diese Taktik, sie bringen wieder Bewegung ins Geschehen. Das Wild hat ja seine vertrauten Einstände schon verlassen, und dann drückt es sich nur noch sehr ungern; auch wir fühlen uns unsicher auf fremdem, unbekanntem Terrain. Es merkt jetzt, dass die Situation noch einmal brenzlig wird – Hunde, Bewegung im Wald, alles ist unheimlich, bedrohlich. Es reagiert, s. o., jetzt ganz typisch und wie von uns beabsichtigt: Mit kurzen Bewegungsfluchten im Troll, in kurzen Sprüngen, zwar beunruhigt, aber nicht in Panik, Bewegungsrichtung immer „vom Dunklen ins nächste Dunkle“, auch gegen die Richtung der Durchgeher! Überall wispert der Wald, eine latente, aber nicht genau zu bestimmende Unruhe herrscht, es riecht überall nach Jäger, nach Hund. Deswegen werden immer wieder kurze Stopps eingelegt, zur Orientierung, um neue Witterungen, Geräusche zuzuordnen, Übersicht zu bekommen. Sie stehen dann für 10, 20 Sekunden wie angeschmiedet, denn selbst das klügste Reh, die intelligenteste Sau, der geriebenste Fuchs ist nicht in der Lage, alle Gefahrenquellen gleichzeitig auf dem Schirm zu behalten, selbst wenn sie etliche davon schon geortet haben. Genau das sind die Sekunden, die wir für einen sauberen Schuss brauchen. 

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Dauer des Drückens

Wir haben uns Zeit genommen. Alle Durchgeher hatten Anweisung, langsam zu agieren, die Hunde, möglichst keine Fernaufklärer, arbeiteten gründlich, niemand hat sich überanstrengt, obwohl es schon ziemlich „steile Köppe“ gibt im Sauerland. Weil wir aber durch die straffe Detailplanung am Anfang so gut wie keine Zeit verloren hatten, waren wir immer nach spätestens 1 ½ Stunden mit dem Drücken fertig. Insgesamt haben wir uns auf zwei Drücken beschränkt. Ich halte gar nichts von dieser Marathon- Lauferei und sechs „Treiben“ an einem Tag, vor allem von dieser Anstellerei wie bei der Karnickeljagd: Dickung von 2, 3 Hektar umstellen, alle Schützen natürlich auf die Wege, weil´s viel bequemer ist, Hunde und Treiber rein– und sich dann wundern, wenn man nix sieht. Abgesehen davon, dass 99 % des Wildes sich schon beim Anhatschen der ersten Dickung verabschiedet hat bis zum nächsten Tag, ist Chaos die Folge und Frust programmiert, denn auch in den Nachbardickungen ist der Exodus längst im vollen Gange. Zwei Drücken, in der nötigen Größe, gut geplant und durchgeführt, erfüllen völlig ihren Zweck.

Zwischen beiden Drücken gab´s ausgiebig Pause, mit gutem Essen und Trinken. Das ist natürlich aufwändig und keine Pflicht! Jeder so, wie er´s mag! Aber das hebt die Laune, und Freude an und bei der Jagd ist einfach etwas Schönes! Mit „ausgiebig Pause“ meine ich mindestens 1 ½ Stunden. Wild wurde versorgt, Entspannung war angesagt. Reichlich Sprudel sollte da sein. Bier wird nicht viel gebraucht, höchstens eine Flasche pro Mann, mehr wird auf den Abend verschoben, und das allermeiste davon trinken eh die verschwitzten „Treiber“. Beim Essen aber sollte man nicht sparen, und der Renner ist immer noch der gute deutsche Erbseneintopf mit ordentlich Einlage nach Großmutters Art, also geräuchertes Bauchfleisch und Mettwurst. Für die ganz wenigen, die Erbsensuppe nicht mochten, kam Chili con carne oder ähnliches dazu. Wegen zu erwartender mangelnder Nachfrage haben wir aber von Anfang an darauf verzichtet, auch vegane Kost anzubieten. Von mir erst für völlig überflüssig gehalten, aber von meiner Frau durchgesetzt und begeistert angenommen war etwas Süßes. Vor allem, aber bei weitem nicht nur die älteren Damen und Herren machten sich nach dem Eintopf begeistert über ein Stück Kuchen und einen großen Kump Kaffee her.

Absolutes Muss ist natürlich ein ordentliches Feuer nebst genügend Sitzgelegenheiten; diese Klappbänke vom Getränkevertrieb sind schon toll, aber ein paar Gerüstbretter auf alte Stuken gelegt tun´s auch. Unser Feuerplatz lag mitten im ersten Drücken (natürlich!), nicht selten wurde unmittelbar daneben Beute gemacht, und es lagen nach dem ersten Drücken immer zwischen 6 und 10 Stücke. Ich will damit sagen, dass selbst das unvermeidbare Gedeh am Feuer (die „Feuerleute“ sind zeitgleich mit allen anderen Akteuren gestartet und haben sofort mit ihrer Arbeit angefangen) keinen negativen Einfluss auf den Jagderfolg hatte. 

Nach Abschluss des zweiten Drückens, nach Streckelegen und zünftigem Verblasen ging´s dann bei Dunkelwerden ab Richtung Gaststätte zum ausgiebigen Schüsseltreiben. Für die  Jäger von auswärts gab´s Übernachtungsmöglichkeiten, wo nicht, wurde ein Taxi- Dienst eingerichtet.  

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Fazit:

Es war immer ein herrlicher Jagdtag, meistens hatten wir sogar mit dem Wetter Glück. Ich habe immer am ersten Samstag im Dezember gejagt, also möglichst spät im Jahr, für den Fall, dass mal eine führende Ricke vor dem Kitz zur Strecke kam. Außerdem war das meiste Blattwerk runter und der Unterwuchs so lückig, dass man deutlich bessere Sicht hatte als noch vier Wochen zuvor. Nicht ein einziges Mal war danach mein Abschussplan nicht erfüllt, nicht ein einziges Mal in den Jahren wurde auch nur eine Nachsuche fällig. Ich weiß, das kann man nie ganz ausschließen, es passiert einfach mal. Aber wie gesagt, bei uns kam das kleine Quentchen Glück zum Tragen, ohne das man manchmal einfach nicht auskommt.

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Kirchveischede, 20. Dezember 2009

 

Manfred Nolting

Ein Jagdmensch

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1) Das erhoffte (und wahrscheinliche) Ergebnis: Wir schießen viel mehr Rehe, nach einigen Jahren dann vielleicht wieder ein paar weniger, aber immer noch mehr als am Anfang, der Luchs wird satt, eventuell der Wolf auch noch, der Verbiss wird nicht verschwinden, weil die Viecher es einfach zu gern tun, hält sich aber in tolerablen Grenzen, und die Förster können endlich ihren grünen Minister- Fuzzies den Stinkefinger zeigen, das geschossene Wild in Gesamt- Kilogramm gemessen wird auch nicht weniger werden, wir (Jäger, Förster, Bürger, Wild + Wald) leben miteinander in Harmonie. Die Welt ist schön.

 

2) Beim Schwarzwild z. B. hat´s den noch nie gegeben, und niemand hat das bisher vermisst, aber das nur nebenbei. Meiner Meinung nach gäbe es für unsere Rehwildbejagung eine viel besser handhabbare Regelung: Es wird ein Mindestabschuss festgesetzt, und dem Revierinhaber steht es frei, nach seinem persönlichen Dafürhalten mehr Rehwild zu schießen, und zwar solange er noch regelmäßig Schmalrehe unter 15 kg aufgebrochen schießt. Nur muss er das auch tun! Ja, ich weiß. Aber ich hab´ sie nicht vergessen, die Jährlingsböcke! Es ist nur so: Das mit den Böcken unter 15 Kg regelt sich von selbst, wenn wir genügend Weiber schießen. Umgekehrt dagegen funktioniert´s nicht!

 

 

 

 

Ein Revier in Brandenburg

oder

Wie ein Traumrevier durch „Überhege“ wahrscheinlich ruiniert wird

Im April 2013 beschloss ich, nach neun urlaubslosen Jahren das erste Mal wieder länger auszuspannen. Ziel waren 14 Tage, und ein Jagdurlaub in Meck-Pomm, Brandenburg oder Thüringen lag wegen der alten Freundschaften und Kontakte dorthin auf der Hand. Gleichzeitig war erklärtes Ziel, für eine neue Veröffentlichung und meine Jagdseite für das Thema „moderne Revier- und Wildbewirtschaftung“ Material und Daten zu sammeln.

Ich rief also Stefan Fügner an, wir kennen uns seit gut einem Jahr über das Internet; Stefan hat hier einen lesenswerten Blog (www.jagdblog.blotspot.de) eingerichtet. Wir funkten scheinbar auf der gleichen Wellenlänge, und ich war neugierig. Er rief zurück und lud mich ein. Am 30. April, ein Mittwoch, rückte ich an. Wir trafen uns im Rosencafé der Familie Herbst, wo ich auf Anraten von Stefan eine kleine Ferienwohnung anmietete. (Nur ganz am Rande: Eine meiner besten Entscheidungen, sowohl was das opulente mitgebuchte Frühstück anging als auch, was die Unterkunft, den Service und das Preis- Leistungs- Verhältnis anging.) Nach nachmittäglicher Besprechung ging es zunächst ins Revier, bewaffnet mit der guten Canon.

Reviergang

Das Revier selbst, Gesamtgröße gut 900 ha; kann man kurz als „zwei-in-einem“ beschreiben: Die Hälfte ist Oderbruch- Schwemmland, eben das Oderbruch, das der „Alte Fritz“ selig hat urbar machen lassen und als seine „größte Eroberung, ohne das Blut eines einzigen Soldaten“ bezeichnete. Die andere Hälfte erstreckt sich über die End- und Grundmoräne der letzten Eiszeit und hat fast Mittelgebirgscharakter. Ich hatte einiges erwartet, war aber überrascht über den reichlichen Anblick an Wild. Die abendliche Rundfahrt mussten wir wegen der beginnenden Dunkelheit abbrechen, verabredeten uns aber für den kommenden Morgen zum Frühstück (das obgemelte üppige!) und zu einem entspannten Reviergang.

Der fand dann am 1. Mai statt, nach dem Frühstück, bei herrlichem Wetter. Wir begannen mit dem Oderbruch, und ich hatte genug Speicherplatz auf meiner Kamera- Smartcard. Es gab reichlich Rehwild zu sehen, dazu noch relativ vertraut und tagaktiv. Stefan erklärte das damit, dass a) die Bruchwiesen bereits nach zwei bis drei Tage Regen zu Fuß nur noch mit Mühe begehbar seien, b) so gut wie alle Wege an irgendeinem Kanal blind endeten und somit für Spaziergänger uninteressant seien und c) er die Jagdausübung streng als Intervall- Jagd ausgerichtet habe; Rehwild wird lediglich im Mai und August bejagt, dann aber intensiv, Schwarzwild auch nur zu ausgewählten und geeigneten konzentrierten Ansitzen und „Drückerchen“, wie er die kleinen, begrenzten Drückjagden nennt.

Was mir auffiel, war die bei allen Böcken geringe Gehörnausstattung: Obwohl die meisten Stücke noch einen recht ordentlichen Eindruck machten im Hinblick auf Gebäude und Konstitution, gab es aber auch bereits die typischen 10- bis 12 kg- Stücke. Die Gehörne der älteren Böcke waren meist zwar mehr als lauscherhoch, aber durchweg dünnstangig. Stefans Erklärung: „Wir könnten und sollten deutlich mehr schießen, aber bei der hiesigen Jägerschaft gibt es da gewisse Widerstände!“ Wir kannten uns da noch nicht gut genug, er war zurückhaltend in seiner Wortwahl.

Für mich steht eines fest: Wenn ich in einem Revier zeitweilig mehr als 20 Stücke Rehwild auf übersehbaren Teilflächen von jeweils ca. 20 bis 30 ha in Anblick habe, dann kann man das auf Grund des einheitlichen Habitat- Charakters zunächst getrost auf das Gesamtrevier hochrechnen, dazu kann man nach aller Erfahrung beruhigt davon ausgehen, dass mindestens das drei- bis vierfache an Wild da ist. Wenn ich dann im Gesamtrevier von ca. 500 ha zunächst sagen wir 50, ja 100 Stücke schieße, würde das optisch gar nicht auffallen, aber deutlich mehr Ruhe und Lebensqualität in den Rehwildbestand und ins Revier bringen. Wohlgemerkt: Ich rede hier nicht von Nahrungskonkurrenz, denn im Gegensatz zum reinen Waldrevier würde die Biotopkapazität, sprich das Äsungsangebot in Brüchern bzw. zumindest in diesem Revier noch einmal ein Mehrfaches an Rehen zulassen. Nein, der begrenzende Faktor in solchen Revieren ist vielmehr hoher sozialer Stress, Seuchenzüge und übermäßiger Parasitenbefall, bedingt durch zu hohe Bestandsdichte. Es entsteht so etwas, was wir „Lagerkoller“ nennen. Die Älteren von uns kennen noch die Zustände nach dem letzten Krieg, als Flüchtlinge bei Familien zwangseingewiesen wurden, mit allen Aggressionen und auch körperlichen, psychosomatischen Folgen, die daraus entstehen konnten und können. Beim Wild ist das nicht anders.

Genau das soll vermieden werden durch die Jagd. Und genau das ist der meist achselzuckend übergangene Skandal bei der oft genug zu beobachtenden „Hegementalität“ in Deutschland. Denn als der begrenzende Faktor ist in Deutschland allein die Jagd vorgesehen und per Gesetz festgeschrieben, nichts anderes. An keiner Stelle der Jagdgesetze ist zu lesen, dass Wildbestände durch Parasitosen, Wildkrankheiten oder den Straßentod reguliert werden sollen. Bei solidem jagdlichem Können des Revierinhabers, bei gutem Willen, Einsatz und Flexibilität im Denken sollte das auch kein Problem darstellen. Und es würde der Seriosität, der Glaubwürdigkeit dienen – denn genau mit dieser und keiner anderen Begründung, nämlich dass regulierender, bestandsbegrenzender und damit die Wildbestände gesund erhaltender Begrenzungsfaktor wir Jäger sind, so und nicht anders verkaufen wir der oftmals kritisch hinterfragenden Öffentlichkeit seit vielen, vielen Jahren unsere Daseinsberechtigung als Jagdmenschen.

Nur für den Fall, dass mich jemand hier nicht versteht oder verstehen will, noch einmal ausführlich: Wir erklären der fragenden Mehrheit seit vielen Jahren stereotyp und vollmundig, dass „wir Jäger die verschwundenen Großräuber als regulierende Faktoren ersetzen müssen.“ Das klingt logisch, das klingt gut, und es sagt nichts anderes als das, was ich oben ausgeführt habe – wir sind nach dieser Definition der bestandsbegrenzende Faktor, zumindest auf dem Papier. Nur – oft genug stimmt es schlicht und einfach nicht. Und das hat, spinnt man diesen Faden logisch weiter, eigentlich unliebsame Konsequenzen.

Überflüssig per definitionem?

Genau da nämlich, wo die oben beschriebene übertriebene Hegementalität die Herrschaft hat, genau da ist nach der modernen, wissenschaftlich unterstützten Auffassung von Jagd die Jägerei eigentlich überflüssig, denn der weitaus größte Teil der Bestände geht dort sowieso auf natürlichem Weg ab – Tod durch Krankheiten, Parasiten, Verkehr, s. o. Kompensatorische Sterblichkeit nennt sich das. Die paar Rehe, die tatsächlich geschossen werden, fallen als Regulierungsgröße nicht ins Gewicht; sie sind eigentlich nur willkommener Anlass zum kräftigen Tottrinken. Wobei dann meist nach Kräften gebarmt wird, dass die Viecher von Jahr zu Jahr mickeriger werden. Und natürlich stehen Landwirtschaft, Verschmutzung der Umwelt, Tourismus, freilaufende Hunde, die vielen Spaziergänger und Fahrradfahrer, kurz die üblichen Verdächtigen von vornherein als Ursache fest. Die eigenen Jagdmethoden, die eigene Art und Weise zu jagen auf den Prüfstand zu stellen käme diesen Überjägern aber auf keinen Fall in den Sinn.

Gnade Gott der Jagd, wenn eine jagdfeindliche und gleichzeitig medial einflussreiche Gruppierung – oder mehrere davon – diese Missstände in etlichen Revieren Deutschlands einmal im großen Maßstab dokumentiert und publik macht. Dann kommt die Jagd, zumindest in unserer heutigen, insgesamt erhaltenswerten Form, in toto in Gefahr. Wegen einiger Ewiggestriger, die alle anderen ungerührt in Mithaftung nehmen, die meinen, wir lebten in einem abgeschotteten Kosmos für uns allein dahin, ohne auf Resultate der Wildtierforschung, der Jagdwissenschaften, auf die Öffentlichkeit Rücksicht nehmen zu müssen. Das Gegenteil, meine Damen und Herren, ist der Fall – wir 350.000 Jäger in Deutschland stellen gerade mal 0,43 % der Bevölkerung in Deutschland. Da sollten wir wenigstens in puncto soliden Fachwissens und gewissenhafter, gesetzeskonformer Jagdausübung bella figura machen!

Verbiss – ein unnatürliches Phänomen?

Nota bene: Ich rede hier nicht der Totschieß- Mentalität vieler „moderner“ Forstwissenschaftler und amtierender Förster das Wort, von denen einige einen geradezu weltanschaulich geprägten Vernichtungsfeldzug führen, frei nach dem Motto, dass nur totes Reh- und Rotwild auch gutes Reh- und Rotwild sei. Dazu habe ich einiges gesagt in „Jagd und Forstwirtschaft – Verbiss ist nicht Verbiss“. Aufhänger für diese Raserei ist fast immer eine schnell zur Katastrophe hochstilisierte Verbissbelastung, die – natürlich – unnatürlich sei. Ein einziger verbissener Leittrieb in der liebevoll „gehegten“ Edellaubholz- Kultur ist dann in der Lage, einen spontanen Rachefeldzug gegen die Verursacher dieses Sakrilegs hervorzurufen. Eigene Fehler? Förster machen keine Fehler! Basta!

Nur – Verbiss, und das wird dabei geradezu verbiestert unterschlagen, ist ein völlig natürliches biologisches Phänomen und liegt unserem Wild einfach auf den Chromosomen. Aber, auch das muss man akzeptieren, Verbiss wird da zum Ärgernis und für den Forstwirt teuer, wo er das wirtschaftlich tragbare Maß, wo er die Grenze zwischen natürlichem Verhaltensrepertoire unseres Wildes zum Übermaß hin überschreitet.

Beleuchtet man das Ganze vor diesem Hintergrund dann ein wenig näher, sieht man erstaunliche Schnittmengen zwischen der Forst- und Landwirtschaft, der Jagd und Wildbiologie, denn eine ganz wesentliche Ursache für Verbiss ist überhöhter, der Standort- Kapazität nicht angepasster Wildbestand. Und der entsteht da, wo Wildbestände über die Biotopkapazität hinaus nach alter Väter Sitte „gehegt“ werden. (Andere Ursachen können mangelnde Ruhe in den Einständen sein, hohe Belastung und Beunruhigung durch Tourismus, s. vor allem die Alpen.)

Halten wir Jäger den Bestand also in einem biotop- angepassten Zustand, so wie ihn die Wissenschaft ermittelt hat, so wie man es mit einigermaßen geschultem Auge oft sofort auch am Zustand der Reviere erkennen kann (wobei Biotop- Kapazität nicht nur in verfügbarer Äsung definiert wird, s. o.), dann hat man gesunde Bestände und die Verbissschäden bewegen sich im natürlichen, zu tolerierenden Rahmen. Ganz nebenbei fällt dabei auch noch sehr viel jagdliche Freude ab. Aber dazu brauche ich keineswegs einen wildfreien Wald, wie es im anderen Extrem oft gefordert wird. Land- und Forstwirtschaft, Wirtschaftlichkeit und Jagd sind keine sich per se widersprechenden Größen, so sehr und so laut das manchmal von interessierter Seite auch behauptet wird.

Stress

Zurück zum Revier – Äsung gibt es da ad libitum, wie Ellenberg das so schön nannte. Aber deutliche Anzeichen für hohen sozialen Stress waren da! Ich selbst habe allein in den zwei Tagen, die ich da war, viel zu viele Böcke gesehen, die vollauf damit beschäftigt waren, „Jungspunde“ auf den Schwung zu bringen. Ein überdurchschnittlich hoher Anteil an Jungböcken aber, dazu noch an schwachen, das ist spätestens seit den jahrelangen Feldforschungen von Fred Kurt, Hermann Ellenberg, Herzog Albrecht von Bayern in den 1960/ 70-er Jahren jagdwissenschaftliches Allgemeingut, ist ein fast untrügliches Zeichen für einen überhöhten Rehwildbestand. Rehgeißen investieren in Stress- Zeiten vorzugsweise in männlichen Nachwuchs, weil der im Vergleich zu den Töchtern sehr viel mehr wandert bzw. durch die Altböcke gezwungen wird zu wandern; so besteht für die Mutter einfach die größere Chance, ihre Gene über die wandernden Söhne in geeignetere Habitate zu retten.

Eine schöne Geschichte dazu am Rande: Einer dieser „auf den Schwung bringenden“ Einstandsböcke war nach einer solchen Aktion derart „auf Adrenalin“, wie Stefan das nannte, dass er keineswegs auf Tauchstation ging, als er mich auf zunächst ca. 100 Meter in Anblick bekam. Er zog im Gegenteil sofort im preußischen Stechschritt mit starkem Imponiergehabe bis auf ca. 30 Meter an mich heran (ich stand völlig ungedeckt und weithin sichtbar auf einem Holzsteg!), paradierte minutenlang breitseits vor mir her, fixierte mich wiederholt lange und ließ sich weder von meiner Ansprache noch vom Geklicke der Kamera auch nur im Geringsten irritieren! Ich hatte die Waffe auf dem Rücken und hätte ihn in aller Ruhe schießen können, ich habe sie aber noch nicht mal runtergenommen – wahrscheinlich hatte ich deswegen Schießhemmung, weil wir intensiv kommunizierten. Man sieht, man muss viel mehr miteinander reden. Die Fotos stelle ich demnächst ein, leider sind sie ohne Teleobjektiv aufgenommen. Trotzdem, so etwas erlebt man nicht oft.

Ansitze

Kurz und gut: Am Abend setzte ich mich raus, und zwar in eine grandios gelegene Kanzel direkt am Finow- Kanal, die nur das Problem hat, dass man sie unmöglich unbemerkt angehen kann. Hier wandten wir den alten Sauerländer Trick an, der immer wieder Wirkung zeigt: Die Kanzel ohne jede Heimlichtuerei zu zweit anmarschieren, in ganz normaler Lautstärke redend, und nur einer geht genauso redend und hustend wieder zurück, Motto: Wo Vorsicht ihm nicht nützen kann, hilft Kühnheit oft dem Jägersmann! (unter uns: Ein uralter Tipp von Altmeister Löns). Unsere Rehe sind gerieben, aber sie zählen noch nicht nach.

Was soll ich sagen: Der Wind stand gut, die Bühne war 15 Minuten später wieder voll, und nach einer guten halben Stunde lag ein griesgrauer Bock, nichts Berühmtes, ein Hegeabschuss, aber ein schönes Jagderlebnis. Allein beim Warten auf Stefan hätte ich bequem noch einen dazu legen können, denn schon während ich meinen Bock aufbrach und versorgte, standen gut 100 Meter entfernt fünf Stücke Rehwild völlig ungerührt auf den Wiesen und ästen. Logisch, sie hatten mich „unter Kontrolle“; Schleicherei dagegen macht misstrauisch. Mindestens zwei davon waren Böcke, von denen der Größere zwei, drei allerdings eher lustlose Attacken gegen den Kleineren ritt.

Stefan und ich haben dann abends noch eine Zeitlang gesessen und geredet, beide wussten wir uns damit immer besser einzuschätzen. Kurz entschlossen also die Verabredung zum morgendlichen Ansitz mit anschließendem Frühstück bei Herbsts im Rosencafé. Um 4:30 waren wir draußen. Kurz gesagt, es war ein einziger Genuss und eine Fotografier- Orgie: Angefangen von Kranichen über Gänse und dem direkt unter der Kanzel durchschwimmenden Biber bis hin zum Konzert von Vogelstimmen, Teichrohrsänger, Nachtigallen, Rotkehlchen, kurz das volle Programm und alles das, was man im Rest der Republik oft schmerzlich vermisst. Und das alles bei vollständigem Fehlen von Straßenlärm etc.

Rehwild gab es „satt“, wie man bei uns sagt, aber weil Stefan durch die Blume zu verstehen gab, dass es besser sei, nach dem Bock gestern Abend lieber erst ein Stück Schwarzwild zu schießen, ließ ich den Finger gerade. Da Sauen aber nur weit entfernt ins Bruch wechselten, war der Morgen ohne Jagderfolg. Erklärlich war mir diese „Schießhemmung“ zunächst nicht. Wie ich in den Gesprächen bemerkt hatte, war er ja meiner Meinung, dass gerade hier im Interesse des Bestandes erheblich mehr geschossen werden müsste.

Ich habe dann mitbekommen, dass die eingesessene Jägerschaft lieber „hegt“ und sich mit dieser Auffassung mit jahrelangem „Beschuss“ auch bei seinem Partner Gehör verschafft hatte; der hatte schließlich kapituliert. In Waldrevieren hätte so etwas sicher die Waldbauern auf den Plan gerufen, aber im Oderbruch ist Verbiss halt kein Thema. So werden die unausrottbaren Borniertheiten, wie so oft, auf dem Rücken der Jagd, des Rehwildbestandes ausgetragen. Vom wirtschaftlichen Verlust des nicht ausgeschöpften Abschusses und Wildbrets einmal ganz abgesehen.

Bewirtschaftungs- Konzept

Das wirtschaftliche Problem liegt im Bruch also eher beim Schwarzwild. Auf Grund des Bewuchs- Charakters und der Struktur des Geländes mit zahlreichen Kanälen und Gräben, Sumpf- und Schilflöchern ist hier die von uns Westfalen so geliebte Drückjagd durch „Kreisen“ und „Festmachen“ nach einer Neue schwierig (wenn auch meiner Meinung nach nicht unmöglich), größere Drückjagden wurden und werden also nicht durchgeführt. Schwarzwild geht aber auf den Grünlandflächen stark zu Schaden. Dementsprechend groß ist der Druck aus der Landwirtschaft vor Ort, denn das ganze Bruch steckt voller Sauen, die vielen Verhaue aus von den Bibern gefällten Weiden, die sumpfigen dichten Gebüsch- und Schilfdickungen bieten ihnen geradezu paradiesische Verhältnisse. Folgerichtig bleibt für die Schwarzwildbejagung nur der Ansitz bei Vollmond oder die nächtliche Pirsch.

Wie Stefan mir erklärte, hat er dazu ein simples System entwickelt: Er gibt Jungjägern aus Deutschland, den Ballungsgebieten wie Berlin bis hin nach Holland gegen einen kleinen Obolus die Gelegenheit zur Jagd und sorgt gleichzeitig durch Seminare, persönliche Unterrichtung etc. für jagdliche Weiterbildung. Dass das funktioniert, belegen die Abschusszahlen und die Beliebtheit bei den erwähnten Jungjägern: Trotz der o. a. Schwierigkeiten wurden im Schnitt 50+ Sauen beim Ansitz geschossen, eine Zahl, die einfach nur über die vergleichsweise große Anzahl von hoch motivierten Gast- und Jungjägern erreichbar ist. Für das Revier, die Landwirtschaft und die Gastjäger eine win- win- Situation, wie es neudeutsch so schön heißt.

Kurz: Es waren zwei hoch interessante Jagdtage, und ich hätte mich gern noch weiter umgesehen und weiter beobachtet, aber ich war mit meinem alten Freund Carsten in Friedland verabredet. Wir hatten uns bereits seit zwei Jahren nicht mehr gesehen, und ich wollte ihn, da in der Nähe, besuchen. Also auf nach Friedland.

Eine Hegejagd

Man hat viel zu erzählen nach zwei Jahren. Abends ging es zunächst raus in sein Revier. Carsten sieht das ganz abgeklärt, was sich auch in seinen Vorgaben wiedergibt. Bei zwei Ansitzen mit sechs Jägern am Samstagsabend und dem darauffolgenden Sonntagmorgen schoss ich allein drei Böcke. Insgesamt kamen bei ihm und seinem Reviernachbarn von Falkenstein bei diesen beiden Ansitzen 11 Böcke, allerdings nur ein Schmalreh, zur Strecke. Ganz klar: Ein erhöhter Abschuss von Böcken bringt zwar entsprechenden Wildbret- Ertrag. Aber will ich in den Bestand eingreifen, komme ich um den vermehrten Abschuss der Vermehrungsträger, sprich der Weiber, nicht vorbei. Es ist ja eine Binsenweisheit: Ein einziger Bock kann zehn Ricken zu Müttern machen, aber selbst wenn eine Geiß sich mit 10 Böcken vergnügt, kann sie nur einmal trächtig werden. Aber es ist wie es ist: Viele Jäger trauen sich einfach nicht, im Mai Schmalrehe zu schießen, zu groß ist die Angst davor, eine trächtige oder früh führende Ricke liegen zu haben. Und, ganz ehrlich, ich war da keine große Ausnahme. Zu meiner Entschuldigung kann ich nur anführen, dass man gerade als Gast höchst ungern einen Fehler macht. Da das aber ein Faktum ist, bleibt also nur die gekonnte Drückjagd im Frühwinter als Maß aller Dinge; nur mit der Ansitzjagd schafft man´s einfach nicht mehr.

Der kleine Unterschied

Ja die Böcke. Was Carsten und sein Nachbar unter Hegeabschüssen verstehen und ohne große Begrenzungen freigeben, hängt hier im Sauerland als durchaus respektabler Bock an der Wand. Nicht umsonst hat er eine imponierende Anzahl von Gehörnen der 400 bis 500- Gramm- Klasse an seinen Wänden hängen, aus eigenem Revier wohlgemerkt! Was mal wieder beweist: Scharfe, pointierte Bejagung ist für den Rehwildbestand eines Reviers der beste Weg zu Vitalität und guter Kondition. Und das gilt nicht nur fürs Rehwild.

Sicher, Rot- und Damwild z. B. kann man auch „auf Sicht“ bejagen, zumindest sind die Erfolgsaussichten dabei besser als beim Reh. Aber gerade das Rehwild als überwiegender r- Stratege sollte tunlichst im Pionier- Stadium gehalten werden. In erster Linie deswegen, weil es dem Bestand gut tut: Weniger Stress untereinander, deutlich weniger Parasitosen und Krankheiten. Dem Revier selbst kommt das auch zugute, natürlich vor allem dem Waldrevier. In zweiter Linie deswegen, weil es Zeugnis von Professionalität des Jagd- Handwerkers ablegt. Und nicht zuletzt auch deswegen, weil es, ganz nebenbei bemerkt, einfach jagdliche Freude macht. Es gibt einem ein gutes Gefühl, wenn man weiß, dass man seinen „Job“ kann.

Alte „Weisheiten“

Aber kommen wir zurück zum Thema: Es steht zu befürchten, dass genau das eintritt, was eigentlich verhindert werden sollte, dass nach allem, was die Wissenschaft, was ernsthaft bemühte Jäger in den letzten Jahrzehnten an Kenntnissen über unser Wild, die Jagd erarbeitet haben, was in allen ernsthaften neueren Lehrbüchern über die Jagd unisono gepredigt und empfohlen wird, dass all das auch weiterhin keine Beachtung findet. Die Überhegerei- Unsitte ist scheinbar einfach nicht auszurotten, sie steckt hier wie anders noch oft genug in den Köpfen. Ich habe von einigen „altgedienten“ Jägern Bemerkungen gehört, die diesen Verdacht nähren, zwei davon reichen eigentlich:

  • Die (Rehe) haben ja gar keine Chance mehr, alt zu werden.
  • Ich schieße doch im Mai keine Schmalrehe, das sind die Mütter meiner zukünftigen Böcke.

Chapeau. Wer so denkt, hat wirklich nichts, aber auch gar nichts von der Entwicklung der Wildbiologie, der Jagdwissenschaften der letzten 50 Jahre mitbekommen. Oder schlicht verschlafen. Der opfert die Jagd auf dem Altar völlig vorgestriger Vorstellungen des Begriffs „Hege“. Aber man fühlt sich so heimelig- geborgen: So denken ja die anderen auch. Nur: Wenn man in diesem Leben als eigenverantwortlich und kompetent wahrgenommen werden will, muss man beginnen, selbst zu denken. Die Voraussetzung zu erfolgreichem eigenem Denken ist, sich qualifiziert zu informieren. Informationen, vulgo Dazulernen, so viel steht fest in unserer schönen Welt, sind Holschulden, niemand trägt sie einem unaufgefordert und ohne eigenes Bemühen zu. Das bedeutet z. B. zu lesen, Vorträge zu besuchen, mit Fachleuten zu reden etc. Das Problem: Viel zu vielen ist das zu mühsam. Dann doch lieber andere denken bzw. bestimmen lassen, wir jagen weiter so wie Opa vor 70 Jahren. Und bedienen damit den Mainstream und alle so sattsam bekannten Vorurteile. „Es ist so bequem, unmündig zu sein“ (Kant).

Fazit

Ich persönlich glaube, dass wir Jäger zwei Verpflichtungen haben: Die eine ist, nach bestem Wissen und Gewissen und mit Freude die Jagd auszuüben und zu erhalten. Die andere ist, sie unseren Nachfolgern möglichst in einem besseren Zustand zu übergeben, als wir selbst sie bekommen haben. (Das gilt, nebenbei bemerkt, nicht nur für die Jagd.)

Davon sind wir mit solchen „Experten“ Lichtjahre, Äonen entfernt. Und wir haben damit, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, die Meinungshoheit über die Jagd längst unseren erklärten Gegnern überlassen. Es ist immer das gleiche Bild: Wir betreiben fleißig Nabelschau und streiten uns ernsthaft darum, ob ein weidgerechter deutscher Jäger sich beim Aufbrechen die Hemdsärmel aufkrempeln darf, ob ein ausgegebener Schnaps mit rechts getrunken werden darf, ob ein Bock ein 2 a, 2 b oder doch nur ein 3 c- Bock ist, einige auch darüber, wie man in den Verbänden zwar ohne größere Sachkenntnis, aber dafür höchst publikumswirksam, weil politiknah „Karriere“ machen kann oder über ähnliche für die Jagd überlebenswichtige Dinge. Währenddessen krempeln die Jagdgegner völlig ungestört nicht nur die Ärmel, sondern gleichzeitig nach Belieben komplett unsere Jagd um, indem sie sämtliche Gesetze und Verordnungen ändern und verschärfen, die die Jagd betreffen. Sie tun das Ganze als Nichtjäger, also als Laien! Und wir, die eigentlich ganz selbstverständlich als die Experten in puncto Jagd hier das Meiste zu sagen hätten, wir werden so gut wie nie gefragt. Und lassen uns das gefallen, seit Jahrzehnten!

Ich will an dieser Stelle einmal Landrat Gernot Schmidt, Landkreis Märkisch- Oderland, zitieren, mit einer Aussage, die er im Zusammenhang mit der hochkochenden Frage der Reduzierung der stark zugenommenen Biberbestände an der Oder und der damit verbundenen Verschärfung der Hochwassergefährdung getan hat: 

„Es ist ein grundsätzliches Problem in Deutschland,“ meint der Landrat, zugleich Präsident des Landesfischereiverbandes, „dass Fachleute wie Jäger und Fischer mit einer über Jahrhunderte gewachsenen Kompetenz in Hege und Pflege von Natur und Wildtieren sich gegenüber ideologisierten, fachfremden Lobbygruppen nur sehr schwer durchsetzen können.“

Das ist mal eine klare Aussage eines politischen und fachlichen Schwergewichts; es gibt also doch noch Sozialdemokraten, die ihr Gehirn nicht bei den Grünen deponiert haben. Zumindest bei der Jagd aber ist dieses Problem zurückzuführen auf genau auf die oben beschriebenen Jäger in unseren Reihen. Sie haben es mit ihrer Einstellung geschafft, dass wir als inkompetente Randgruppe wahrgenommen werden, die man auch bei wichtigen Entscheidungen in ihrem ureigenen Fachgebiet, der Jagd und der Natur, ungerührt übergehen kann.

Das Problem, das ich persönlich mit diesen „Experten“ habe, ist noch nicht einmal, dass sie lernresistent sind. Mein Problem ist, dass sie aus Überzeugung lernresistent sind, auch nicht bereit sind, das zu ändern, weil sie sich so wohlig- schwiemelig- abgeschottet in ihrer verqueren Welt eingerichtet haben. Sie tragen aber die Jagd damit zu Grabe, und sie tun das anscheinend völlig ungerührt. Es ist absehbar, dass irgendwann die Allgemeinheit, der Gesetzgeber die Notbremse zieht nach dem Motto „dies irae“: „Wir haben Euch Boten um Boten gesandt“, aber Ihr wolltet ja nicht. Jetzt regeln wir´s. Der Staat.

Ich fürchte, manche unserer jagenden Nachfahren werden uns dafür gedanklich aufs Grab spucken. Aber das tut ja nicht weh. Zumindest nicht heute. Und man sinkt als weidgerechter, deutscher Überhegejäger ins selbige. „Hier ruhen wir, noch im Tode unserer Überzeugung treu.“

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Kirchveischede, 11. Juli 2013

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Manfred Nolting

Ein Jagdmensch

 

Leergeschossen!

Bier und Stammtische sind eine herrliche Sache. Es gibt auch nirgends so viele Experten wie da. So lange man über sich selbst redet und lacht, ist das sogar eine sympathische Einrichtung. Das baut Stress ab und dient der sozialen Hygiene. Ärgerlich wird es, wenn über andere getratscht wird und dabei wissentlich Lügen verbreitet werden. Genau so ärgerlich, wenn nur um des Tratschens willen, ohne eigene Kenntnis der Sachlage, Tratschereien als Fakten weiterverbreitet werden. Das gilt für alle Lebensbereiche, damit eben auch für die Jagd. Dass das Ganze so alt ist wie die Menschheit, macht es nicht automatisch sympathisch; es ist und bleibt in jedem Einzelfall zumindest ärgerlich für den, die Betroffene(n), und es gibt sicher niemanden, der in seinem Leben nicht schon mal Betroffene(r) war. Wie schon gesagt, die Jagd ist davon nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern das Phänomen findet sich gerade hier in seiner manchmal ausgeprägtesten Variante. Ich will eine davon als ehemals Betroffener zur Verdeutlichung kurz schildern. Was war passiert?

Etwas eigentlich Alltägliches, nämlich ein ganz banaler Wechsel des Revierpächters. Das Revier O. hatte ab dem 1. April einen neuen Pächter. Bisheriger Pächter war ich mit Freund G. Der Preis war absolute Obergrenze. Es war trotzdem eine schöne Zeit. Es gab keine größeren Probleme, mit einer Ausnahme: Unmittelbar nach der Anpachtung wurde ohne Ankündigung und Absprache kräftig gegattert, ca. 15 ha, zusammen mit den vorhandenen Gatterflächen insgesamt deutlich über 15 % der gesamten jagdbaren Fläche. Wir haben das akzeptiert, um des lieben Friedens Willen. Bei der Anschlussverpachtung allerdings waren wir nicht mehr bereit, das zu zahlen und haben unser Angebot reduziert, nämlich um den Pachtpreis für die Gatterflächen.

Noch draufgelegt, und zwar über die volle Fläche, hat aber ein Jagdgenosse, und den Zuschlag bekommen. Es ist völlig in Ordnung, wenn ein Bieter im Wettbewerb ein Revier anpachtet, wir leben in einer Demokratie. Wenn er selbst Jagdgenosse ist, muss man ihm unterstellen, dass er das Revier kennt. Wenn er es trotz dieser internen Kenntnisse dann überteuert anpachtet, kann man sich zwar wundern, aber weiter vermuten, dass er dafür Gründe hat. Scheinbar ist das aber oft nicht so, und was dann folgt, passiert öfter, als man glaubt, nur registriert man es als direkt Betroffener wohl intensiver. Es war offensichtlich ein so genannter „Kaufkater“ eingetreten. Aber auch das wäre ein alltägliches Phänomen. Schlimm wird es erst, wenn dann verbreitet wird, das Revier wurde vom Vorgänger „leergeschossen“. Der normale Mensch fragt sich, stimmt das? Wenn ja, erübrigt sich jeder Kommentar. Wenn nein, warum solche Behauptungen? Darum eines nach dem anderen.

Wir hatten in unseren Pachtjahren in O. unseren Abschuss an weiblichem Rehwild und Kitzen immer erledigt, und zwar anlässlich unserer (einzigen) jährlichen Drückjagd. Immer am ersten Samstag im Dezember. Immer absolut sauber, d. h., ohne dass je eine Nachsuche nötig wurde. Der relativ späte Termin deswegen, weil erstens der Unterwuchs zu diesem Zeitpunkt bereits gelichtet ist, zweitens beim ungewollten Abschuss einer Ricke das Kitz dann bessere Chancen hat, den Winter zu überstehen und drittens, weil um den Monatswechsel November / Dezember überdurchschnittlich oft eine Schönwetterphase auftritt. Danach war Ruhe! Jeder Jagdwissenschaftler, jeder Wildbiologe empfiehlt das als entschieden schonendste Jagdmethode, und zwar für Wald und Wild. Ich gehe noch weiter und behaupte, die schönste auch für Jäger. Denn bei uns wurde Strecke gemacht, alles war durchorganisiert, dementsprechend waren sowohl der Zulauf zu unserer Jagd als auch die Reaktionen darauf. Bezeichnenderweise löste diese Jagd trotzdem immer aufgeregte Diskussionen bei der jägerischen Umgebung aus, wohl hauptsächlich wegen der regelmäßig überdurchschnittlichen Strecke. Gedacht wurde: Wie machen die das bloß? Zu hören war: Die schießen das Revier leer (wow, jedes Jahr!!). Offen angesprochen wurden wir nie. Einladungen an die Nachbarn wurden mit schöner Regelmäßigkeit ausgeschlagen bzw. in letzter Stunde abgesagt. Banale Tatsache ist, dass wir einfach unsere Abschussplan- Vorgaben für weibliches Rehwild, vor allem Kitze erfüllt haben.

Man kann über Abschusspläne denken, wie man will, eines ist Fakt: Sie sind gesetzlich vorgeschrieben und nach meinem Rechtsverständnis verbindliche Vorgabe und keine freundliche Empfehlung, an die man sich halten kann oder nicht. Die Revierinhaber werden nicht umsonst an der Aufstellung beteiligt. Und auf jedem Abschussplan ist der Bockabschuss ausdrücklich als Maximalvorgabe, der Ricken- und Kitzabschuss ausdrücklich als Mindestvorgabe ausgewiesen. Sie können folgen? Wir hätten locker mehr schießen können, wenn wir gewollt hätten, haben uns aber auf die angemeldeten 9 Stücke beschränkt. Im Klartext: Wir sind unseren gesetzlichen Verpflichtungen nachgekommen, nichts mehr, nichts weniger. Wenn einige Überjäger uns das dann als „Leerschießen“ auslegen, muss man diesen Leuten logischerweise unterstellen, dass keiner von ihnen seinen Verpflichtungen nachkommt. Wie auch? Der Abschuss an weiblichem Rehwild und Kitzen ist mit Ansitzjagd fast nicht zu schaffen. Anderes fällt manchen Experten aber nicht ein. Also lässt man´s ganz. Und wozu auch der Stress? Das ist mühsam, Trophäen sind nicht, kontrolliert wird´s eh nicht, der Himmel ist hoch, der Zar ist weit, und überhaupt, wir haben sowieso kein Rehwild mehr, von wegen Fallwild, Verkehrsopfer usw. usw.. Und dann sind ja da noch die Nachbarn, die alles leer schießen, und alle Rehe laufen dann zu denen und brennen darauf, sich aus purer Opposition nur von denen tot schießen zu lassen, also, ich weiß gar nicht, was ich denen (den Rehen) getan habe, usw. usw.

Ich will dazu gar nichts mehr sagen, weil ich es leid bin, permanent über (erwiesenen) Blödsinn zu debattieren. Man sollte wirklich einmal probeweise anregen, für weibliches Rehwild den körperlichen Nachweis zu fordern. Zumindest die Forstverwaltungen, allen voran die staatlichen, hätte man dabei garantiert auf seiner Seite. Dann würde sich auch sehr schnell herausstellen, wer sich dann noch mit ruhigem Gewissen Jäger nennen dürfte. Wie denn auch, wenn manche Jäger  nach Ablegung der Jägerprüfung offensichtlich den heiligen Eid geleistet haben, nach dieser heroischen Leistung nie wieder ein Fachbuch in die Hand zu nehmen bzw. sich sonstigen weiteren fachlichen Qualifizierungen zu unterziehen. Gejagt wird nach dem Motto: „Das hat schon unser Opa so gemacht“. Der wusste es nicht besser, und es war eine völlig andere Welt, sowohl von der Umwelt, der Reviergestaltung her als auch von der Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit. Aber genau deshalb bestimmen unsinnig gewordene und abstruse „Weisheiten“ teilweise noch heute den jagdlichen Alltag.

Für die, die offensichtlich Probleme mit unserer Art zu jagen und mit dem regelmäßigen Erfolg unserer Herbstjagd haben, zum Mitschreiben: Das kann jeder. Voraussetzung ist aber, eigene (revierspezifische) Beobachtungen, Erfahrungen über Jahre zu ordnen, mit dem aktuellen Stand der Wildtierforschung abzugleichen, damit in Einklang zu bringen und das dann in die Praxis umzusetzen. Das bedeutet Arbeit und zumindest anfangs auch Frust, aber dafür macht es dann hinterher umso mehr Spaß. Nur „Horrido“, Trachtenanzug und salbungsvolle Worte über das edle deutsche Waidwerk reichen eben nicht. Zum Thema Jagd gibt es erstaunlich interessante Veröffentlichungen, die noch nicht einmal geheim sind. Zur Jagd im Allgemeinen lege ich jedem einmal ans Herz, einmal den Altmeister Hermann Löns zu lesen, hier vor allem sein „Kraut und Lot“; was dieser Mann vor über 100 Jahren bereits veröffentlicht hat, sollte eigentlich für jeden Jäger Pflichtlektüre werden. Dann Professor Dr. H. Kalchreuter mit „Die Sache mit der Jagd“; aber auch, ganz in unserer Nähe, Dieter Stahmann mit „Über die Jagd hinaus“, „Weidgerecht und nachhaltig“, der die Sache mit einem nachvollziehbaren und gut lesbaren philosophischen Ansatz angeht. Zur Rehwild- Bejagung empfehle ich angelegentlich die Lektüre von Fred Kurt, „Das Reh in der Kulturlandschaft“, und Bruno Hespeler, „Rehwild heute“. Beim Schwarzwild wäre hier u. a. Dr. Heinz Meynhardt, Prof. Lutz Briedermann, Bruno Hespeler und Norbert Happ zu nennen. Da kann man großartige Anleihen machen.

Man glaubt gar nicht, wie viel überlieferten und ausdauernd kolportierten Unsinn man danach über Bord werfen kann. Ich fürchte aber, dieser Ratschlag ist vergeudet. Das ist nämlich unter der Würde vieler „Überjäger“. Nur ein Beispiel. Ich habe zu der Zeit ein Seminar über Rehwildbejagung initiiert und organisiert, Referent war ein bundesweit anerkannter Jagdexperte, dazu ein ausgewiesener Praktiker, weil viele Jahre lang Berufsjäger, erfolgreicher Buchautor, darüber hinaus als Mensch erfrischend unkompliziert und sympathisch. So einer hat seinen Preis. Die Gesamtkosten inklusive An-, Abfahrt und Übernachtung beliefen sich auf ca. 1.200,00 €. Der Saal hätte gut 60 Teilnehmer gefasst, deswegen habe ich zur Kostendeckung pro Person eine Gebühr von 20,00 € angesetzt. Es erschien ein Hinweis- Artikel in einer örtlichen Zeitung. Ich habe persönlich mit zwei Hegeringleitern gesprochen bzw. korrespondiert. Hegeringleiter v. P.: Es will niemand. Hegeringleiter M.: 20,00 € sind viiieeel zu teuer. Nicht ausgesprochen, aber deutlich spürbar die Unterstellung, ich wolle mir nur die Taschen füllen. Das (abendfüllende) Seminar fand statt und war, wie erwartet, hochinteressant, lehrreich und spannend. Der anschließende gesellige Teil ist bei allen heute noch in guter Erinnerung. Die 30 Teilnehmer haben mit Sicherheit einiges mitnehmen können. Ich persönlich habe 600,00 € zugezahlt. Hat mich nicht umgebracht, ich habe daraus gelernt. Aber die Herrschaften, denen 20,00 € für das Seminar zu viel waren, müssten Sie mal z. B. bei „Jagd & Hund“ in Dortmund beobachten. Nur vom Feinsten! Die lernen es am Bierstand. 25,00 € pro Runde? Her damit, was sind schon 25,00 €?

Aber das nur am Rande. Kommen wir zurück zum Thema, zum Revier O. Hier wurde nichts leer geschossen, im Gegenteil. Wir haben, wie gesagt, während der gesamten Pachtperiode immer belegbar unsere Abschussvorgaben eingehalten, mit Ausnahme des letzten Jagdjahres. Da haben wir zwar den weiblichen Abschuss erfüllt (9 Stücke auf der Herbstjagd, exakt den festgelegten Abschuss), aber im Sommer davor lediglich 5 Böcke geschossen. Und, meine Herren Experten, nach der Herbstjagd hat das Revier, wie in jedem Jahr, von uns keinen Schuss mehr erlebt, uns lediglich zu verschiedenen Kontrollgängen und Revierarbeiten gesehen. Ich denke, wir haben ein gepflegtes und wohlgeordnetes Revier (Verbissbelastung lt. forstwirtschaftlichem Gutachten: Nicht feststellbar) hinterlassen. Da das folgende Jagdjahr noch zum Dreijahresplan- Zyklus zählte, war es dazu ein Revier mit der angenehmen Eigenschaft, dass im Folge- Jagdjahr statt 9 erlaubten 13 Böcke geschossen werden durften. Das war sicherlich nicht von Nachteil, weil es mit Schwarzwild nicht so weit her war. Das hätte ich jedem, auch meinem Nachfolger, ganz sicher auf Anfrage mitgeteilt, auch andere Tipps und Fakten im Zusammenhang mit dem Revier. Nur hat sich niemand der Mühe unterzogen, mich oder Freund G. anzusprechen, anzurufen oder in sonst irgendeiner Art und Weise zu kontaktieren.

Ich weiß nicht, ob bei unseren Nachfolgern die geforderten Abschusszahlen erreicht wurden, mündliche Berichte ließen anderes vermuten. Eines aber können wir versichern und bei Bedarf jederzeit von unseren (unverdächtigen) Herbstjagdgästen bestätigen lassen: Es ist Rehwild genug da. Auch die Jagdgenossen sind dieser Ansicht (Verpachtungs- Versammlung 2005, O- Ton Jagdgenosse K.: Es ist viel zu viel Rehwild da!). Auf unserer Herbstjagd wurde regelmäßig ein Vielfaches der späteren Strecke gesehen. Die Methode macht es eben.

Zur Erinnerung

Rehwild neigt stark dazu, sich möglichst unsichtbar zu machen. Und es ist ganz erstaunlich, wie erfolgreich die Tierchen dabei sind. Dementsprechend ist also Rehwild auf Wiesen oder sonstigen offenen Flächen die Ausnahme. Warum sollten die sich auch weithin sichtbar hinstellen? Machen wir ja auch nicht gern, und Rehwild schon mal gar nicht; als Drückertyp und so genannter Grenzlinienbewohner liebt es unbedingt die Deckung. Aber das wissen ja alle. Seit einiger Zeit auch stellt die Forstwirtschaft, privat und staatlich, ihre Methoden um. Erklärtes Ziel ist seitdem, vom althergebrachten strikten Altersklassenwald abzugehen, Fichten- Monokulturen durch Laubmischwald mit der Hauptbaumart Rotbuche zu ersetzen. Bestehende Bestände werden systematisch ausgelichtet, unterpflanzt, Plenterbewirtschaftung nimmt zu etc. etc. Auch die üblichen Subventionszahlungen für Privatwaldbesitzer werden davon abhängig gemacht. Auch das wissen natürlich alle. Die Folge davon: Raume Bestände mit Lichtinseln, starke Strukturierung, in Verbindung mit dem hohen Stickstoffeintrag durch die Luft üppigster Unterwuchs. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen tun ein Übriges: Kleinere Flächen werden nicht mehr bearbeitet, weil es sich nicht lohnt, weil Erben kein Interesse haben, sie verfilzen, wachsen zu. Für Rehwild ein Paradies. Denn es findet genug bequeme und hochwertige Äsung direkt in und neben den Einständen. Das ist, natürlich, jägerisches Allgemeinwissen. 

Das bedeutet aber auch, logisch, dass es, abgesehen von der Mai- und der Blattjagd auf Böcke, bei der es mit Hängen und Würgen, mit Dauerverstänkerung der Einstände auch mit den alten Methoden möglich ist, den Abschuss zu erfüllen, spätestens beim weiblichen Abschuss zum Schwur kommt. Bei Aufgang der Jagdzeit sieht man sie längst nicht mehr, sie ziehen auf zehn Meter am Hochsitz vorbei, man hört sie manchmal, sehen tut man aber nichts. Das wissen auch alle. Aus Erfahrung.

Ja, dann ….

Ja dann. Dann bleibt, will man seinen gesetzlichen Verpflichtungen genügen, die ordentlich durchgeführte Drückjagd. Wir haben es, s. o., immer locker geschafft, dadurch den Abschuss zu erfüllen; die Ansitzerei hat es einfach nicht gebracht. Dazu gehört aber die Einsicht, dass offensichtlich untaugliche Verfahren aufgegeben, überkommene Methoden angeglichen und revierangepasst verfeinert werden müssen. Und ich halte es nicht für ein Verbrechen, wenn man sich die Arbeit von hoch qualifizierten Fachleuten aus der Wildtierforschung zunutze macht und die Ergebnisse ihrer Arbeit übernimmt. Stattdessen oft die stereotype, hilflose  Aussage: „Wir haben kein Rehwild mehr!“ Schon mein Großvater hat immer zu mir gesagt: Junge, wenn jemand nur ´n Hammer hat, sieht jedes Problem wie ´n Nagel aus.

Ich bin kein Prophet, befürchte aber, dass genau da das Problem liegt. Und daher ist mir (und nicht nur mir) auch klar, was der ganze Zirkus mit „Revier leer schießen“ eigentlich bezweckt. Wie man hier sagt, „man kann dran packen“. Der Abschussplan und die damit verbundenen diffusen Ängste und Ahnungen, das ist es. Sicher, ich kann den lieben langen Tag im Revier herumsitzen, wenn ich die Zeit dazu habe. Nur sehe ich ja bei den Nachbarn die Ergebnisse. Aber da man es eben nicht besser weiß, sitzt man. Die Folge ist, dass das bisher relativ vertraute Rehwild wegen dieser Dauerpräsenz sehr viel heimlicher wird. Die merken nämlich noch was. Das Kümmer- Rehchen, das man sieht, muss dann nach überkommener Sitte mindestens drei bis vier Ansitzgeschehen lang studiert werden, man ist schließlich ein waidgerechter deutscher Jäger. Zu 95 % kommen sie noch nicht einmal ein zweites Mal, weil sie uns schon beim ersten Ansitz über kurz oder lang spitz haben und dann verschwinden. Die grenzdebilen 5%, die selbst dann doch noch um die Kugel betteln, machen leider nicht viel her. Siehste, vom Vorpächter leer geschossen! Und das so gründlich, dass es für die ersten drei Jahre als Entschuldigung langt. Danach, weil es dann langsam peinlich wird mit dem „leergeschossen“, die üblichen Anschlussausreden: Überhaupt kein Rehwild mehr, die Spaziergänger, die Reiter, die vielen Katzen und Hunde, das viele Fallwild, der Straßenverkehr, wo nichts ist, kann man nichts schießen, etc. etc.. Abschussmeldungen aber wie gehabt: Böcke so gerade, bei den Weibern wird gelogen, was das Zeug hält. Methoden ändern? Aufbau-, Pionier- und Erhaltungsphase eines Rehwildbestandes? Revier- und Fluchtverhalten, Besiedlungsstrategien, Biotopkapazität? Was ist das denn alles? Neumodisch- dumm Tüch!!

Wir waren manchmal wochenlang nicht zur Jagd im Revier, vor allem dann, wenn es für das Wild gut war, dass es Ruhe hatte, und das Wild hat es uns gedankt. Wegen der Ruhe, Stressfreiheit übers Jahr wurde die Streckenerfüllung bei der Herbst- Drückjagd trotzdem immer erreicht. Zeitweise jägerische Nicht- Präsenz aber bedingt eine gewisse Selbstdisziplin und die Abkehr von alten, überholten Denkweisen: Dass man für das viele Pachtgeld schließlich auch was haben, sprich jeden Tag herumsitzen will. Wohlgemerkt: Ins Revier kann man, z. B. zum Arbeiten, und sollte man, z. B. zu Kontrollgängen, überhaupt kein Problem, aber eben wie der Spaziergänger, der Waldarbeiter, ohne Heimlichkeit und Schleicherei.

Wir bekamen z. B. viele Berichte über Wildbeobachtungen von unseren Jagdgenossen – und unseren Reitern und Kutschern. Und damit kommen wir zu einem alten Vorurteil, das nach wie vor weit verbreitet ist und bei vielen Jägern immer noch zu nervös bedingtem Hautausschlag führt: Pferde und damit Kutscher und Reiter im Revier. Wir hatten in nächster Nähe einen Reiterhof, dessen Mitglieder anfangs immer ängstlich – unsicher auf uns reagierten, wenn wir sie im Revier trafen, denn es gab bei uns keine ausgewiesenen Reit- und Fahrwege, und damit hätten wir ihnen Ärger machen können. Wir haben ihnen die Sorgen genommen und sie willkommen geheißen, aber im Gegenzug auf strikte Einhaltung der Wege bestanden. Alle hielten sich an die Vereinbarung, es klappte gut. Zum Dank dafür bekamen wir wertvolle Berichte über Wildbeobachtungen und -bewegungen. Eines muss nämlich einmal klar gesagt werden dürfen: Pferde, Kutschen, Reiter, auch Spaziergänger mit Hunden, wenn sie auf den Wegen bleiben, werden vom Wild bei weitem nicht so massiv als Störung empfunden wie eine rund um die Uhr nach Jäger stinkende Kanzel.

Ich weiß, ich weiß. Opa hat das immer so gemacht. Na dann, weiter so, wir leben schließlich in einem freien Land. Aber der Jagd an sich erweist man mit dieser fahrlässigen Haltung einen fatalen Bärendienst. Und diese „Jäger“ sollten zumindest die in Ruhe arbeiten lassen, die bewiesen haben, dass es sehr wohl auch anders geht.

Manfred Nolting

Ein Jagdmensch